Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht. Alexandra Windsberger
Insolvenzmasse. Unproblematisch strafbedürftig waren solche Fälle, in denen der Schuldner die Konkursmasse dadurch schmälerte, dass er nach Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung Vermögensbestandteile bei Seite schaffte. Problematisch waren hingegen die Fälle, in denen der Täter Bestandteile seines Vermögens bei Seite schaffte oder übermäßige Summen verbrauchte und später aus anderen Gründen in Konkurs geriet. Hierbei fällt auf, dass im Rahmen der bestandsbezogenen Handlungen gerade keine zeitliche, sondern eine sachliche, tatsächliche Beziehung als maßgeblich erachtet wurde. Dies findet seine Erklärung erneut in der Art der Bankrotthandlung: ein ordnungsgemäßes Wirtschaften und der rechtstreue Umgang mit der potentiellen Masse ist für die Gläubiger in jedem Zeitpunkt von Belang, da eben niemand weiß, ob und wann ein Konkurs eintreten wird. Dennoch verlangte das RG ein Korrektiv in Form eines „äußeren Zusammenhangs“, welcher vorlag, wenn „dieselben Gläubiger oder wenigstens ein Teil von ihnen, sowohl durch die Bankrotthandlung benachteiligt, als auch durch die Zahlungseinstellung betroffen“ waren. Auch diese Passage belegt, dass es entscheidend darauf ankam, ob die Bankrotthandlung konkrete Auswirkungen auf die Positionen der Konkursgläubiger hatte. Wenn das RG eine „Betroffenheit derselben Gläubiger“ verlangt, könnte damit eine Verfügung des Täters angesprochen sein, die gerade solche Bestandteile betraf, die später zur Konkursmasse gehörten. Die Bestrafung der bestandsbezogenen Handlungen diente demnach offenbar dem materiellen Verwertungs-/Befriedigungsinteresse der Gläubiger. Mit sachlichem Zusammenhang könnte daher gemeint sein, dass sich die bestandsbezogene Handlung des Täters und die eingetretene Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung auf dieselbe Sache (denselben Gegenstand), nämlich auf die zur Befriedigung der Gläubiger vorhandene Aktivmasse (die Konkursmasse), beziehen musste. Dies bedeutet aber zugleich, dass das RG auch hier eine konkrete Benachteiligung der Gläubiger verlangte.
c) Der „tatsächliche“ Zusammenhang als restringierendes teleologisches Korrektiv?
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Die Analyse der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zeigt, dass es dem Reichsgericht in allen zu entscheidenden Fällen um die Frage ging, ob das Verhalten des Schuldners im konkreten Einzelfall bestraft werden soll. Allgemein hängt diese Frage davon ab, ob der Schuldner durch sein Verhalten die Tatbestandsmerkmale eines Strafgesetzes verwirklicht hat.[108] Die Subsumtion unter den zugrundeliegenden Rechtssatz (in der Regel § 210 KO) bereitete jedoch zunächst keine Schwierigkeiten. Bereits die Koexistenz von schuldhafter Bankrotthandlung und tatsächlichem Konkurseintritt eröffneten nach dem Wortlaut der Norm eine Bestrafung des Täters. Die Entscheidungsgründe der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zeigen jedoch, dass die Rechtsbegriffe des Bankrotttatbestandes nicht allein in ihrem grammatikalischen Sinne gedeutet wurden.[109] Obwohl das Geschehene unter den Tatbestand fiel, sollte die Rechtsfolge nicht eintreten, weshalb der Tatbestand mit einem zusätzlichen Unrechtsmerkmal „aufgefüllt“ wurde. Bei der Frage, ob die vom Schuldner vorgenommene Handlung und sein Konkurseintritt strafbarbedürftig sind, stellte das RG maßgeblich auf die konkrete Beeinträchtigung oder Gefährdung der Gläubiger im Einzelfall ab, was einige Passagen belegen:
– | „Das Gesetz bedroht zwar den einfachen Bankrott mit Strafe, weil sich das Delikt als eine Gefährdung der Vermögensansprüche der Gläubiger darstellt. Das Interesse der Gläubiger ist daher auch der Grund, auf welchem sich die Grenzbestimmung aufbaut; ist dasselbe erloschen, so kann auch die erst demnächst begangene, sich als Bankrotthandlung darstellende Tat nicht mehr strafbar werden“.[110] |
– | „Es besteht auch noch nach der Aufhebung des Konkursverfahrens ein Interesse der Gläubiger an dem Vorhandensein der Handelsbücher fort.“[111] |
