Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
zu dem verdrängenden Tatbestand tritt. Je nach Fallkonstellation soll § 240 StGB in Tateinheit mit § 249 StGB oder mit § 252 StGB stehen (siehe bereits → BT Bd. 5: Wittig, § 30 Rn. 151). Um zum Ausdruck zu bringen, dass der Täter nach Vollendung des § 249 StGB bzw. vor Begehung des § 252 StGB eine zweite Nötigungshandlung vorgenommen hat, ist dies richtigerweise zu bejahen.[369]
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Eine Wahlfeststellung zwischen Raub und räuberischem Diebstahl ist möglich.[370]
cc) Verhältnis zur räuberischen Erpressung (Sicherungserpressung)
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Im Ergebnis besteht Einigkeit, dass die nach § 252 StGB strafbare Besitzerhaltung mit Raubmitteln nicht zugleich nach §§ 253, 255 StGB als Nötigung eines anderen zur Duldung der Besitzerhaltung bzw. Unterlassung der Geltendmachung von Herausgabeansprüchen oder des Selbsthilferechts strafbar sein kann.[371] Weitgehende Einigkeit besteht zudem, dass, auch wenn die Voraussetzungen des § 252 StGB nicht vorliegen (z.B. bei fehlender Tatfrische), eine Strafbarkeit gemäß § 255 StGB nicht möglich ist.[372] § 252 StGB würde durch die Bejahung des § 255 StGB überflüssig und die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 252 StGB umgangen.[373] Über die weitere Begründung besteht Uneinigkeit: Verlangt man mit Teilen der Literatur eine Vermögensverfügung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der §§ 253, 255 StGB (→ BT Bd. 5: Bernd Heinrich, Erpressung und räuberische Erpressung, § 32 Rn. 34 ff., 103), fehlt es an einer solchen, da das abgenötigte Verhalten sich nicht unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, weil der Täter der bereits durch die Wegnahme entstandenen Vermögensminderung (dem Gewahrsamsverlust) bei faktischer Wertlosigkeit des Herausgabeanspruchs keinen weiteren hinzufügt. Aus vergleichbaren Erwägungen ist im Übrigen auch das Vorliegen eines Vermögensnachteils i.S.d. §§ 253 Abs. 1, 255 StGB fraglich.[374] Nach a.A. kann die Verteidigung des gestohlenen Gutes grundsätzlich zugleich tatbestandlich eine räuberische Erpressung darstellen, § 255 StGB tritt aber wegen des bloßen Sicherungscharakters der Nötigung gegenüber § 252 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz als mitbestrafte Nachtat zurück.[375] Liegt eine Beutesicherung außerhalb der Voraussetzungen des § 252 StGB vor, kommt nach hier vertretener Ansicht deshalb wegen des nötigenden Verhaltens allenfalls eine Strafbarkeit nach § 240 StGB in Betracht.[376] Danach ist auch die Teilnahme an einer Beutesicherung unter Raubmitteln, welche die Voraussetzungen des § 252 StGB nicht erfüllt, nicht als fremdnützige räuberische Erpressung, sondern nur als Nötigung zu beurteilen.[377]
dd) Verhältnis zu sonstigen Delikten
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Einer Bedrohung (§ 241 StGB), die der Unterstützung der im Rahmen von § 252 StGB eingesetzten Gewalthandlungen dient, kommt kein eigener Unrechtsgehalt zu,[378] sie tritt deshalb im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. § 252 StGB kann wegen des unterschiedlichen Rechtsguts mit § 113 StGB,[379] § 211, 212 StGB[380] und §§ 223 ff. StGB[381] tateinheitlich zusammentreffen. Die Beteiligung an § 252 StGB verdrängt § 257 StGB.[382] Zum räuberischen Angriff auf Kraftfahrer gemäß § 316a StGB besteht Tateinheit.[383]
1. Einführung
