Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
Geschicke des in Schieflage geratenen Unternehmens. Bereits mit dem Eröffnungsbeschluss werden die Drittschuldner des insolventen Schuldners gem. § 28 Abs. 3 InsO aufgefordert, in Zukunft nicht mehr an den Schuldner, sondern nur noch an den Insolvenzverwalter zu leisten. Dies trifft den insolventen Schuldner mit Blick auf seine Bonität und finanzielle Flexibilität erheblich, insbesondere wenn das Unternehmen über hohe Außenstände verfügt, die er nicht mehr beitreiben kann.
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Darüber hinaus trifft den insolventen Schuldner die Postsperre des § 99 InsO. Je nach Beschluss des Insolvenzgerichts sind bestimmte oder alle Postsendungen des Schuldners an den Insolvenzverwalter umzuleiten, soweit dies erforderlich erscheint, um für den Gläubiger nachteiligen Rechtshandlungen von Seiten des Schuldners vorzubeugen oder nachteilige Rechtshandlungen aufzuklären.[81] Der Schuldner ist vor einer solchen Anordnung anzuhören, wenn dies den Grund der Anordnung nicht gefährdet. Im Beschluss ist darauf entsprechend hinzuweisen. Gemäß § 99 Abs. 2 S. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter zum Öffnen der Post berechtigt. Insolvenzfremde Sendungen hat er an den Schuldner weiterzuleiten, die übrigen Sendungen kann der Schuldner einsehen. Gegen die Anordnung der Postsperre steht dem Schuldner gem. § 99 Abs. 3 InsO die sofortige Beschwerde zur Verfügung. Eine Verfassungsbeschwerde mit der Begründung, § 99 InsO verstoße gegen das Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG, erscheint wenig erfolgversprechend.[82] Der Gesetzgeber hat die Problematik erkannt und ist in § 102 InsO darauf eingegangen. Damit ist zugleich dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG Genüge getan.
2. Auferlegung von Pflichten
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Ein eingeleitetes Insolvenzverfahren verringert nicht nur den Rechtskreis des Schuldners, sondern erweitert auch seinen Pflichtenkreis. Fortan trifft den Schuldner eine Reihe von Verpflichtungen, deren Einhaltung eine geordnete Abwicklung der Insolvenz zum Schutz der Gläubiger ermöglichen soll. Sie dienen primär der Haftungsverwirklichung und ersetzen diejenigen Pflichten, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gegenüber einzelnen Gläubigern bestehen.[83]
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Besonders hervorzuheben sind die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Sinne des § 97 InsO.[84] Zu ihrer Erfüllung hat sich der Schuldner gem. § 97 Abs. 3 InsO auf gerichtliche Anordnung aktiv jederzeit zur Verfügung zu stellen (Satz 1) und passiv sämtliche Handlungen zu unterlassen, die ihrer Einhaltung zuwiderlaufen (Satz 2). Da § 97 InsO keine zeitlichen Grenzen vorsieht, bestehen diese Verpflichtungen für die gesamte Dauer des Verfahrens,[85] von der Zulassung des Insolvenzantrags im Eröffnungsverfahren[86] bis zur Aufhebung des Verfahrens[87] bzw. bis zur Einstellung desselbigen[88]. Dies gilt nicht für das Restschuldbefreiungsverfahren, dessen sechsjährige Wohlverhaltensfrist bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu laufen beginnt.[89]
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Zur Durchsetzung der genannten Pflichten stehen dem Insolvenzgericht gem. § 98 InsO verschiedene Instrumentarien zur Verfügung. So kann das Gericht gem. § 98 Abs. 1 S. 1 InsO eine Versicherung des Schuldners an Eides statt zu Protokoll anordnen, wenn dies zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich erscheint[90], oder den Schuldner unter den in Absatz 2 genannten Voraussetzungen zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen.[91] Letzteres ermöglicht der Gesetzgeber der Justiz, wenn der Schuldner eine Auskunft, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung oder generell die Mitwirkung bei der Erfüllung der Aufgaben des Insolvenzverwalters verweigert (§ 98 Abs. 2 Nr. 1 InsO) bzw. sich der Erfüllung seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten insbesondere durch Flucht zu entziehen versucht (§ 98 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Schließlich besteht auch die Möglichkeit der präventiven Vorführung und Inhaftierung, wenn dies zur Sicherung der Insolvenzmasse erforderlich ist, weil der Schuldner dadurch von Handlungen abgehalten wird, die der Einhaltung der genannten Pflichten zuwiderlaufen (§ 98 Abs. 2 Nr. 3 InsO).[92] Gegen die Inhaftierung ist gem. § 98 Abs. 3 S. 3 InsO die sofortige Beschwerde statthaft.
