Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
nur insoweit erfasst, als sich dieser aus Vorsteuerbeträgen zusammensetzt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind.[65] § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hindert nicht die Aufrechnung des Finanzamts mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den aus dem Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters herrührenden Vorsteueranspruch des Insolvenzschuldners. Die für das Finanzamt durch den Vorsteueranspruch des Schuldners entstandene Aufrechnungslage beruht nicht auf einer nach der InsO anfechtbaren Rechtshandlung.[66]
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Bezüglich der bereits behandelten Unterscheidung von einfachem („schwachen“) vorläufigen Insolvenzverwalter und qualifiziertem („starken“) vorläufigen Insolvenzverwalter[67] ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass der („starke“) vorläufige Insolvenzverwalter steuerlich als Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO eingestuft wird. Dadurch treffen ihn nicht nur die steuerlichen Pflichten des Schuldners – wie etwa die Abgabe entsprechender Steuererklärungen oder Steueranmeldungen –, sondern er ist auch Adressat von Verwaltungsakten des Finanzamts. Darunter fallen insbesondere Steuerbescheide auf Grund von nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Steueransprüchen als sonstigen Masseverbindlichkeiten und für Prüfungsanordnungen. Durch eigene Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse kann der Verwalter zudem eigene steuerliche Verbindlichkeiten im Sinne von Steuerforderungen begründen. Diese sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als sonstige Masseverbindlichkeiten vorweg zu begleichen, allerdings nur dann, wenn sie erst nach Insolvenzeröffnung begründet wurden. In diesen Fällen sind sie durch Steuerbescheid geltend zu machen.[68]
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Widerspricht ein Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzverwalter einer zur Insolvenzmasse angemeldeten Steuerforderung, so steht es dem Finanzamt als Steuergläubiger zu, die Feststellung der Forderung gegen den Widersprechenden zu betreiben.[69] Die Bearbeitung dieses Widerspruchs hängt im Wesentlichen von der Titulierung des Anspruchs ab, wovon auszugehen ist, wenn ein Bescheid vor Insolvenzeröffnung bekanntgegeben oder eine Steueranmeldung abgegeben wurde.[70] Bei der Behandlung von Widersprüchen hat sich eine spezielle Kasuistik herausgebildet: Bei rechtskräftiger Steuerforderung wirkt die Bestandskraft auch gegen den Widersprechenden, der jedoch Wiedereinsetzungsgründe im Sinne von § 110 AO[71] vorbringen kann. Dem Finanzamt kommt an dieser Stelle das Selbsttitulierungsrecht zugute. So kann es einen in Inhalt, Form und Begründung einem Feststellungsurteil entsprechenden Feststellungsbescheid gegen den Insolvenzverwalter erlassen, durch welchen Bestehen, Höhe und Fälligkeit der angemeldeten Steuerforderung festgestellt werden. Hierbei ist zu beachten, dass ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassener bestandskräftiger Steuerbescheid nicht einem Titel nach § 179 Abs. 2 InsO gleichzustellen ist, bei welchem die Verfolgung des Widerspruchs dem Bestreitenden obliegt.[72] Gegen den Feststellungsbescheid kann der Widersprechende Einspruch, gegen die darauf ergehende Entscheidung Klage erheben.[73]
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Bei vor Insolvenzeröffnung ergangenen und noch nicht rechtskräftigen Steuerbescheiden unterbricht die Verfahrenseröffnung den Lauf der Rechtsbehelfsfrist. Das Finanzamt erlässt einen Feststellungsbescheid, wenn ein Widerspruch gegen die angemeldete Forderung erhoben wurde. Folgt man der Rechtsprechung[74], so hat das Finanzamt demjenigen, der die Forderung bestreitet, gem. § 240 ZPO analog die Aufnahme des Steuerstreitverfahrens zu erklären. Der unterbrochene Lauf der Rechtsbehelfsfrist beginnt dann mit Zustellung dieser Erklärung von neuem. Nach Einspruch durch den Bestreitenden ist das Einspruchsverfahren nach der Abgabenordnung abzuwickeln.