– | „Die in den §§ 209 ff. KO vorgesehenen Handlungen und Unterlassungen sind an sich nicht strafbar, solange nicht die durch die Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung bedingte Beeinträchtigung der Gläubigerrechte hinzutritt.“[112] |
– | „Darin aber verkörpert sich gerade die Bedeutung der Tat als zu strafende Gefährdung der Gläubigerinteressen in dem Zustande der Zahlungseinstellung: ohne sie ist ein Bankrott, also auch der strafbare Bankrott, begrifflich nicht denkbar.“[113] |
– | „Das Wesen des strafbaren Bankrotts blieb aber immer die Beeinträchtigung der Forderungsrechte der Gläubiger, welche in der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung an den Tag tritt.“[114] |
– | „Ein solcher Zusammenhang ergibt sich aus dem Urteil, denn es werden darin mehrere Gläubiger erwähnt, deren Forderung schon zur Zeit der Bankrotthandlung im Juni 1948-Februar 1949 bestanden, aber auch zur Zeit der Zahlungseinstellung (Ende April 1949) noch nicht getilgt waren.“[115] |
– | „Die Bestrafung eines Schuldners nach § 240 Abs. 1 Nr. 1 KO kann nicht eintreten, wenn die durch Spiel verbrauchten übermäßigen Summen nicht aus dem Vermögen herrührten, das die Gläubiger zu ihrer Befriedigung in Anspruch nehmen konnten.“[116] |
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Diese Passagen belegen, dass das RG die Bestrafung des Bankrotttäters davon abhängig machte, ob eine Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen oder der Vermögensansprüche der Gläubiger im Einzelfall vorlag. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers wurde diese konkrete Auswirkung der Bankrotthandlung jedoch gerade vermutet bzw. unterstellt. Entsprechend der Deliktsstruktur der Konkursstrafbestimmungen fehlte gerade ein tatbestandlicher Rechtsgutsbezug, der bei Erfolgsdelikten durch das Erfolgsunrecht normiert wird. Diesen Umstand korrigierte das Reichsgericht mittels Auslegung, indem der fehlende tatbestandliche Rechtsgutsbezug über den „tatsächlichen Zusammenhang“ hergestellt wurde. Die Pönalisierung eines bloßen Verhaltens ohne unmittelbaren (kausalen) Schädigungserfolg erschien unangemessen. Das Unrecht der Tat wurde damit eindeutig erfolgsorientiert interpretiert. Ein Täter, der die Bankrotthandlung schuldhaft vornahm und bei dem Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung auch tatsächlich eingetreten sind, wurde nur dann bestraft, wenn zusätzlich ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen Handlung und Beeinträchtigung der Interessen, Rechte, oder Positionen der Konkursgläubiger (verkörpert durch Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung) feststellbar war. Das durch Subsumtion unter den Normtext gefundene Ergebnis wurde im Wege einer ergänzenden, teleologischen Auslegung modifiziert, so dass eine Bestrafung des Täters nach § 210 KO von einer „irgendwie gearteten konkreten Gläubigergefährdung“ abhing. Diese Interpretation des Reichsgerichts impliziert jedoch im Mindestmaß einen Kausalzusammenhang zwischen Handlung und konkreter Gefährdung/Beeinträchtigung. Das Reichsgericht stellte dabei wahlweise auf die Interessen, das Vermögen, die Vermögensrechte oder die Forderungsrechte der Konkursgläubiger ab. Je nach Schutzobjekt erschien das Verletzbarkeitskriterium jedoch als überaus schwierig. Um die Grenzen des Wortlauts nicht zu überdehnen, wurde stattdessen darauf verwiesen, dass ein Kausalzusammenhang gerade nicht erforderlich sein soll. Diese formale Feststellung führt jedoch insgesamt zu einer inkonsistenten Interpretation, da das Reichsgericht im Kern einen Kausalzusammenhang prüfte und diesen lediglich umetikettierte. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung hatte damit die Aufgabe eine gesetzlich nicht fixierte Beziehung des Täterverhaltens zur Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts herzustellen. Der „tatsächliche Zusammenhang“ umschrieb damit im Kern den Zusammenhang zwischen Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung bzw. Rechtsgutsgefährdung. Dafür spricht auch, dass das RG bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Merkmale des Relativsatzes als Tatbestandsmerkmal eingeordnet hat.[117] Die Tatsache, dass der Zusammenhang