a) Auskunftspflichten des Schuldners
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Die Insolvenzordnung sieht in verschiedenen Verfahrensabschnitten Auskunftspflichten des Schuldners vor, die gegenüber unterschiedlichen Auskunftsberechtigten bestehen. Im Eröffnungsverfahren besteht die Auskunftspflicht gem. § 20 Abs. 1 S. 1 InsO gegenüber dem Insolvenzgericht und gem. § 22 Abs. 3 S. 3 InsO gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter. In beiden Fällen gilt § 97 InsO entsprechend. Im eröffneten Verfahren ist der Schuldner gem. § 97 InsO verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss[93] und auf Anordnung des Gerichts auch der Gläubigerversammlung[94] über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben (§ 97 Abs. 1 S. 1 AO).[95] Dabei hat der Schuldner auch Tatsachen zu offenbaren, die dazu geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen (§ 97 Abs. 1 S. 2 AO).[96] Diese Verpflichtung trifft den Schuldner direkt und unmittelbar, wobei nicht nur der Schuldner persönlich verpflichtet wird, sondern über § 101 Abs. 1 S. 1 InsO auch vorhandene Mitglieder eines Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafter. Dass auch bis zu zwei Jahre vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus einer der vorgenannten Positionen ausgeschiedene Personen erfasst werden (§ 101 Abs. 1 S. 2 InsO), dient der Verhinderung eines ansonsten durch Amtsniederlegung möglichen Missbrauchs. Eine überflüssige Belastung ehemaliger organschaftlicher Mitglieder soll jedoch verhindert werden.[97] Zu beachten ist außerdem, dass nach der wohl herrschenden Meinung auch einen faktischen Geschäftsführer die Pflichten nach § 97 InsO treffen können.[98]
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Der Schuldner hat die Auskunft persönlich und mündlich zu erteilen, wenn ihm nicht im Einzelfall eine schriftliche Erstattung genehmigt wurde.[99] Ein Recht auf schriftliche Auskunftserteilung oder Erteilung über einen Rechtsanwalt besteht nicht. Zumutbarkeitserwägungen bleiben grds. unberücksichtigt. Gemäß § 97 Abs. 1 S. 1 InsO sind Gegenstand der Auskunft alle das Insolvenzverfahren betreffenden Verhältnisse, wobei dieser Begriff weit auszulegen ist und sämtliche Vorgänge erfasst, die in irgendeinem Bezug zum Insolvenzverfahren stehen.[100] Dies können auch vorbereitende Arbeiten sein, soweit sie für eine sachdienliche Information des Verwalters notwendig sind. Hingegen fallen persönliche Tatsachen, die weder in einem Bezug zum Insolvenzverfahren noch zur sonstigen vermögensrechtlichen Situation des Schuldners stehen, nicht unter die Auskunftspflicht.[101] Erfasst werden vielmehr das primär in die Insolvenzmasse fallende Vermögen des Schuldners i. S. v. § 35 InsO, Forderungen gegenüber Dritten, Aus- und Absonderungsrechte sowie solche Umstände, die eine Insolvenzanfechtung gem. der §§ 129 ff. InsO begründen können.[102]
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Die Auskunftspflicht erschöpft sich nicht in Sachverhalten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern erstreckt sich auch auf Umstände, die erst nach Verfahrenseröffnung eingetreten sind. Selbst im Falle der Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen durch die Staatsanwaltschaft ist der Schuldner weiterhin verpflichtet, im Rahmen seiner präsenten Kenntnisse Auskunft zu erteilen, und kann sich nicht mittels eines Verweises an die Staatsanwaltschaft seiner insolvenzrechtlichen Pflichten entziehen.[103]
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Eine Konkretisierung des verfassungsrechtlich garantierten Grundsatzes der Selbstbezichtigungsfreiheit[104] und des strafprozessualen Auskunftsverweigerungsrechts bezüglich naher Angehöriger findet sich in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.[105] Danach darf eine in Erfüllung der Pflicht aus § 97 Abs. 1 S. 1 InsO getroffene Auskunft in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Schuldner selbst oder eine im Sinne von § 52 StPO schutzwürdige Person nur mit Zustimmung des Schuldners verwendet werden.[106] Darunter fallen aus Sicht