Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht. Alexandra Windsberger
der Tatsache, dass der Begriff des Rechtsguts weder definiert noch in seiner Funktion bestimmt war, ist kaum verwunderlich, dass das Meinungsspektrum zum Rechtsgut der Konkursdelikte außerordentlich vielfältig war.[150] Gemeinsamer Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Norm an den eigenen Konkurseintritt des Schuldners anknüpft („...indem er seine Zahlungen einstellt, oder über sein Vermögen...“). Daher war Gegenstand einer breiten Diskussion, welchen Schutz Dritter der Gesetzgeber mit der Schaffung der Norm bezweckt haben könnte. Die überwiegende Ansicht sah das „geschützte Rechtsgut“ im Rahmen des Bankrotts, akzessorisch zur Konkursordnung, im „vermögensrechtlichen Schutz der vom Konkurs betroffenen Gläubiger“.[151] Geschützt werde also das „Vermögen der Gläubiger“.[152] Da das Vermögen jedoch ein bloßer Sammelbegriff sei, müsse näher konkretisiert werden, aus welchen schützenswerten Bestandteilen, Positionen und Zuständen sich der Begriff des Vermögens zusammensetze.[153] Die Einzelauffassungen hierzu reichen vom Vermögen in Gestalt der „Gläubigerforderungen“, über die „einzelnen Forderungsrechte“ der Gläubiger[154], bis hin zum „materiellen Befriedigungsrecht“ der Gläubigerschaft[155] oder aber den „fremden Vermögensrechten insgesamt“.[156]
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Vermehrt wurde, in Anlehnung an Birnbaum, darauf hingewiesen, dass „das Recht“ der Gläubiger auf Erfüllung einer Forderung durch ihre Nichterfüllung nicht berührt werde.[157] Das geschützte Rechtsgut sei daher die den Forderungsrechten als Grundlage dienenden „Forderungen selbst“, und damit sämtliche Forderungen im wirtschaftlichen Sinne.[158] Andere vertraten mit Liszt,[159] dass das geschützte Rechtsgut „Interessen“ natürlicher Personen seien. Interesse sei hierbei „der Wert, den der Eintritt oder Nichteintritt einer Veränderung in der Außenwelt hat“. Für den Bankrott bedeutete dies, dass der Bankrotteur die „Aussicht der Gläubiger auf Befriedigung ihrer Forderungen“ verletze,[160] das geschützte Rechtsgut also die materiellen „Befriedigungsinteressen“ der Gläubiger seien.[161] Nur deshalb sei auch das Vernichten der Bücher mit Strafe bedroht, da die Gläubiger sich dann die „für die Wahrung ihrer Forderungen notwendige Kenntnis nicht beschaffen können.“[162] Ausgehend von diesen diversen Interpretationen des geschützten Rechtsguts ordneten die Vertreter die Tatbestandsmerkmale des Bankrotts neu. Fraglich war nunmehr, worin der Angriff des Täters auf dieses Rechtsgut lag, was also gleichsam das Unrecht der Bankrotttat ausmachte.
2. Der Relativsatz als Umschreibung der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“
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Ausgehend von der Prämisse, dass der Bankrott den Vermögensdelikten zuzuordnen sei und das Vermögen der Konkursgläubiger oder ihre Befriedigungsinteressen schütze, stellten sich die Autoren in einem zweiten Schritt die Frage, worin nun der Angriff durch den Bankrotteur auf dieses Rechtsgut liege.[163] Hierbei waren die Autoren der Ansicht, dass dem Relativsatz bei der Bestimmung des Unrechts entscheidende Bedeutung zukomme.[164] Die Elemente der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung kennzeichneten gerade den „Vermögensverfall“, also den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners, weshalb die „Rechtsgutsbeeinträchtigung“ gerade in diesem Umstand „zu Tage trete“.[165] Erst, wenn entweder eine Befriedigung der Gläubiger wegen Forderungsausfalls gänzlich unterbleibt (wegen ZE) oder aber die Gläubiger eine quotale Befriedigung hinnehmen müssen (nach einer Entscheidung des Gerichts im Konkursverfahren), sei „dieses“ Rechtsgut betroffen.[166] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung besäßen mithin „rechtsgutsumschreibende Funktion“, der Eintritt des Bankrotts mache aus einer Handlung erst eine Bankrotthandlung.[167] Die Bankrotthandlung sei für sich genommen eine bloße Einwirkung auf den eigenen Vermögensstand, die ohne Eintritt des „Falliments“ straflos bleibe.[168] Für den Schutzzweck der Norm sei „die Herrschaftsbeziehung des Verletzten zu seinem Rechtsgute entscheidend, das durch die vom Täter ausgehende normwidrige Handlung angegriffen wird, welches bei den Konkursverbrechen erst durch die Zahlungseinstellung ins Dasein berufen wird“.[169] Die Konkurseröffnung bzw. Zahlungseinstellung verhalte sich daher zum Rechtsgut und dessen Subjekt wie „die Ursache zur Wirkung“.[170] Insofern folgte das Schrifttum den Ausführungen des Reichsgerichts. Die Merkmale der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien daher den „Tatbestandsmerkmalen“ zuzuordnen.[171] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien ein „objektives Merkmal bzw. Element der tatbestandsmäßigen Handlung “[172], eine Art „Erfolg“[173] oder ein besonderes persönliches Tätermerkmal.[174] Unabhängig davon, dass dem Relativsatz kein genauer Platz innerhalb des Tatbestandes zugewiesen werden konnte, spreche nach Ansicht der Vertreter jedenfalls der Sinn und Zweck der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung für eine Einordnung als gesetzliches Tatbestandsmerkmal, wegen der Nähe dieser Merkmale zum geschützten Rechtsgut.[175]
3. Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und „Rechtsgutsbeeinträchtigung“?
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Letztlich war offen, was nun das Verhalten des Täters mit der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“, also der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung, „zu tun haben“ musste.[176] Sieht man in den Merkmalen der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung die Rechtsgutsbeeinträchtigung in Form der Schädigung oder Gefährdung des Vermögens der Gläubiger, ihrer Rechte oder ihrer Interessen, dann liegt die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen Handlung und Konkurs nahe. Wenn gerade die Zahlungseinstellung jener Zustand ist, der die Befriedigungsinteressen oder das Vermögen der Gläubiger und damit das geschützte Rechtsgut gefährdet oder verletzt, weshalb Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung die Umstände sind, um deren Willen der Schuldner bestraft wird, dann kann der Schuldner außerdem nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn er diesen Umstand verschuldet.[177] Angesichts des eindeutigen Wortlauts und dem Willen des historischen Gesetzgebers sei jedoch auf beides gerade zu verzichten.[178] Stattdessen vertrat das Schrifttum in Anlehnung an das RG, dass der Zusammenhang zwischen Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung ausnahmsweise kein Kausalzusammenhang sei, sondern ein „Zusammenhang sui generis“:
1.) | Nach einer Ansicht sei das Verhältnis zwischen Bankrotthandlung und Bankrott durch einen schuldindifferenten äußeren, tatsächlichen Zusammenhang hinreichend beschrieben.[179] |
2.) | Die Gegenansicht sah ein, dass es sich im Kern um einen Kausalzusammenhang handelte. Um den Wortlaut der Vorschrift nicht zu überdehnen müsse dieser Kausalzusammenhang allerdings ausnahmsweise nicht positiv festgestellt werden, sondern werde präsumiert.[180] |
a) Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „schuldindifferenter äußerer Zusammenhang“ zwischen Handlung und Erfolg?
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Zur Begründung führten die Vertreter an, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien lediglich „äußere Tatbestandsmerkmale“.[181] Danach bestehe der Tatbestand eines Deliktes nicht nur aus Tatbestandsmerkmalen, die vom Täter verschuldet werden müssen (Tathandlung und Erfolg), sondern darüber hinaus enthalte jeder Tatbestand weitere äußere, schuldindifferente Tatbestandsmerkmale.[182] Die Zahlungseinstellung sei als solche nicht verboten und müsse demgemäß auch nicht schuldhaft begangen werden.[183] Die Beziehung zwischen der Handlung und den schuldindifferenten Tatbestandsmerkmalen sei daher, wie vom RG zutreffend definiert, mit dem Begriff des „äußeren, tatsächlichen Zusammenhangs“ hinreichend erfasst.[184] Ein Definitionsvorschlag oder eine nähere Konkretisierung für diesen „Zusammenhang“ fehlte.
b) Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „präsumtiver Kausalzusammenhang“?
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Angesichts der Schwierigkeiten im Hinblick auf einen derart unbestimmten Zusammenhang, bediente sich die Gegenansicht