Handbuch des Strafrechts. Dennis Bock
nach dem Wortlaut nicht bereits gegen das Eigentum oder Vermögen richten.[434] Er muss deshalb nicht mit der geplanten Raubtat zusammenfallen.[435] Nach zutreffender Ansicht muss der Angriff nicht abgeschlossen sein.[436]
bb) Verüben
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Bei § 316a StGB handelt es sich um kein Erfolgs-, sondern um ein Tätigkeitsdelikt, bei dem die Tatbestandsvollendung mit dem letzten Handlungsakt, dem Verüben eines Angriffs auf die genannten Schutzgüter, zusammenfällt (Rn. 98). Anders als nach § 316a StGB a.F. muss der Angriff nicht „unternommen“, sondern „verübt“ worden sein. Verüben ist das Ausführen des Angriffs, nicht aber das unmittelbare Ansetzen hierzu.[437]
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Die entscheidende Frage ist, zu welchem Zeitpunkt ein Angriff (als intentionaler Handlungsakt) bereits so weit fortgeschritten ist, dass er „verübt“ ist.[438] Nach einer weitgehenden Ansicht reicht jeder Versuch einer Rechtsgutsverletzung bereits für eine Vollendungsstrafbarkeit aus.[439] Nach a.A. liegt das „Verüben“ eines Angriffs nur vor, wenn dieser aus der ex ante-Sicht eines Dritten in der Situation des Täters zu einer Beeinträchtigung von Leben, Leib und Entschlussfreiheit führen kann; von vornherein ungefährliche Verhaltensweisen sollen an dieser Stelle ausscheiden.[440] Damit wird die Verübung auf einen „beendeten tauglichen Versuch“ der geplanten Rechtsgutsverletzung beschränkt und das vorausgehende Angriffsstadium bzw. der untaugliche Versuch dem Versuchsbereich zugeordnet. Diese Ansicht führt zwar zu der an sich wünschenswerten Restriktion, findet aber keine hinreichende Stütze im Wortlaut. Nach der wohl h.L. muss die Tat jedenfalls das Stadium des „beendeten materiellen Versuchs“ erreicht haben, was bedeutet, dass der Kernbereich der Opfersphäre berührt sein muss.[441] Das bedeutet zunächst, dass nach der Vorstellung des Täters keine weiteren Zwischenakte zur Beeinträchtigung von Leib, Leben oder Entschlussfreiheit erforderlich sind.[442]
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Einschränkend wird jedoch im Hinblick auf die Anwendung der Regeln über den Rücktritt vom Versuch nicht jeder nach Vorstellung des Täters beendete Versuch für ausreichend gehalten; vielmehr soll für das Verüben (nicht für den Angriff) eine Einwirkung auf das Opfer i.S.e. „point of no return“ erforderlich sein.[443] Dies setzt voraus, dass das Täterverhalten das Opfer tatsächlich erreicht hat und „ein unmittelbarer Kontakt des Angriffsmittels mit den geschützten Rechtsgütern stattgefunden hat“.[444] Deshalb fordert der BGH bei Angriffen auf die Entschlussfreiheit zu Recht, dass das Opfer den objektiven Nötigungscharakter der Täterhandlung wahrgenommen haben muss.[445] Bis dahin liegt ein Versuch mit der Möglichkeit eines Rücktritts gemäß § 24 StGB vor (Rn. 149). Die Gegenansicht,[446] die insofern auf die Vorstellungen des Täters abstellt, überzeugt nicht. Der für diese Ansicht angeführte „finale Charakter“[447] der Vorschrift betrifft nur die beabsichtigte Raubtat, nicht aber den Angriff auf die Entschlussfreiheit. Zwar wird der Begriff des „Angriffs“ im Rahmen von anderen Vorschriften (vgl. §§ 102 Abs. 1, 114 Abs. 1, 121 Abs. 1 Nr. 1, 231 Abs. 1 StGB) subjektiv ausgelegt,[448] doch muss dieser dort „tätlich“ erfolgen oder sich „auf Leib und Leben“ beziehen, wodurch sich die gebotene Restriktion erreichen lässt. Aufgrund der Weite des Angriffsguts der „Entschlussfreiheit“ ist dagegen bei § 316a StGB eine objektive Einschränkung notwendig. Nicht erforderlich ist jedoch, dass das Opfer auch die feindliche Willensrichtung des Täters erkannt hat.[449] Durch diese doppelte Restriktion – einerseits muss das Stadium eines beendeten Versuchs erreicht sein, andererseits muss es bereits zu einer Einwirkung i.S.e. Kontakts zwischen Täter- und Opfersphäre gekommen sein – wird die Vollendungsstrafbarkeit in sinnvoller Weise beschränkt, ohne dass damit der Charakter des § 316a StGB als Tätigkeitsdelikt in Frage gestellt wird.[450]
cc) Verüben eines Angriffs auf Leib oder Leben