Wurde bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Festsetzung einer Steuerforderung ein Rechtsbehelf eingelegt, so fordert das Finanzamt den Bestreitenden zur Rücknahme des Widerspruchs innerhalb einer angemessenen Frist oder zur Aufnahme des Steuerstreitverfahrens auf.[75] Leistet der Bestreitende dem keine Folge, nimmt das Finanzamt von Amts wegen das Verfahren wieder auf und führt – je nach Fallkonstellation – das Einspruchs- oder Klageverfahren fort, bzw. erlässt einen Insolvenzfeststellungsbescheid.
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Wenn bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bislang keine Steuerforderungen durch einen Steuerbescheid festgesetzt wurden, erlässt das Finanzamt einen Feststellungsbescheid gem. § 251 Abs. 3 AO. Hierbei handelt es sich mangels Steuerfestsetzung allerdings um keinen Steuerbescheid im klassischen Sinne, so dass dieser nur gem. der §§ 129 ff. AO geändert werden kann.
Gegen die angemeldete Steuerforderung kann im Prüfungstermin auch der Schuldner Widerspruch einlegen, wodurch die Feststellung der angemeldeten Forderung zwar nicht gehindert wird (§ 178 Abs. 1 S. 2 InsO), das Finanzamt nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aber nicht aus dem Tabelleneintrag vollstrecken kann (§§ 251 Abs. 2 S. 2 AO, 201 Abs. 2 InsO).
a) Sozialamt und Sozialversicherungsträger als Gläubiger eines Schuldners in der Insolvenz
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Als Gläubiger eines insolventen Schuldners teilen das Sozialamt bzw. der Sozialversicherungsträger das gleiche Schicksal wie das Finanzamt. Die Möglichkeit der vorrangigen Geltendmachung von Forderungen im Insolvenzverfahren hat der Gesetzgeber abgeschafft. Diesbezüglich kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.[76] Besonderheiten ergeben sich jedoch im Vorfeld des Insolvenzverfahrens.
b) Das Sozialamt als Gläubiger eines Schuldners vor der Insolvenz
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Hat ein Schuldner auch beim Sozialamt Rückstände, scheitert die Durchführung eines Insolvenzverfahrens regelmäßig an der fehlenden Masse. Unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen der §§ 811 ff., 850 ff. ZPO kommt oftmals nur eine Aussetzung des Verfahrens in Betracht, wenn nicht ausnahmsweise aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung geringe Beträge geleistet werden können.
c) Der Sozialversicherungsträger als Gläubiger eines Schuldners vor der Insolvenz
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Gerät ein Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage, so sinkt seine Bonität und seine finanzielle Flexibilität nimmt ab. Bestehenden Zahlungspflichten kann der Schuldner nicht mehr in ausreichendem Maße nachkommen. Eine solche Entwicklung tangiert auch den Sozialversicherungsträger des Schuldners. Regelmäßig werden in diesem Stadium der Krise die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung trotz ihrer Fälligkeit[77] nicht mehr ordnungsgemäß abgeführt. Dem Schuldner droht eine Strafbarkeit nach § 266a StGB.[78] Die Pflicht zum Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen wird durch ein Insolvenzverfahren nicht suspendiert.[79] Bei Taten nach § 266a StGB handelt es sich um Insolvenzdelikte im weiteren Sinne,[80] die in der Praxis eine große Rolle spielen.
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › E. Das Insolvenzverfahren › V. Stellung des Schuldners im Insolvenzverfahren
1. Verlust von Rechten
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Mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann dem bisherigen Schuldner gem. § 22 Abs. 1 S. 1 InsO ein Verfügungsverbot auferlegt werden. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Dem Schuldner werden