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§ 316a StGB ist ein Delikt an der „Nahtstelle zwischen den Vermögens- und den Verkehrsdelikten“,[384] ein „mixtum aus Straßenverkehrs-, Freiheits- und Vermögenselementen“.[385] Es handelt sich nach h.M. um eine Straftat im Vorfeld eines (qualifizierten) Raubes (§§ 249, 250 StGB), eines räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255 StGB) mit Straßenverkehrsbezug.[386] Da die genannten Straftatbestände nicht objektiv verwirklicht sein müssen, sondern lediglich Inhalt der Täterintention sind („zur Begehung“), sind sie im Rahmen des § 316a StGB „versubjektiviert“.[387] Schon aus diesem Grund ist § 316a StGB keine Qualifikation der Delikte des 20. Abschnittes, sondern ein eigener raubähnlicher Sondertatbestand.[388] Die Einordnung in den 28. Abschnitt („Gemeingefährliche Straftaten“) nach §§ 315 ff. StGB zeigt, dass § 316a StGB aber auch in den Zusammenhang der Verkehrsstraftaten gehört.[389] Auch die hohe Mindeststrafe spricht dafür, dass neben individuellen Rechtsgütern (Eigentum, Vermögen, Leib, Leben, Willensentschließungsfreiheit) das Kollektivrechtsgut der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Straßenverkehrs geschützt ist.[390] Aus dieser doppelten Schutzrichtung und der hohen Mindeststrafe ergibt sich das Erfordernis einer restriktiven Auslegung.[391]
a) Verfassungsrechtliche und kriminalpolitische Kritik
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§ 316a StGB ist als „Erzeugnis nationalistischer Verbrechensbekämpfungspolitik“ auch in der heute geltenden „entnazifizierten“ Fassung Gegenstand teils scharfer Kritik.[392] Diese richtet sich insbesondere gegen die hohe Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren (die der des Totschlags gemäß § 212 StGB entspricht) in Verbindung mit einer weitgehenden Vorverlagerung der Strafbarkeit gegenüber den Raub- und Erpressungsdelikten. Der hohe, allerdings in der Praxis kaum angewandte (Rn. 24), Strafrahmen wurde bei der Änderung des Tatbestandes im Zuge des 6. StrRG (Rn. 20) thematisiert, blieb aber unverändert.[393] Grundsätzlich begründet ein hoher Strafrahmen nicht per se eine verfassungsrechtliche Bedenklichkeit, weil es dem Strafgesetzgeber im Rahmen seines weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums überlassen bleiben muss, an seiner Ansicht nach schweres Unrecht eine entsprechend hohe Strafandrohung zu knüpfen.[394] Der BGH hat in der Mindeststrafe des § 316a StGB weder einen Verstoß gegen das Schuldprinzip noch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip noch gegen Art. 2 EMRK gesehen.[395] § 316a StGB ist noch verfassungsgemäß, allerdings ist dieser Straftatbestand eng auszulegen, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG zu genügen.[396]
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Kriminalpolitisch handelt es sich um einen in jeder Hinsicht entbehrlichen Tatbestand.[397] Die restriktiv zu handhabende verfassungskonforme Auslegung führt in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum der Angriff auf Kraftfahrer zur Begehung eines der in § 316a StGB genannten Delikte mit besonders hoher Strafe bedroht wird, der Angriff zur Begehung eines Sexualdeliktes oder selbst eines Tötungsdeliktes hingegen nicht besonders geregelt ist (dann ggf. „nur“ §§ 315b Abs. 1, 315 Abs. 3 Nr. 1b) StGB mit geringerer Strafandrohung; sofern das Tötungsdelikt in das Versuchsstadium gelangt, bestünde immerhin noch die Möglichkeit der fakultativen Strafmilderung). Dies führt doch zu dem eher paradoxen Ergebnis, dass der Täter, der einen Angriff auf einen Menschen verübt, um ihn zu töten, (erheblich) besser steht als der in räuberischer Absicht handelnde Angreifer.[398]
b) Systematik und Deliktsnatur
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§ 316a Abs. 1 StGB enthält den Grundtatbestand, § 316a Abs. 2 StGB eine Strafrahmensenkung für (unbenannte) minder schwere Fälle und § 316a Abs. 3 StGB seit dem 6. StrRG (Rn. 20) eine Erfolgsqualifikation.
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