Familien- und Erbrecht. Ute Brenneisen
einer Familie in vergleichbarer sozialer Lage entspricht.
Für die Beurteilung ist der nach außen in Erscheinung getretene Lebenszuschnitt der Familie maßgebend.[55] Rechtsgeschäfte, die den bisherigen Lebensstandard der Familie überschreiten oder die die Lebensbedingungen grundlegend ändern, unterliegen daher nicht der Schlüsselgewalt.
Beispiel
Kauf eines Eigenheims, Kauf eines Luxusautos oder einer Segelyacht
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Von der Vorschrift des § 1357 werden auch solche Rechtsgeschäfte nicht erfasst, die in der persönlichen Sphäre eines Ehegatten liegen oder die der Vermögensverwaltung oder der Vermögensanlage dienen.
Beispiel
Abschluss eines Arbeitsvertrags oder Buchung einer Fortbildungsveranstaltung, Abschluss eines Sparvertrages
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Nach h.M.[56] können auch Rechtsgeschäfte, die den Vorschriften des Verbraucherschutzes (§§ 312 ff., Verbraucherdarlehen nach §§ 491 ff., Finanzierungshilfen nach §§ 506 ff., Ratenlieferungsverträge nach § 510) unterliegen, generell in den Anwendungsbereich von § 1357 Abs. 1 S. 1 fallen. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des § 1357 erfüllt sind, werden beide Ehegatten aus einem Ratenlieferungsvertrag über § 1357 berechtigt und verpflichtet. Nach h.M. ist es auch ausreichend, wenn die Formvorschriften des §§ 492, 355 nur gegenüber dem handelnden Ehegatten erfüllt sind und nur ihm gegenüber die Widerrufsbelehrung nach § 355 erfolgt ist. Soweit der nicht handelnde Ehegatte mit verpflichtet worden ist, werden auch ihm gegenüber die Schutzwirkungen der verbraucherschützenden Regelungen zuteil. Ihm steht insbesondere das Widerrufsrecht zu.[57] Für die Fristberechnung muss sich der andere Ehegatte die Kenntnis des handelnden Ehegatten von der Widerrufsbelehrung in entsprechender Anwendung der Vertretungsregelungen zurechnen lassen.[58]
Hinweis
Bei Verbraucherdarlehen und Ratenzahlungsverträgen kann eine Mitverpflichtung des Ehegatten nach § 1357 nicht mehr angenommen werden, soweit die Valuta ein Viertel des monatlichen Einkommens überschreitet.[59]
Der Abschluss einer Vollkaskoversicherung für ein Familienfahrzeug der Ehegatten kann ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i.S.v. § 1357 Abs. 1 sein. Gleiches gilt für die Kündigung eines solchen Vertrags.[60]
e) Keine anderen Umstände
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Es dürfen keine für den Vertragspartner erkennbaren Umstände vorliegen, die die Mitverpflichtung und die Mitberechtigung des anderen Ehegatten ausschließen. Das ist der Fall, wenn der handelnde Ehegatte eindeutig klarstellt, dass er der alleinige Vertragspartner sein will. Auch aus objektiven Umständen kann sich ein solcher Ausschluss ergeben. Der Abschluss von ärztlichen Behandlungsverträgen unterliegt der Vorschrift des § 1357, wenn die Heilbehandlung eine medizinisch notwendige Maßnahme betrifft und die Behandlung unaufschiebbar ist.[61] Überschreiten die Behandlungskosten die finanziellen Verhältnisse der Familie, so tritt keine Mitverpflichtung des anderen Ehegatten ein, wenn dies für den Vertragspartner anhand des wirtschaftlichen Erscheinungsbilds der Familie erkennbar ist.
f) Übungsfall Nr. 1
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„Behandlungskosten“
M und F waren 10 Jahre im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten waren sehr angespannt, da der M in den letzten Jahren nur geringe Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt hat. Die Allgemeine Ortskrankenkasse hatte das mit M bestehende Krankenversicherungsverhältnis gekündigt, nachdem er die Krankenkassenbeiträge nicht mehr zahlen konnte. M musste sich nach der Kündigung des Versicherungsverhältnisse wegen eines Bronchialkarzinoms einer Chemotherapie in einer Klinik unterziehen. Vor der Behandlung schloss er als Selbstzahler einen Behandlungsvertrag mit der Klinik K ab, um absolut notwendige Behandlungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Nach Beendigung der Behandlung leistete M die vertraglich vereinbarten Behandlungskosten nicht. Kurze Zeit später verstirbt M und wird von seinen drei Kindern testamentarisch beerbt. Die Klinik K nimmt die F wegen der für den M entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 20 000 € in Anspruch.
(Anmerkung: Dem Sachverhalt liegt die Entscheidung des BGH[62] zugrunde.)
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Lösung
K kann gemäß §§ 611 Abs. 1, 1357 die Behandlungskosten von F als Mitverpflichtete des von M mit K geschlossenen Behandlungsvertrags verlangen.
I. Vertraglicher Anspruch nach § 611
Ein solcher Anspruch setzt zunächst das Bestehen eines Dienstleistungsvertrags zwischen M und K voraus. M schloss mit K einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag in Form eines Dienstvertrages gemäß § 611, durch den K einen Anspruch gegen M auf Leistung der vereinbarten Behandlung erwarb. Durch diesen Vertrag ist nur der M zur Zahlung der Behandlungskosten verpflichtet worden. F ist auch nicht im Rahmen einer Stellvertretung durch M bei dem Abschluss des Behandlungsvertrags vertreten worden, da M den Dienstvertrag im eigenen Namen abgeschlossen hat.
II. Mitverpflichtung der F gemäß § 1357 Abs. 1
F könnte durch den Vertragsschluss zwischen M und K nach § 1357 mit verpflichtet worden sein. Nach dieser Vorschrift kann jeder Ehegatte Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie auch mit Wirkung für den anderen Ehegatten abschließen, wodurch beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet werden, solange sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt.
1. Anwendbarkeit des § 1357 Abs. 1
Die Vorschrift des § 1357 Abs. 1 greift ein, wenn eine wirksame Ehe zwischen F und M im Zeitpunkt des Abschlusses des Behandlungsvertrags bestanden hat und sie nicht getrennt gelebt haben. Für diese Ausschlussgründe bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
2. Geschäft zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs
Der zwischen M und K bestehende Behandlungsvertrag müsste ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs gewesen sein. Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs sind alle Geschäfte, die nach den Verhältnissen der Ehegatten der Deckung ihres Lebensbedarfs dienen. Der Umfang des Lebensbedarfs bestimmt sich in Anlehnung an das Unterhaltsrecht. Dazu zählt nicht nur der gesamte Bedarf der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auch ein eventuell persönlicher Bedarf der Ehegatten und der mit ihnen gemeinsam lebenden unterhaltsberechtigten Kindern.[63] Auch Aufwendungen, die nur einem Ehegatten zugutekommen, können Teil des Lebensbedarfs der Ehegatten sein. Zu ihrem Lebensbedarf gehört auch die ärztliche Versorgung eines Ehegatten, da die Behandlung im Interesse der gesamten Familie erfolgt. Ärztliche Behandlungen dienen der Gesundheit als dem primären und ursprünglichen Lebensbedarf der gesamten Familie. Dem steht nicht entgegen, dass aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag wegen der Höchstpersönlichkeit der Leistung nur der behandelte Ehegatte berechtigt und der andere Ehegatte nur mit verpflichtet werden kann. Eine