Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
ähnliche Bestimmung. Das ALR enthielt eine Vielzahl von Deliktstypen, die durch keine klare Systematik aufeinander abgestimmt waren, was in der Rechtsanwendung häufig für Verwirrung sorgte.[47] Um dem entgegenzuwirken wurden im Laufe der Jahre zahlreiche ergänzende Edikte und Verordnungen erlassen.[48] Maßgebliche Vorschrift zur Konkretisierung des Diebstahls war § 22 der Circularverordnung wegen Bestrafung der Diebstähle und anderer Verbrechen vom 26. Februar 1799.[49] Dort hieß es: „Als Räuber wird derjenige bestraft, der um einen Diebstahl zu begehen, einen oder mehrere Menschen durch Schläge oder durch Binden […] oder sonstige Misshandlungen abhält, die beabsichtigte Entwendung zu verhindern oder sich des Täters zu bemächtigen.“ In der Praxis wurde die Verordnung auch für Fälle herangezogen, in denen es erst nach Vollendung des Diebstahls zu einer Gewaltanwendung gekommen war.[50] Diese Auslegung ging nicht mit dem Wortlaut konform, der sich mit dem Passus „um einen Diebstahl zu begehen“ explizit auf den Zeitpunkt vor Vollendung des Diebstahls bezog. Dass man trotzdem an der Anwendung festhielt, zeigte die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung.
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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchs in Preußen das Bemühen um eine Strafrechtsreform.[51] Die Entwicklung des räuberischen Diebstahls hin zu einem eigenständigen Delikt lässt sich anhand der in den 1830er und 1840er Jahren entstandenen Reformentwürfe nachverfolgen. Dabei fällt auf, dass vor allem die systematische Einordnung Schwierigkeiten bereitete. So sah der Entwurf von 1830 eine Einführung als qualifizierten Diebstahl vor,[52] während man den räuberischen Diebstahl im Entwurf von 1833 als besondere Form des Raubes behandelte.[53] Auch hinsichtlich der Reichweite des Tatbestandes herrschte Uneinigkeit. Gemäß dem Staatsentwurf von 1843 sollte der „auf frischer That“ verfolgte Täter ebenso wie der beim Diebstahl betroffene Täter als Räuber bestraft werden.[54] Diese Ansicht stieß in der zeitgenössischen Rechtslehre auf deutliche Kritik.[55] Dabei wurde insbesondere gerügt, dass Entwendung und Gewalttätigkeit unter Umständen sehr weit auseinanderliegen können.[56] Im Entwurf von 1845 war aus diesem Grund nur noch der Passus „auf frischer That betroffen“ enthalten, womit man eine deutliche Einschränkung des Tatbestandes beabsichtigte.[57] Wie die in diesem Punkt wechselnden Fassungen der späteren Reformentwürfe belegen, blieb die Frage nach der raum-zeitlichen Eingrenzung des räuberischen Diebstahls dennoch nach wie vor umstritten.[58] Letztendlich wurde der räuberische Diebstahl (§ 230 II) mit folgender Formulierung in das preußische Strafgesetzbuch von 1851 aufgenommen: „Wer bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist einem Räuber gleich zu achten.“ Damit entschied man sich dafür, den räuberischen Diebstahl in die Raubbestimmungen aufzunehmen – eine Einordnung, die bis heute beibehalten wurde. Ein weiterer interessanter Aspekt für die heutige Bewertung des Delikts ergibt sich aus den Überlegungen der Gesetzgebungskommission bei der Frage nach den Gründen für eine Gleichstellung des später gewalttätig werdenden Diebes mit dem Räuber.[59] Goltdammer verwies diesbezüglich darauf, dass „der Erfolg für den Bestohlenen, die subjektive Strafbarkeit des Angeschuldigten und die Gefahr für die öffentliche Sicherheit in diesem Falle dieselbe sei“.[60]
5. Weitere Entwicklung bis heute
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Die Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1866 und die Verabschiedung einer Bundesverfassung ermöglichten die Entstehung einer einheitlichen Rechtsordnung innerhalb der norddeutschen Einzelstaaten. Dies beinhaltete auch eine bundesgesetzliche Regelung des Strafrechts. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes übernahm im Wesentlichen die Bestimmungen des preußischen Strafgesetzbuches.[61] Im Wortlaut des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) wurde lediglich die Formulierung „einem Räuber gleich zu achten“ durch „gleich einem Räuber zu bestrafen“ ersetzt, damit erhielt der Tatbestand seine bis heute gültige Ausgestaltung.[62] Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes galt ab 1871 – ab 1872 als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich – sodann im gesamten Reichsgebiet. Reformbestrebungen in den 1920er Jahren konnten sich ebenso wenig durchsetzen wie neuere Entwürfe aus der Nachkriegszeit.[63] Eine mittelbare Auswirkung ergab sich durch das 6. StrRG 1998, da der im Rahmen des § 252 StGB begangene Diebstahl nun auch mit Drittzueignungsabsicht begangen werden konnte.
