Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
der Täter ihm den Besitz entziehen möchte. Strittig ist aber, ob der Einsatz von qualifizierten Nötigungsmitteln gegen einen Tatbeteiligten, den der Täter irrtümlich für einen Verfolger hält, zur Vollendung des § 252 StGB führen kann. Stellt man wie hier auf die subjektive Sicht des Täters ab, ist dies zu bejahen.[284] Nach a.A. soll es in diesem Fall einer nicht einmal „potentiell schutzbereiten Person“ an einem raubähnlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Nötigung und Gewahrsamssicherung fehlen, da objektiv Restitutionschancen des Diebstahlsopfers nicht beeinträchtigt werden, sodass nur ein Versuch gegeben ist.[285] Dies ist folgerichtig, wenn mit einer Mindermeinung davon ausgegangen wird, dass objektiv eine Restitutionschance des Diebstahlsopfers bestehen muss, weil § 252 StGB dem verlängerten Eigentumsschutz dient.[286]
cc) Zeitliche Eingrenzung
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Spätester Zeitpunkt der Raubmittelanwendung ist schon im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich des § 252 StGB (Rn. 39) die Beendigung des Diebstahls.[287] Danach dienen Raubmittel nicht mehr der Herstellung, sondern der Bewahrung sicheren Besitzes; dies ist nicht mehr von § 252 StGB erfasst.[288] Nicht tatbestandsmäßig ist auch eine Nötigung nach einem Diebstahl, aber vor Betroffenwerden.[289] Das Betroffenwerden geht der Nötigung zeitlich voraus.[290] Sofern nicht die Ausnahmekonstellation eines untauglichen Versuchs vorliegt (Rn. 39) muss der Diebstahl zumindest bei Eintritt der Nötigungswirkung[291] vollendet sein, ansonsten liegt ein Raub vor.
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Dem beim Raub erforderlichen zeitlichen (und örtlichen Zusammenhang) zwischen Wegnahme und Nötigungsmittel[292] entspricht bei § 252 StGB der im Rahmen der Frische der Tat geforderte raum-zeitliche Zusammenhang, der sich nach hier vertretener Ansicht wie bereits ausgeführt (Rn. 44) auch auf den Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels beziehen muss. Durchaus kritisch ist auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung eine neuere Rspr. des BGH zu sehen, die insbesondere in Fällen der Nacheile, also wenn die Verfolgung ohne Zäsur aufgenommen wird, zu einer Strafbarkeit nach § 252 StGB führt, obwohl die Nötigungshandlung keinen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Vortatgeschehen mehr hat.[293]
aa) Vorsatz
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Der subjektive Tatbestand des § 252 StGB setzt Vorsatz voraus, der sich auf die objektiven Tatbestandsmerkmale „bei einem Diebstahl“ (Rn. 37 f.), das „Betroffensein auf frischer Tat“ (Rn. 44 ff.) sowie den Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel (Rn. 55 ff.) beziehen muss. Da es sich nach hiesigem Verständnis bei § 252 StGB um ein einaktiges Delikt handelt, bei dem der Diebstahl nur ein „statisches Element“ des objektiven Tatbestands (Vortat) ist und nicht zu dem „dynamischen Tatvollzug“ des räuberischen Diebstahls gehört[294] (Rn. 33), muss bereits im Rahmen des objektiven Tatbestandes des § 252 StGB geprüft werden, ob die Vortat des (versuchten oder vollendeten; Rn. 39) Diebstahls vorsätzlich und in (Dritt-)Zueignungsabsicht begangen worden ist. Im subjektiven Tatbestand muss sich der Vorsatz auf den (versuchten oder vollendeten) Diebstahl beziehen. Der Täter muss zumindest mit Eventualvorsatz handeln. Nicht erforderlich ist bereits zum Zeitpunkt des Diebstahls der Vorsatz des Täters, zur Besitzerhaltung Raubmittel anzuwenden.[295]
bb) Selbstbesitzerhaltungsabsicht
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Der Täter muss zudem handeln, „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten“ (sog. „Selbstbesitzerhaltungsabsicht“). Damit soll die Vergleichbarkeit mit dem Raub hergestellt werden.[297] Bei diesem subjektiven Merkmal handelt es sich um das „eigentliche Herzstück“ des räuberischen Diebstahls,[298] das § 252 StGB als Delikt mit überschießender Innentendenz qualifiziert. Mit dem „Besitz“ ist der strafrechtliche Gewahrsam, also die vom Herrschaftswillen getragene Sachherrschaft (→ BT Bd. 5: Hans Kudlich, Diebstahl und Unterschlagung, § 29 Rn. 31), gemeint.[299] Selbstbesitzerhaltungsabsicht ist Absicht („um […] zu“) als zielgerichteter Wille (dolus directus 1. Grades), sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten.
