Zivilprozessrecht. Irmgard Gleußner
etwa fest, dass die Gegenforderung des Beklagten nicht besteht, ist darüber rechtskräftig entschieden. Der Beklagte kann die Gegenforderung nicht mehr klageweise bei einem anderen Gericht geltend machen. Teils wird daraus gefolgert, dass die Gegenforderung rechtshängig wird (keine Rechtskraft ohne Rechtshängigkeit). Die h.M. verneint dies.[38] Die Aufrechnung sei reines Verteidigungsmittel, keine Klage. Demnach bleiben dem Beklagten sämtliche Freiheiten erhalten. Er kann seine Gegenforderung vor einem anderen Gericht einklagen, er kann sie in einem anderen Prozess oder in mehreren anderen Prozessen zur Aufrechnung stellen oder seine Aufrechnung (ohne Beschränkung des § 269 ZPO) zurücknehmen.
Beispiel
Im Prozess von Mona gegen die V-GmbH beim AG Köln passiert folgendes: Die V-GmbH rechnet mit einer Gegenforderung in Höhe von 1000 € gegen den Anspruch auf Zahlung der Austauschkosten von Mona auf. Die Gegenforderung resultiert daraus, dass Mona Tapeten bei der V-GmbH gekauft hatte, die noch nicht bezahlt wurden (§ 433 Abs. 2 BGB). Kurze Zeit später klagt die V-GmbH den Kaufpreis für die Tapeten am AG Düsseldorf (dorthin ist Mona nach dem Tapetenkauf umgezogen) nochmals ein. Ist die Klage der V-GmbH zulässig? Lösung: Problematisch ist hier, dass die Forderung der V-GmbH schon in einem anderen Prozess (AG Köln) zur Aufrechnung gestellt wurde. Dann könnte der Klage der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegenstehen. Dies ist bei der Aufrechnung umstritten. Da nach § 322 Abs. 2 ZPO über die Gegenforderung rechtskräftig entschieden wird, vertritt eine M.M. den Standpunkt, dass Rechtshängigkeit eintritt.[39] Die h.M. verneint dies.[40] Zur Begründung wird angeführt, dass die Aufrechnung keine Klage, sondern lediglich ein Verteidigungsmittel ist. Die Klage der V-GmbH ist demnach zulässig. Ihr steht nicht der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen. Mona wird hierdurch nicht unbillig benachteiligt. Wird das Verfahren vor dem AG Köln rechtskräftig beendet, ist die Gegenforderung der V-GmbH erloschen. Die Klage vor dem AG Düsseldorf wäre damit unbegründet. Ist das AG Düsseldorf schneller und verurteilt Mona zur Zahlung, steht die Gegenforderung der V-GmbH nicht mehr als Aufrechnungsposten vor dem AG Köln zur Verfügung. Das AG Düsseldorf darf aber auch den Rechtsstreit aussetzen (§ 148 ZPO), bis das AG Köln den Fall entscheidet.
5. Rechtskraft
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Rechtskraft bedeutet, dass der geltend gemachte Streitgegenstand nicht vor Gericht erneut zur Entscheidung gestellt werden darf. Grundsätzlich wächst nur der Tenor in Rechtskraft, nicht aber die Entscheidungsgründe, wozu auch die Einwendungen des Beklagten gehören. Für die Aufrechnung regelt § 322 Abs. 2 ZPO eine Ausnahme. Geht aus dem Urteil hervor, dass die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht besteht, wird diese Feststellung rechtskräftig. Auch die Abweisung der Gegenforderung aus prozessualen Gründen (verspätetes Vorbringen § 296 ZPO oder mangelnde Substanziierung) unterfällt der Rechtskraftwirkung.[41] Gleiches gilt – obwohl vom Wortlaut des § 322 Abs. 2 ZPO nicht umfasst – nach allgemeiner Ansicht für den Fall, dass die Gegenforderung exakt durch die Aufrechnung im Prozess erloschen ist.[42] Auch diese Entscheidung entfaltet Rechtskraft. Die Gegenforderung kann nicht im Wege der Klage noch einmal vor Gericht geltend gemacht werden.
