Klausurenkurs im Arbeitsrecht II. Matthias Jacobs
mag abschließend folgendes Standardbeispiel[3] zum Stufenbau der Subsumtion dienen:
A ist Student im ersten Semester und fragt B, ob er ihm ein Lehrbuch empfehlen kann. B bietet ihm daraufhin an, ihm sein altes Lehrbuch für 10,– EUR zu verkaufen. A ist einverstanden. Eine Woche später weigert sich B, dem A das Buch zu geben, weil er es für einen Wiederholungskurs noch braucht. Welche Ansprüche hat A?
[O1] | A könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Buches aus einem Kaufvertrag haben, vgl. § 433 I 1 BGB [Obersatz: RF = Anspruch, TB = Kaufvertrag]. |
[U1 = O2] | Ein Kaufvertrag kommt zustande durch Abgabe zweier inhaltlich übereinstimmender, mit Bezug aufeinander abgegebener Willenserklärungen, Antrag und Annahme (vgl. §§ 145, 147 BGB). [= Definition als Untersatz: Liegt ein Kaufvertrag, d.h. der TB aus dem Obersatz vor? = Obersatz auf der nachfolgenden Ebene: Was ist TB eines Kaufvertrags?] [U2] B hat erklärt, das Buch verkaufen zu wollen und damit einen Antrag abgegeben. A erklärte sich hiermit einverstanden, nahm den Antrag des A also an. [S2] A und B haben folglich einen Kaufvertrag über das Buch geschlossen. |
[S1] | Somit hat A gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Buches. |
2. Tempora im Gutachten
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Mit einem Gutachten soll in aller Regel eine gegenwärtige Rechtsfrage beantwortet werden, so dass die Antwort auf die Fallfrage und die nachfolgenden Ausführungen im Präsens abzufassen sind.
Beispiele:
„Die Kündigungsschutzklage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.“ oder „Möglicherweise hat A gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Lohn i.H.v. 1.000,– EUR aus seinem Arbeitsvertrag, vgl. § 611 I BGB. Das ist der Fall, wenn […]“
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Soweit im Gutachten auch auf bereits abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Vorgänge aus dem Sachverhalt einzugehen ist, sind diese in der Regel[4] im Perfekt (bei vollständig abgeschlossenen Vorgängen im Imperfekt) darzustellen.
Beispiele:
„B hat erklärt, das Buch verkaufen zu wollen.“ oder „An der Betriebsratssitzung haben zwei der fünf Mitglieder teilgenommen. […] Sie ist deshalb fehlerhaft gewesen.“ oder „A muss außerdem (im bereits vergangenen Zeitpunkt des Vertragsschlusses) mit Vertretungsmacht gehandelt haben.“ oder „Die Kündigungserklärung ist durch Zugang an B gem. § 130 I BGB auch wirksam geworden.“
3. Verwendung des Konjunktivs im Rahmen der Gutachtentechnik
Ausführlich bzw. vertiefend hierzu: Germann, Leitsätze zur Subsumtionstechnik, 2010, S. 9 f.; Wieduwilt, JuS 2010, 288, 290; Fleck/Arnold, JuS 2009, 881, 884; Schütze, JURA Zwischenprüfung, 1.
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In Klausurbearbeitungen wird der Konjunktiv ganz überwiegend nicht nur inflationär, sondern auch falsch angewandt. Das ist umso erstaunlicher, als bei näherem Hinsehen der Konjunktiv im Gutachten völlig verzichtbar ist.
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Uneingeschränkt zulässig ist der Konjunktiv II allein in seiner Funktion als Potentialis (!), wenn es um die Rechtsfolge (im Obersatz) geht, wenn also z.B. formuliert wird „A könnte einen Anspruch gegen B haben.“ Zwingend ist die Verwendung des Konjunktivs freilich auch in diesem Zusammenhang nicht.[5]
Gegenbeispiele:
„A hat einen Anspruch gegen B, wenn…“; „Möglicherweise hat A einen Anspruch gegen B auf Zahlung aus einem Kaufvertrag.“; „Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn…“.
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Geht es um den Tatbestand (im Untersatz), wird von vielen Studenten (und Dozenten) auf den Konjunktiv II zurückgegriffen, um auszudrücken, dass die Erfüllung des Tatbestands durch den Sachverhalt unsicher ist („müsste“). Die Verwendung des Konjunktivs in diesem Zusammenhang hat sich zwar (leider) eingebürgert, ist grammatikalisch aber nicht korrekt.[6] Fasst man ihn als Irrealis auf, wird die Erfüllung des Tatbestands unzulässigerweise im Obersatz verneint, sieht man den Konjunktiv als Potentialis an, beinhaltet er ein Wahrscheinlichkeitsurteil („Ich müsste (wohl) Zeit haben.“), das ebenfalls das Ergebnis vorwegnimmt.
Beispiel:
Statt „Dazu [damit ein Anspruch besteht] müssten A und B einen Arbeitsvertrag geschlossen haben.“ richtig „Dazu müssen A und B einen Arbeitsvertrag geschlossen haben.“
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Eindeutig falsch ist schließlich die Verwendung des Konjunktivs II in seiner Funktion als Irrealis. Der Konjunktiv bringt dann nämlich zum Ausdruck, dass eine Rechtsfolge in Wahrheit nicht gegeben ist und nimmt folglich das Ergebnis vorweg. Vollends falsch wird das Gutachten, wenn im Irrealis (also verneinend) eingeleitet wird, der Bearbeiter nach Subsumtion den Eintritt der Rechtsfolge aber trotzdem bejaht und sich somit selbst widerspricht.
Beispiele:
„Die Kündigungsschutzklage wäre begründet, wenn…“ = „sie ist nicht begründet“, richtig: „Die Kündigungsschutzklage ist begründet, wenn. . .“. „Die Erklärung wäre G zugegangen, wenn A sein Empfangsbote gewesen wäre.“ = „sie ist nicht zugegangen, weil A nicht Empfangsbote war“, richtig: „Die Erklärung ist G zugegangen, wenn A sein Empfangsbote gewesen ist.“
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Einige Bearbeiter neigen schließlich dazu, einzelne Prüfungsschritte im sog. Erschöpfungskonjunktiv enden zu lassen („Das hätten wir geschafft!“).
Beispiel:
Nicht „Damit hätte A einen Anspruch gegen B.“, sondern „Damit hat A gegen B einen Anspruch auf Übereignung des Buchs.“
4. Darstellung unproblematischer Punkte im Gutachten
Ausführlich bzw. vertiefend hierzu: Braun, Der Zivilrechtsfall, 5. Aufl. 2012, S. 13 f.; Wieduwilt, JuS 2010, 288, 290.
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Erstaunlicherweise liegt ein Schwachpunkt vieler Klausurbearbeitungen darin, auch (weitgehend) unproblematische Prüfungspunkte ansprechend abzuhandeln. Hier verfallen Bearbeiter immer wieder in eine Art „Kurz-Gutachtenstil“ (Subsumtionssyllogismus), der wenig sinnhaft ist.
Falsches Beispiel aus der Klausurpraxis:
„A dürfte keine Kündigungsschutzklage erhoben haben [warum? RF?]. A hat aber Kündigungsschutzklage erhoben [Folge?].“
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Häufig liegt das daran, dass der korrekte Obersatz und damit die relevante Rechtsfolge fehlt.
Beispiel:
„Die Wirksamkeit der Kündigung wird allerdings nach §§ 4 S. 1, 7 Hs. 1 KSchG fingiert