Familien- und Erbrecht. Ute Brenneisen
wenn es den wirtschaftlichen Verhältnissen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Familie entspricht. Hierbei kommt es allein auf die tatsächlich verwirklichte Lebensführung der Ehegatten an. Im Hinblick auf die bescheidenen wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der F und des M erscheint es zweifelhaft, ob die Inanspruchnahme von Behandlungsleistungen in Höhe von 20 000 € noch als angemessen beurteilt werden kann. Allerdings können trotz des bescheidenen Lebenszuschnittes der Ehegatten ärztliche Heilbehandlungskosten auch ohne Abstimmung unter den Ehegatten zu dem angemessenen Lebensbedarf gehören, wenn es sich um unaufschiebbare und medizinisch notwendige Maßnahmen handelt. Durch die wegen des Bronchialkarzinoms erforderliche Chemotherapie sollte eine lebensgefährliche Krankheit gelindert werden, so dass eine medizinisch absolut unerlässliche Behandlung vorlag. Solche Aufwendungen zählt die Rechtsprechung[64] zu dem Grundlebensbedarf jedes Ehegatten, die infolgedessen unabhängig von den Einkommens- und Lebensverhältnissen der Familie als angemessen eingestuft werden, auch wenn sich die Ehegatten zuvor nicht darüber abgestimmt haben.
III. Ausschluss der Mithaftung
Aus § 1357 Abs. 1 S. 2 folgt nur dann eine Mitverpflichtung des nicht den Vertrag schließenden Ehegatten, soweit sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt. Das ist der Fall, wenn sich für den Vertragspartner aus dem Vertragsschluss ausdrücklich oder erkennbar der Wille des vertragsschließenden Ehegatten ergibt, nur sich allein verpflichten zu wollen.[65] Im Übrigen nimmt die Rechtsprechung an, dass eine Mithaftung für die den Lebensbedarf deckenden Geschäfte nur insoweit entsteht, wie der mitverpflichtete Ehegatte auch unterhaltsrechtlich zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Daran fehlt es, wenn das Geschäft die Leistungsfähigkeit der Familie überschreitet (sog. „Sonderbedarf“).[66] In diesen Fällen entsteht eine Mithaftung nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit des mithaftenden Ehegatten. Die durch das Bronchialkarzinom erforderlichen Heilbehandlungskosten stellen einen Sonderbedarf dar. Die Mitverpflichtung der F hängt daher von ihrer Leistungsfähigkeit ab, die sich wiederum nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie bestimmt. Da für M kein Krankenversicherungsschutz vorhanden war und die Ehegatten über kein weitergehendes Vermögen verfügten, übersteigt der durch die Heilbehandlung entstandene Sonderbedarf die Leistungsfähigkeit der Familie und damit auch der F. Ihre Mitverpflichtung ist daher gemäß § 1357 Abs. 1 S. 2 ausgeschlossen.
IV. Ergebnis
K hat daher gegen die F keinen Anspruch auf Zahlung der Heilbehandlungskosten in Höhe von 20 000 €.
1. Teil Familienrecht › C. Die Ehe › IV. Haftungserleichterungen nach § 1359
IV. Haftungserleichterungen nach § 1359
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Nach § 1359 ist der Umfang der Sorgfaltspflichtverletzung der Ehegatten auf die Sorgfalt beschränkt, die ein Ehegatte in eigenen Angelegenheiten (diligentia quam in suis) anzuwenden pflegt. Gemäß § 277 ist derjenige, der für eine solche Sorgfalt einzustehen hat, von der Haftung für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz nicht befreit. Der in § 1359 geregelte Haftungsmaßstab bezieht sich nur auf die Erfüllung der Pflichten, die sich aus den ehelichen Lebensverhältnissen ergeben. Er gilt nicht, wenn die Ehegatten sich rechtsgeschäftlich wie beliebige Dritte gegenüberstehen.
Beispiel
Ein Ehegatte ist aufgrund eines mit dem anderen Ehegatten geschlossenen Arbeitsvertrags in dessen Betrieb tätig. Beschädigt er in diesem Rahmen Waren oder Betriebsgegenstände, findet die Haftungserleichterung des § 1359 keine Anwendung.
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Der mildere Haftungsmaßstab des § 1359 ist infolge teleologischer Reduktion nach h.M.[67] auch nicht anzuwenden, wenn bei der gemeinsamen Teilnahme der Ehegatten im Straßenverkehr durch Verschulden eines Ehegatten Schäden an dem Körper oder an dem Eigentum des anderen Ehegatten entstehen. Der Geltendmachung von fahrlässig verursachten Schadensersatzansprüchen kann zudem § 1353 Abs. 1 S. 2 entgegenstehen, wenn dies den Umständen nach dem ehelichen Zusammenleben widerspricht. Nach der Rechtsprechung[68] soll sich in diesen Fällen ein stillschweigender Haftungsverzicht ergeben, der allerdings nur dann eingreift, wenn die Ehegatten nicht getrennt leben bzw. geschieden sind.
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Bei der Haftung der Ehegatten ist § 207 zu beachten, wonach die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten für die Zeit des Bestehens der Ehe gehemmt ist. Die Haftungsprivilegierung führt in Klausuren oft zum Problem des gestörten Gesamtschuldverhältnisses.
1. Teil Familienrecht › C. Die Ehe › V. Eigentumsvermutung, § 1362
V. Eigentumsvermutung, § 1362
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Für die Eigentumsverhältnisse gilt grundsätzlich die Vermutung des § 1006. Danach wird zugunsten eines Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er Eigentümer der Sache ist. Nach den allgemeinen Regelungen bestünde an den gemeinsam benutzten Gegenständen Mitbesitz der Ehegatten, der die Vermutung von Miteigentum der Ehegatten zu gleichen Teilen begründen würde, §§ 1008, 741, 742. Wegen der uneindeutigen Besitz- und Eigentumsverhältnisse in einer Ehewohnung stellt § 1362 Abs. 1 S. 1 für das Eherecht eine weitere vom Güterstand unabhängige Vermutung auf, wonach zugunsten der Gläubiger der Ehegatten vermutet wird, dass die im Besitz beider Ehegatten stehenden beweglichen Sachen dem Schuldner gehören. Die in § 1362 geregelte Vermutung gilt nur im Verhältnis zum Gläubiger und nicht im Innenverhältnis der Ehegatten untereinander.
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Die Eigentumsvermutung des § 1362 Abs. 1 S. 1 wird in der Zwangsvollstreckung durch die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO ergänzt. Nach dieser Vorschrift wird bei einer Zwangsvollstreckung gegen einen Ehegatten vermutet, dass für die Durchführung der Zwangsvollstreckung nur der Schuldner Besitzer und Gewahrsamsinhaber ist. Die Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO gewährleistet eine i.S.v. § 808 Abs. 1 ZPO verfahrensfehlerfreie Inbesitznahme des Gerichtsvollziehers auch hinsichtlich der Gegenstände, die im Eigentum des anderen Ehegatten stehen. Dem Ehegatten, in dessen Eigentum mit einem gegen den anderen Ehegatten ergangenen Titel vollstreckt wurde, steht nicht die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO zu, da die Vollstreckung wegen der Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO rechtmäßig war. Da es sich bei § 1362 um eine Vermutung i.S.v. § 292 ZPO handelt, hat der Ehegatte, der Eigentümer der gepfändeten Sache ist, die Möglichkeit, die Vermutung im Wege der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zu widerlegen. Das kann dadurch erfolgen, dass er darlegt, dass er den Gegenstand im eigenen Namen erworben bzw. der Gegenstand ihm schon vor der Eheschließung gehört hat. Im letzten Fall gilt für das Fortbestehen des Eigentums die Vermutung des § 1006.[69]
Beispiel
Gegen den Ehemann ergeht ein rechtskräftiges Urteil, durch das er verurteilt wird, 10 000 € an seinen Gläubiger G zu zahlen. Da der Ehemann nicht zahlungskräftig ist, pfändet der Gerichtsvollzieher ein wertvolles Bild in der Ehewohnung. Die Ehefrau wendet ein, das Bild stünde in ihrem Alleineigentum. Der Gerichtsvollzieher ist dennoch berechtigt, das Bild zu pfänden, da die Eigentumsvermutung des § 1362 eingreift. Da die Vollstreckung wegen der Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO rechtmäßig war, steht der Ehefrau keine Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO zu. Sie muss vielmehr die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO erheben und in diesem Rechtstreit die Vermutung des § 1362 widerlegen, indem sie ihr Alleineigentum beweist.
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