6. Schema Prozessaufrechnung
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Prozessaufrechnung
I.Zulässigkeit der Klage[43]
II.Begründetheit der Klage
1.Hauptforderung besteht
2.Prozessaufrechnung
a)prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzungen
aa)allgemeine Prozesshandlungsvoraussetzungen
Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, Postulationsfähigkeit, Rechtzeitigkeit (§ 296 ZPO), Bestimmtheit der Aufrechnung (§ 253 Abs. 2 ZPO analog)
bb)Zulässigkeit der Eventualaufrechnung
cc)anderweitige Rechtshängigkeit der Gegenforderung
VerteidigungsmittelRn. 187
dd)entgegenstehende Rechtskraft bezüglich der Gegenforderung
b)materiell-rechtliche Voraussetzungen
aa)Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB)
bb)Aufrechnungslage (§ 387 BGB)
cc)kein Ausschluss der Aufrechnung (§§ 390 ff. BGB)
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Die Eventualaufrechnung kann den Prozess deutlich verzögern, etwa weil eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich ist. Daher gibt es die Möglichkeit, ein Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) zu erlassen, sobald die Hauptforderung zur Entscheidung reif ist.[44] Der Bestand des Vorbehaltsurteils ist dann vom Ergebnis des Nachverfahrens (über die Gegenforderung) abhängig.
2. Teil Erkenntnisverfahren › E. Prozessverhalten des Beklagten zur Klage › V. Die Widerklage
1. Privilegiertes Angriffsmittel
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„Angriff ist die beste Verteidigung!“ Dieser Satz hat auch für das Zivilprozessrecht Gültigkeit. Der Beklagte muss sich nicht auf passives Verteidigen beschränken, sondern kann durch eine sog. Widerklage, die in § 33 ZPO (unzureichend) geregelt ist, zum Gegenangriff starten.
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Als Widerklage wird eine Klage bezeichnet, die der Beklagte (!) in einem Verfahren gegen den Kläger erhebt. Die Widerklage ist eine eigenständige Klage. Der Beklagte wird zum Widerkläger, der Kläger zum Widerbeklagten. Da die Widerklage „echte Klage“ und kein bloßes Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 282 Abs. 1 ZPO) ist, gelten die Präklusionsvorschriften (§ 296 ZPO) nicht. Die Widerklage kann daher bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben werden, auch mündlich (§ 261 Abs. 2 ZPO). In diesem Fall bedarf sie nicht der Form des § 253 Abs. 2 ZPO. Prozessökonomisch ist eine Widerklage oft sinnvoll, da über einen zusammengehörigen Sachverhalt entschieden wird, so dass nur eine Beweiserhebung nötig ist. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass für die Widerklage ein zusätzlicher besonderer Gerichtsstand existiert (§ 33 ZPO). Ein Gerichtskostenvorschuss muss nicht entrichtet werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GKG). Auch Kostenvorteile bezüglich der Gebühren sind zu nennen.
Beispiel
Thomas, der Freund von Mona, kauft über das Internet ein gebrauchtes Motorrad von dem Studenten Martin. Den Kaufpreis bezahlt Thomas nicht. Martin verklagt ihn vor dem AG Köln auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 4000 €. Thomas verteidigt sich gegen die Klage mit der Begründung, dass das Motorrad einen Sachmangel habe (§ 434 BGB), da der Tacho manipuliert worden sei und er daher vom Kaufvertrag zurücktrete. Thomas hatte vor der Klageerhebung einen Sachverständigen beauftragt, der die Manipulation bestätigte. Für dieses Gutachten musste Thomas 2000 € zahlen. Thomas kann nun überlegen, ob er gegen den Verkäufer Martin Widerklage auf Erstattung der Gutachterkosten (§ 439 Abs. 2 BGB) in Höhe von 2000 € erhebt oder ob er diesen Anspruch erst nach Abschluss des Prozesses gesondert einklagt. In jedem Fall muss Thomas auf die Verjährung seiner Ansprüche achten.
Betrachtet man das Prozessziel von Thomas, könnte er die Gutachterkosten auch zur (Eventual-)Aufrechnung stellen. Würde das Gericht die Kaufpreiszahlungsklage des Verkäufers als unzulässig oder unbegründet ansehen, würde über die Gegenforderungen von Thomas gar nicht entschieden. Mit einer Widerklage zwingt Thomas das Gericht