Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
Beschränkung nicht erreichen, da sich eine – bei der Teilnahme am Diebstahl regelmäßig vorliegende – Drittzueignungsabsicht und Selbstbesitzerhaltungsabsicht nicht prinzipiell gegenseitig ausschließen (Rn. 66).[217] Eine solche Auslegung würde auch dem durch das Gesetz zum Ausdruck gebrachten, dem Raub äquivalenten Unrechtsgehalt der Strafvorschrift nicht entgegenstehen.[218] Denn der Unrechtsgehalt des § 252 StGB begründet sich in der unter Einsatz von qualifizierten Nötigungsmitteln (beabsichtigten) Perpetuierung einer Eigentumsverletzung, die ganz unabhängig davon zu beurteilen ist, ob der Täter die ursprüngliche Eigentumsverletzung durch die Vortat mitverursacht hat. Auch bei einem Verständnis des räuberischen Diebstahls als einaktiges Delikt können sich damit im Ergebnis der Rspr. und der h.L. folgend Teilnehmer am Diebstahl nach § 252 StGB strafbar machen.
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Auch der sukzessive Mittäter soll grundsätzlich Täter des räuberischen Diebstahls sein können.[219] Würde man, losgelöst von den grundsätzlichen Bedenken gegen die Möglichkeit einer sukzessiven Mittäterschaft, eine solche eines nicht an der Vortat als Mittäter Beteiligten zwischen Vollendung und Beendigung ausreichen lassen, würde dies aber dazu führen, dass die Gewaltanwendung zugleich als Tatbeitrag die Vortatmittäterschaft begründen und die Tathandlung des räuberischen Diebstahls darstellen würde.[220] Mit dem Charakter des § 252 StGB als eines Nachtatdeliktes ist eine solche uno actu erfolgende Vor- und Nachtathandlung unvereinbar.[221] Vergleichbare Probleme begegnet die sukzessive Beihilfe als Vortat des räuberischen Diebstahls.
aa) Allgemein
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Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ beschreibt zum einen eine bestimmte Tatsituation („betroffen“) und dient gleichzeitig der zeitlichen und örtlichen Eingrenzung des Tatbestandes („auf frischer Tat“).[222] Dadurch soll es die Nähe zum Raub und damit die Gleichwertigkeit des Unrechts herstellen.[223] Dem Wortlaut nach bezieht sich das Erfordernis der frischen Tat nur auf das Betroffensein des Täters durch einen anderen, nicht hingegen auf die Tathandlung des räuberischen Diebstahls, also den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels.[224] Deshalb nimmt z.B. Mitsch[225] an, dass die Tat nur bis zum Betroffensein „frisch“ sein muss, nicht aber bei der anschließenden qualifizierten Nötigung.[226] Im Hinblick auf die gebotene restriktive raubähnliche Auslegung des § 252 StGB (Rn. 31) ist jedoch die Ansicht vorzugswürdig, wonach der Täter nicht nur auf frischer Tat betroffen sein muss, sondern auch das qualifizierte Nötigungsmittel einsetzen muss, solange die Tat noch frisch ist.[227]
bb) Betroffen
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Das Merkmal des Betroffenseins kennzeichnet zum einen die „Lage des Täters im Grenzbereich zwischen Vortat und Nötigung“, zum anderen bezieht es eine „andere Person in das Tatgeschehen ein und stellt sie in eine Beziehung zum Täter“.[228]
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Der Täter muss zumindest mittelbar durch einen Menschen „betroffen“ werden, es reicht z.B. nicht aus, wenn der Dieb nur von einer Maschine (technische Überwachungsanlage) oder einem Tier (z.B. Wachhund) „betroffen“ wird.[229] Nicht erforderlich ist eine räumliche Nähebeziehung zwischen Täter und ihn Betreffenden, es ist beispielsweise auch ein durch technische Überwachungssysteme vermitteltes Betroffensein möglich.[230] Für das Betroffensein ist es unschädlich, wenn das Nötigungsopfer den Täter auch bereits vor Vollendung des Diebstahls (bzw. im Falle des versuchten Diebstahls vor Gewahrsamsverschiebung; Rn. 40) sinnlich wahrgenommen hat.[231] Damit kann § 252 StGB auch in den Fällen bejaht werden, in denen das Nötigungsopfer (etwa ein Ladendetektiv) den Vorgang des Gewahrsamswechsels beobachtet hat. Die andere Person wird häufig das Tatopfer des Diebstahls (Sacheigentümer, Gewahrsamsinhaber) sein. Es reicht aber aus, wenn unbeteiligte Dritte den Dieb betreffen.[232]
