Klausurenkurs im Arbeitsrecht II. Matthias Jacobs
3. Keine unzulässige Umgehung
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Schließlich dürfen durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung nicht die Vorgaben aus § 112 I 2 BetrVG und das dieser Vorschrift zu entnehmende Verbot umgangen[37] werden, Sozialplanabfindungen von einem Klageverzicht im Interesse der Planungssicherheit des Arbeitgebers abhängig zu machen. Ob eine Umgehung vorliegt, kann regelmäßig nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Eine Umgehung ist insbesondere anzunehmen, wenn der Sozialplan keine angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht[38] oder wenn greifbare Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dem „an sich“ für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im „Bereinigungsinteresse“ des Arbeitgebers eingesetzt worden.[39]
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Zweck der BV-O ist zum einen die weitere Abmilderung von Nachteilen für die gekündigten Arbeitnehmer durch die Möglichkeit der Teilnahme an einem Outplacement-Programm, das sie bei ihren Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz unterstützen soll. Zum anderen soll die BV-O für den Arbeitgeber Planungssicherheit durch die alsbaldige „Bereinigung“ der mit Kündigungsschutzklagen verbundenen Unsicherheit schaffen.[40] Erkennbar zu diesem Zweck war die V-GmbH bereit, über ihre Verpflichtungen aus dem Sozialplan hinaus weitere Leistungen zu erbringen. Die Gegenleistung hierfür sollte der von den Arbeitnehmern zu erklärende Verzicht auf die Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens sein. Außerdem haben die Betriebsparteien bereits im Vorfeld einen Sozialplan geschlossen, welcher – auch nach Auffassung des Betriebsrats – die sozialen Folgen hinreichend abfedert. Das spricht gegen eine unzulässige Verknüpfung des Sozialplans mit einer zusätzlichen Betriebsvereinbarung, so dass es keine Umgehung darstellt, wenn der Anspruch auf die zusätzliche Abfindung vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht wird.[41]
IV. Unangemessenheit der Frist zur Verzichtserklärung
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In Betracht kommt schließlich, dass die in der BV-O für die Abgabe der Verzichtserklärung vorgesehene Frist von nur einer Woche unangemessen kurz ist. Auch bei geltungserhaltender Verlängerung der Frist auf drei Wochen oder bei Einbeziehung der Fälle, in denen die Arbeitnehmer ohne ausdrückliche Verzichtserklärung die Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG haben verstreichen lassen, ergäbe sich für A allerdings kein Anspruch auf eine Abfindung, da er weder nach Ablauf der Ein-Wochen-Frist auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet hat noch die Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG ungenutzt hat verstreichen lassen, sondern fristgemäß Kündigungsschutzklage erhoben hat. Die Frage, ob die Länge der Frist zu beanstanden ist, spielt für A daher keine Rolle.
V. Ergebnis
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A hat mithin keinen Abfindungsanspruch gegen die V-GmbH aus § 5 BV-O.
C. Ergebnis zu Frage 1
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A hat gegen die V-GmbH einen Anspruch auf Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts aus § 3 des Sozialplans. Ein Abfindungsanspruch aus der BV-O steht ihm dagegen nicht zu.
Frage 2: Erstattung der Schulungskosten
A. Erstattungsanspruch aus § 40 I BetrVG i.V.m. § 37 VI 1 BetrVG
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Ein Anspruch des Betriebsrats gegen V auf Erstattung der Teilnahmekosten könnte sich aus § 40 I BetrVG i.V.m. § 37 VI 1 BetrVG ergeben.
I. Schulungsteilnahme als Betriebsratstätigkeit
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Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die Teilnahme an der Schulung zu § 1a KSchG als Betriebsratstätigkeit i.S.d. § 40 I BetrVG anzusehen ist.
1. Schulungsteilnahme als Betriebsratstätigkeit
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Es fragt sich, ob Schulungskosten überhaupt Kosten sein können, die „durch die Tätigkeit des Betriebsrats“ entstanden sind. Das ist nur dann der Fall, wenn sie dem Aufgabenbereich entspringen, der dem Betriebsrat vom Gesetz zugewiesen ist.[42] § 37 VI, VII BetrVG ist lediglich eine Pflicht zur Freistellung von der Arbeitszeit für die Teilnahme an Schulungen zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund wurde teilweise argumentiert, es bestünde für Schulungskosten kein Anspruch auf Kostenersatz, weil die Schulungsteilnahme keine eigentliche Betriebsratstätigkeit sei und Schulungen in § 37 VI, VII BetrVG eigenständig und somit abschließend geregelt seien.[43] Dagegen spricht jedoch, dass durch Schulungen regelmäßig Kenntnisse vermittelt werden, die Voraussetzung für die ordnungsgemäße Betriebsratstätigkeit sind.[44] Dass die Freistellung für Schulungen in § 37 BetrVG eigenständig geregelt ist, darf im Übrigen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesetzgeber durch die Einbeziehung in diese Vorschrift gerade zum Ausdruck gebracht hat, dass die Teilnahme an Schulungen gleichfalls zur „normalen“ Tätigkeit des Betriebsrats rechnet.[45] Die Teilnahme an einer Schulung kann somit Betriebsratstätigkeit i.S.d. § 40 I BetrVG sein.
2. Beschluss als Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Schulungsteilnahme
a) Vorliegen eines Betriebsratsbeschlusses
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Möglicherweise ist die Teilnahme an einer Schulung aber nur dann Teil der Betriebsratstätigkeit und folglich auch erstattungsfähig, wenn der Betriebsrat einen Beschluss über die Teilnahme gefällt hat. Im Unterschied zu § 37 VII BetrVG wird dem einzelnen Betriebsratsmitglied i.R.d. § 37 VI BetrVG kein Recht auf Freistellung für eine Schulung eingeräumt. Vielmehr gibt § 37 VI BetrVG dem Betriebsrat als Kollektiv die Berechtigung, über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern zu beschließen, deren Schulung für die Tätigkeit des Betriebsrats erforderlich ist. Folglich bedarf es eines Beschlusses als Mittel zur Willensbildung des Kollektivorgans Betriebsrat (vgl. § 33 BetrVG).[46] Diesem Erfordernis ist dadurch Genüge getan worden, dass der Betriebsrat die Entsendung der Betriebsratsmitglieder zur Schulung in der folgenden Woche beschlossen hat.
b) Erforderlichkeit eines vorhergehenden Beschlusses
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Es stellt sich allerdings die Frage, wie es zu beurteilen ist, dass der Beschluss erst getroffen worden ist, nachdem die Mitglieder bereits an der Schulung teilgenommen hatten. Möglicherweise steht eine nachträgliche Beschlussfassung der Kostentragungspflicht der V-GmbH nach § 40 I BetrVG i.V.m. § 37 VI 1 BetrVG entgegen.
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Nach früherer Rspr. des BAG[47] konnte die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern auch durch einen späteren Beschluss bestätigt werden. Diese Rechtsprechung hat das BAG im Jahr 2000 aufgegeben.[48] Das BAG hält eine Entscheidung nach einem Zeitpunkt, in dem die Kosten entstanden sind, nunmehr für „rechtlich nicht möglich“. Dafür spricht in der Tat, dass es für die Beurteilung der Notwendigkeit der Schulung auf den Zeitpunkt ankommen wird, in welchem die Mitglieder über die Teilnahme entscheiden. Dieser Beurteilungsgrundsatz wird durch eine nachträgliche Beschlussfassung verfälscht. Andererseits liegen zwischen Anmeldung, Teilnahme und nachträglicher Beschlussfassung nur wenige Tage, so dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass