Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht. Alexandra Windsberger
Ungeklärt war beispielsweise von welchem Merkmal der Beginn der Verjährung abhängen sollte. Wenn die Verjährung mit Eintritt des Konkurses beginnen soll, wird man zugeben müssen, wie bereits von Wach zutreffend erwähnt, dass „unbegrenzte Zeit zwischen dem Konkurs und der ihr vorausgehenden Bankerutthandlung liegen kann“.[233] Dann aber kann die Strafbarkeit völlig unbegrenzt in die Zukunft verlagert werden.[234] Der „tatsächliche Zusammenhang“ enthielt hierbei jedenfalls keine verbindliche zeitliche Grenze für den Beginn der Verjährung sofern der Konkurs der Handlung nachfolgte. Für den umgekehrten Fall, die Tathandlung erfolgt nach Eintritt des Konkurses, stellte der 1. Senat[235] lediglich auf das Interesse der Gläubiger ab. Der Beginn der Strafverfolgungsverjährung stünde dann aber zur Disposition der Gläubiger, was zweifelhaft erscheint.
b) Inkonsistenzen im Bereich der Versuchsstrafbarkeit
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Der 1. Senat hatte die Frage zu beantworten, ob eine Versuchsstrafbarkeit wegen Bankrotts vor Eintritt des Konkurses möglich sein konnte.[236] In der Begründung wurde zunächst festgestellt, dass, sofern der Täter zu einer der beschriebenen Tathandlungen „unmittelbar ansetzt“, eine Versuchsstrafbarkeit vorliegt, auch wenn eine Zahlungseinstellung nicht erfolgt.
Es entspreche allgemeiner Überzeugung, dass „der Versuch nicht verlangt, dass ein Anfang der Ausführung aller Tatbestandsmerkmale vorliege, sondern es genügt, dass der Täter in Voraussicht oder Erwartung der Zahlungseinstellung, absichtlich zur Benachteiligung der Gläubiger Vermögensstücke beiseite schafft“.[237]
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Damit bejahte der 1. Senat, der seinerseits Vertreter des „tatsächlichen Zusammenhangs“ war, eine Strafbarkeit wegen versuchten Bankrotts, ohne auf das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ einzugehen.[238] Der 1. Senat, der sich einige Jahre zuvor für das grundsätzliche Erfordernis eines Zusammenhangs aussprach, wendete diesen bewusst nicht auf den Versuch an, da er ansonsten genötigt gewesen wäre, darzulegen, ob und inwieweit der „tatsächliche Zusammenhang“, der nicht Kausalzusammenhang ist, antizipierbar wäre und subjektiv bezogen werden muss. Dies bedeutete aber, dass nach Ansicht des Reichsgerichts der Vollendungstäter auf das Fehlen des „tatsächlichen Zusammenhangs“ und damit auf ein strafbarkeitseinschränkendes Korrektiv hoffen konnte, der Versuchstäter hingegen nicht. Dann aber würde die Versuchsstrafbarkeit härter bestraft werden als die vollendete Tat, was systemwidrig erscheint.
c) Inkonsistenzen im Bereich der Teilnahmestrafbarkeit
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Ebenso große Schwierigkeiten bereitete die Übertragung des Korrektivs auf die Fälle der Teilnahme am Bankrott. In einer Entscheidung des 4. Senats vom 2.7.1895[239] wegen Beihilfe zum Bankrott war wegen des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät zu klären, welche Anforderungen an den doppelten Gehilfenvorsatz zu stellen sind.
„(...) Hierin (in der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung) ist vom Gesetze ein Tatbestandsmerkmal fixiert, nicht eine Voraussetzung der Strafverfolgung oder eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Als Strafbarkeitsbedingungen insbesondere lässt man nur Umstände gelten, welche zu der Tat als ihr innerlich fremde hinzutreten, nicht die Elemente der Tat selbst. Hier aber verkörpert sich gerade die Bedeutung der Tat als zu strafende Gefährdung der Gläubigerinteressen in dem Zustande der Zahlungseinstellung: ohne sie ist ein Bankrott, also auch der strafbare Bankrott, begrifflich nicht denkbar. Sonach ergibt sich, dass auch dieses Tatbestandsmerkmal in der Weise, wie es seiner Bedeutung entspricht, vom Vorsatze umfasst werden muss. Unbestritten wird nicht erfordert und kann bei einzelnen Begehungsformen nicht erfordert werden, dass die Bankrotthandlung die Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) verursacht habe. Es hat sich folglich der Vorsatz nicht in der Richtung geltend zu machen, dass der Schuldner in der Voraussicht handele, dass seine Tat jenen Erfolg haben werde. Dagegen kann aus diesem Umstand nicht die Folgerung abgeleitet werden, dass nunmehr die Zahlungseinstellung außer allem und jedem Zusammenhange mit der Willensrichtung des Täters stehen dürfe. Wie jederzeit eine objektive Beziehung der Bankrotthandlung zur Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) vorhanden sein muss, um die Strafbarkeit der Tat zu begründen, so muss auch die Erkenntnis, dass solche Beziehung bestehe, ein Element des Vorsatzes bilden, also ein Handeln in dem Bewusstsein vorliegen, dass der Bankrotthandlung eine Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) vorangegangen sei oder in einem Zeitpunkte, der jene Beziehung noch zulässt, nachfolgen werde.“[240]
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Eine Bestrafung des Gehilfen hing demnach davon ab, ob ihm subjektiv die Erkenntnis, „dass eine objektive Beziehung zwischen Handlung und ZE besteht“, nachgewiesen werden konnte. Hier offenbart sich in aller Deutlichkeit die Vagheit und Unbestimmtheit des „tatsächlichen Zusammenhangs“ und die sich daraus ergebene Unmöglichkeit, ihn als Korrektiv auf sämtliche Fälle des Bankrotts zu übertragen.
3. Zusammenfassung
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Ziel des RG war es, mit Hilfe des Zusammenhangs eine sachgerechte Rechtsanwendung zu gewährleisten und einen Strafgrund des Bankrotts auszumachen.[241] Als entscheidend wurde hierbei die (schädliche) Wirkung der Bankrotthandlung in der Außenwelt angesehen. Die Pönalisierung einer bloßen Handlung, ohne eine solche „drittschädigende Wirkung“, wurde als „unangemessen“ empfunden.[242] Zusammenfassend:
1.) | Der „tatsächliche Zusammenhang“ ist ein übergesetzliches strafbarkeitseinschränkendes Korrektiv in Form eines Zusammenhangs zwischen Handlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung, der einen Bezug zwischen Handlung und Schädigungserfolg in der Außenwelt herstellt. |
2.) | Der „tatsächliche Zusammenhang“ kann als schuldindifferenter Zusammenhang dogmatisch nicht abgesichert werden. |
3.) | Der „tatsächliche Zusammenhang“ entspricht inhaltlich einem Kausalzusammenhang zwischen Bankrotthandlung und der Benachteiligung/Gefährdung der Konkursgläubiger. |
Anmerkungen
Hagemeier in: Steinberg/Valerius/Popp, Wirtschaftsstrafrecht, 129 (134); Lindemann Voraussetzungen und Grenzen legitimen Wirtschaftsstrafrechts, S. 196; Lackner in: Lackner/Kühl, StGB, § 283 Rn. 29; Hoyer in: SK-StGB, Bd. V, Vor § 283 Rn. 2; Radtke/Petermann in: MüKo-StGB, Vor § 283 Rn. 106 f.; D.-M. Krause Ordnungsgemäßes Wirtschaften, S. 305; Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd., Vor § 283 Rn. 92; Penzlin Strafrechtliche Auswirkungen der InsO, S. 185; Richter in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 81 Rn. 11; Weyand/Diversy Insolvenzdelikte, Rn. 59; Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 402; Fischer StGB, Vor § 283 Rn. 17. Differenzierend: Bittmann in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rn. 314 ff. und Dannecker/Hagemeier in: Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, Rn. 1017 ff.
BGHSt 1, 186 (186 ff.); GA 1954, 73; JZ 1979, 75; MDR 1981, 454; BGHSt 28, 231 (232) = JR 1979, 512; NStZ 2008, 401; NJW 2009, 3383; NStZ 2012, 89; wistra 2014, 354 (354).
BGH Urt. v. 8.5.1951, BGHSt 1, 186 (186).
Deutsches