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Unstrittig liegt ein Betroffensein vor, wenn die Person die Situation (Tat und Täter als Diebstahl und Dieb) voll erfasst, also den Dieb „ertappt“, aber auch wenn er nur einen (diffusen) Straftatverdacht hegt bzw. glaubt, dass etwas nicht stimmt.[233] Nimmt jemand den Dieb wahr, schöpft aber keinen Verdacht, soll nach h.M. ebenfalls ein Betreffen vorliegen können.[234] Der Wahrnehmende muss auch die Vortat nicht beobachtet oder sonst bemerkt haben, er muss lediglich den Täter selbst wahrnehmen.[235]
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Sehr umstritten ist die Konstellation, in der die andere Person den an der Vortat Beteiligten nicht sinnlich wahrnimmt, sondern der Täter dem Bemerken zuvorkommt (präventive Raubmittelanwendung), die Tat also weder subjektiv noch objektiv entdeckt ist.[236] Nach der Rspr.[237] und einem Teil der Lehre[238] ist ein sinnliches Wahrnehmen nicht erforderlich, sondern es genügt jede sich raum-zeitlich an den Diebstahl anschließende und der Beutesicherung dienende Raubmittelanwendung für ein Betroffensein. Betroffensein bedeutet danach zunächst nicht mehr als das „bewusste oder unbewusste, geplante oder zufällige, raum-zeitliche Zusammentreffen einer Person mit dem Dieb“.[239] Betreffen sei dabei ein Synonym für „antreffen“, „vorfinden“ oder „begegnen“ und umfasse (lediglich) ein raum-zeitliches Zusammenkommen.[240] Bereits das der sinnlichen Wahrnehmung vorgelagerte Stadium sei daher vom „betreffen“ erfasst.[241] Das Merkmal „betreffen“ wird von diesen somit nicht aus der Perspektive des Opfers (Betroffen-Werden), sondern aus der Sicht des Täters bestimmt, der ein Raubmittel anwendet, weil er sich (subjektiv) für betroffen hält (Betroffen-Sein).[242] Kein „Betroffensein“ soll jedoch dann vorliegen, wenn die andere Person von Anfang an mit dem Täter zusammen gewesen ist.[243] In der Tat wirkt es widersinnig, denjenigen, der nach Vollendung der Wegnahme zuschlägt, bevor er bemerkt wird, anders zu behandeln, als denjenigen, der zuschlägt, nachdem er bemerkt worden ist.[244] In beiden Fällen liegen das Wegnahme- und das qualifizierte Nötigungselement vor und scheint daher eine Bestrafung „gleich einem Räuber“ gerechtfertigt.[245] Der Zweck des § 252 StGB streitet folglich für ein weites Verständnis.[246] Diskutiert wird aber, ob diese teleologische Auslegung mit dem Wortlaut des § 252 StGB und damit mit dem Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG (Analogieverbot) vereinbar ist. Zum Teil wird dies verneint. Die Gegenansicht argumentiert, dem Wortsinn des Begriffes „Betroffensein“ sei gerade eine sinnliche Wahrnehmung immanent.[247] „Betroffen“ sei nicht, wer dem Betreffen i.S.v. Bemerken zuvorkomme.[248] Eine solche Interpretation des Begriffes ist indes nicht zwingend. Mit dem Wortlaut gerade noch vereinbar ist auch eine Auslegung als bloßes raum-zeitliches Zusammentreffen.[249] Die Tatbestandsstruktur erfordert jedoch eine zusätzliche Bedeutung des Merkmals „Betreffen“, das nur in der sinnlichen Wahrnehmung durch einen Dritten liegen kann, da ansonsten jede Gewaltanwendung (die zu einem raum-zeitlichen Zusammentreffen führt) zu einer Bestrafung nach § 252 StGB führen kann und es dadurch seine eigenständige Funktion verliert.[250] Insofern reicht es auch nicht aus, wenn das Opfer den Täter im Rahmen der Gewaltanwendung wahrnimmt.[251] Auch spricht der Selbstbegünstigungscharakter des § 252 StGB in diesen Fällen für eine solche einschränkende Auslegung.[252]
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Angesichts der hier befürworteten opferbezogenen Perspektive ist das objektive Tatbestandsmerkmal Betroffensein dagegen erfüllt, wenn der Täter nicht bemerkt, dass er von Dritten bei der Tatbegehung wahrgenommen wird.[253]
cc) „Frische Tat“ – zeitliche Eingrenzung
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Schon im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich des § 252 StGB („bei einem Diebstahl“;