1. Entwicklung vor 1945
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Die Entstehung des § 316a StGB geht auf einen der prominentesten Kriminalfälle des Dritten Reichs zurück. Dabei handelt es sich um eine Serie von Raubtaten gegen Kraftfahrer, die zwischen November 1934 und März 1938 von den Brüdern Max und Walter Götze auf den (Fern-)Straßen um Berlin verübt wurden. Während sich die Überfälle anfangs gegen die Insassen parkender Fahrzeuge richteten, nahmen die Brüder ab Mitte Juli 1935 auch fahrende Autos ins Visier, indem sie die Fahrer mittels Autofallen zum Stehenbleiben zwangen und ausraubten. Als Straßenhindernisse fungierten unter anderem abgeschlagene Bäume und quer über die Fahrbahn gespannte Drahtseile. Dieses neuartige Vorgehen sorgte auch auf politischer Führungsebene für große Empörung und Unbehagen.[64] Insbesondere der Autobahn kam nicht nur als nationalsozialistisches Prestigeprojekt,[65] sondern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten große Bedeutung zu. Die Motorisierung des Fahrzeugverkehrs war verbunden mit dem Vorhaben, die Autoindustrie als führenden Wirtschaftszweig zu etablieren und für spätere Kriegszwecke zu nutzen.[66] Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit auf den Straßen erschien dafür unabdingbar. Die absichtliche Gefährdung des Verkehrs stellte aus nationalsozialistischer Perspektive nicht nur einen direkten Angriff auf das „Werk des Führers“[67] und die NS-Wirtschaftspolitik dar, sondern wurde auch als ein Vergehen an der Volksgemeinschaft[68] betrachtet. Dementsprechend stark war das Verlangen nach harter Strafe, nachdem die Brüder Götze im Frühjahr 1938 festgenommen werden konnten. Hitler ließ Reichsjustizminister Gürtner am 20. Juni 1938 mitteilen, „daß es seiner Erwartung entspreche, wenn in dem Prozeß […] gegen beide Beschuldigte auf die Todesstrafe erkannt“ werde.[69] Zu diesem Zeitpunkt war die Hauptverhandlung bereits im Gange und stand vier Tage vor ihrem Abschluss. Die Umsetzung der Führeranordnung stieß jedoch aus anderen Gründen auf praktische Hindernisse. Walter Götze hatte im Zuge der Raubüberfälle zwei Morde verübt,[70] wodurch die Todesstrafe nach dem geltenden Recht zu erwarten war. Als „problematisch“ aus Sicht der NS-Führung erwies sich der Fall von Max Götze. Dieser hatte selbst keinen Mord begangen, eine Strafbarkeit kam folglich „nur“ wegen Raubs und Erpressung (§§ 249 ff. RStGB) und nach dem „Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933“[71] in Frage.[72] Keiner der genannten Straftatbestände garantierte sicher die politisch gewünschte Verurteilung zum Tode.[73]
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Der Reformentwurf eines künftigen neuen Strafgesetzbuches sah eine „Vorschrift gegen Straßenraub mittels Autofallen“ zwar vor, diese war allerdings noch nicht in Kraft.[74] Gürtner schilderte Hitler die Situation am 21. Juni 1938 in einem „eiligen Bericht“ und schlug vor, das Gesetz sofort und mit rückwirkender Kraft auf den Weg zu bringen. Den von Gürtner beigefügten Gesetzentwurf unterzeichnete Hitler sodann am 22. Juni 1938, während er noch in seiner Sommerresidenz in Berchtesgaden verweilte.[75] Das weitere Gesetzgebungsverfahren fand in beschleunigter Form statt,[76] sodass das „Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938“[77] (Autofallengesetz) bereits am Tag darauf nicht als Novelle zum Strafgesetzbuch, sondern als Nebengesetz[78] im Reichsgesetzblatt verkündet werden konnte. Auf eine amtliche Gesetzesbegründung wurde verzichtet,[79] da man diese im Hinblick auf den offenkundigen Anlass für die Einsetzung der Vorschrift für entbehrlich hielt.[80] Der Gesetzestext bestimmte knapp: „Wer in räuberischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1936 in Kraft.“ Damit war die notwendige Rechtsgrundlage geschaffen, um den Fall Götze mit dem gewünschten Ergebnis abzuschließen.[81] Die Entstehung