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Ein Angriff auf Leib und Leben ist verübt, wenn eine unmittelbar auf den Körper zielende feindselige Handlung vorliegt, bei der die Gefahr einer Tötung oder einer nicht ganz unerheblichen Körperverletzung besteht, und bei der es bereits zu einer Einwirkung auf Leib oder Leben gekommen ist.[451]
dd) Verüben eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit
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Ein Angriff auf die Entschlussfreiheit ist verübt, wenn eine unmittelbar auf die Entschlussfreiheit zielende feindselige Handlung vorliegt, bei der die Gefahr einer Verletzung der Entschlussfreiheit besteht, und bei der es bereits zu einer Einwirkung auf dieses Schutzgut gekommen ist. Ein verübter Angriff auf die Entschlussfreiheit liegt somit bei allen Formen der Nötigung vor.[452] Erfasst sind damit Gewalt (etwa die Bedrohung mit einer Waffe)[453], auch Gewalt gegen Sachen (wie bei einer Autofalle)[454], und (auch eine konkludente[455]) Drohung. Nicht ausreichend ist ein allgemein aggressives Auftreten.[456]
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Streitig ist, inwieweit Täuschung und List als Angriffe auf die Entschlussfreiheit erfasst sind.[457] Die in der Literatur am weitesten gehende Ansicht will Täuschungshandlungen grundsätzlich berücksichtigen.[458] Dies ist jedenfalls zu weit: Nicht erfasst sind „bloße Täuschungen“, die nicht räuberischem, sondern betrugstypischem Verhalten entsprechen.[459] In der Literatur werden zum Teil Fälle von List und Täuschung aufgrund der gebotenen restriktiven Auslegung, der fehlenden Vergleichbarkeit von Angriffen auf die Psyche mit den auf Leib und Leben und der Nichterwähnung in § 316a StGB (anders als in anderen Tatbeständen, z.B. §§ 181, 234, 234a, 235 StGB) ganz aus dem Tatbestand ausgeschlossen.[460] Sie verengen das Tatbestandsmerkmal „Angriff auf die Entschlussfreiheit“ auf den Einsatz von Nötigungsmitteln.[461] Dem ist nicht zuzustimmen. In den Anwendungsbereich des § 316a StGB fallen solche täuschenden Handlungen, welche auf den Führer eines Kraftfahrzeugs oder einen Mitfahrer eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung
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Die Rspr. verfolgt seit der Grundsatzentscheidung BGHSt 49, 8 ebenfalls einen restriktiven Kurs, sodass bloße List und Täuschung „regelmäßig“ noch keine Verübung eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit darstellen.[464] Hierbei handele es sich trotz der verborgenen räuberischen Absicht um keine Behinderung oder Beeinträchtigung der Entschlussfreiheit, sondern vielmehr um das Bewirken einer falschen Vorstellung oder eines falschen Motivs bei weiterhin bestehender Willensentschlussfreiheit.[465]
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Um die Vergleichbarkeit zu den Angriffen durch Gewalt oder Drohung herzustellen, lässt sich zunächst sinnvoll danach differenzieren, ob dem Opfer fremde Motive oktroyiert werden sollen (dann Angriff auf die Entschlussfreiheit) oder er ausschließlich aus eigenen Motiven handeln soll (dann kein Angriff auf die Entschlussfreiheit).[466] Die wohl h.L. geht davon aus, dass Täuschungen dann tatbestandsmäßig sind, wenn bei Vorliegen der vorgespiegelten Umstände eine Rechtspflicht zu einer bestimmten Handlung bestünde; dann bestehe aufgrund des normativen Zwangs ein nötigender Charakter.[467] Insofern ist fraglich, ob der Entscheidung BGHSt 49, 8, 13 auch dahingehend zuzustimmen ist, dass trotz der Beförderungspflicht für Taxifahrer aus § 22 PBefG im Regelfall kein Angriff auf dessen Entschlussfreiheit vorliege, da der Taxifahrer meist eigene wirtschaftliche Interessen verfolge.[468] Eine nötigungsgleiche Zwangswirkung wird von der h.M. auch bei der strafbewehrten Hilfeleistungspflicht gemäß § 323c StGB für möglich gehalten. Nicht ausreichend ist hingegen die Schaffung einer nur moralischen Handlungspflicht (etwa das Vortäuschen einer Autopanne ohne Personenschaden).[469] Dieser differenzierenden Sichtweise ist zuzustimmen, auch wenn man ähnliche Fallgruppen