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Die Absicht muss sich dabei auf die Erhaltung des Besitzes beziehen und nicht auf den Besitz als solchen, der nur ein objektives Tatbestandsmerkmal der Vortat darstellt und der daher nur vom Diebstahlsvorsatz (des Vortäters) umfasst sein muss. Ein tatsächlicher Erfolg der Besitzerhaltung ist nicht notwendig. Damit kann eine Selbstbesitzerhaltungsabsicht auch dann bejaht werden, wenn der Täter nicht Gewahrsam an der Sache hat, sofern er jedenfalls meint, diesen zu haben. Wenn der Täter dagegen meint, keinen (Mit-)Gewahrsam an der Sache zu haben, dann kann schon denklogisch keine Selbstbesitzerhaltungsabsicht gegeben sein.
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Die Besitzentziehung muss im Hinblick auf die gebotene raubähnliche und vor allem restriktive Auslegung – nach Vorstellung des Täters – gegenwärtig sein oder unmittelbar bevorstehen.[300] Die Gegenansicht verweist dagegen auf den Wortlaut sowie die Tatsache, dass die Gleichwertigkeit mit dem Raub schon dadurch gewährleistet sei, dass der Täter überhaupt Raubmittel in Zueignungsabsicht anwendet.[301]
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Die Absicht muss sich auf die Erhaltung des Selbstbesitzes beziehen. Problematisch ist der Fall, dass der Täter nicht sich selbst, sondern einem Dritten den Gewahrsam erhalten will („altruistischer räuberischer Dieb“).[302] Während § 242 StGB und § 249 StGB – also die für die Vortat relevanten Tatbestände – seit dem 6. StrRG die Drittzueignungsabsicht ausdrücklich vorsehen, genügt Drittbesitzerhaltungsabsicht im Rahmen von § 252 StGB nicht.[303] Dies erscheint inkonsequent, ist aber im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 252 StGB und das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Analogieverbot im Strafrecht hinzunehmen,[304] wenngleich dies zuweilen auch als legislatorisches Versehen angesehen wird.[305] Eine ausreichende Eigenbesitzerhaltungsabsicht wird jedoch schon angenommen, wenn der Täter sich den Besitz der Beute erhalten will, um ihn später einem Dritten zu verschaffen.[306] Denn auch in den Fällen der (altruistischen) Drittzueignungsabsicht kann der Täter mit (egoistischer) Selbstbesitzerhaltungsabsicht handeln, da diese sich aufgrund des unterschiedlichen Bezugsgegenstandes nicht gegenseitig ausschließen.[307] Vielmehr handelt es sich bei der Selbstbesitzerhaltung regelmäßig um das Nahziel, das zur Verwirklichung des Fernziels der Drittzueignung notwendig erreicht werden muss.[308]
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(Vorgestellter) Mitbesitz und (in der Variante der Drittzueignung) Fremdbesitz für einen anderen sind möglich.[309] Die Vorstellung des Täters, mittelbarer Besitzer zu sein, ohne sich Mitgewahrsam vorzustellen, genügt nicht.[310] Nicht ausreichend ist auch die Vorstellung des Täters, untergeordneten Mitgewahrsam zu erhalten.[311]
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Ist ein Teilnehmer der Vortat im Besitz der Sache, kommt hinsichtlich des Täters (der