Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha
herausgehobene betriebswirtschaftliche Bedeutung für Unternehmen bereits in wirtschaftlich „gesunder“ Zeit. Kreditinstitute stellen Geschäftskunden gegen Entgelt und Sicherheit Kredit (Liquidität) zur Verfügung, um Investition und Produktion – d.h. unternehmerische Tätigkeit – zu ermöglichen.[4]
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Die Motive zur Konkursordnung[5] enthalten die prägnante Wertung: „Wo es keinen Kredit gibt, da ist überhaupt ein Konkurs kaum denkbar“.[6] Kurz Levy: „Die Quelle aller Konkurse ist der Kredit“.[7] Schon frühzeitig wurde also auf eine enge wirtschaftliche Verknüpfung zwischen Kredit (Kreditgeschäft der Banken) und dem Eintritt wirtschaftlicher Krisen in Gestalt eines Konkurses (einer Insolvenz) im wirtschaftlichen wie im rechtlichen Sinn hingewiesen. Dieser Zusammenhang sowie die Bedeutung der Kreditentscheidung der Bankverantwortlichen für die weitere Entwicklung einer ökonomischen Krisensituation sind zu untersuchen. Für die anschließende Beurteilung insolvenzstrafrechtlicher Risiken sind dabei vor allem die Auswirkungen der Entscheidung von Interesse, auf eine vorzeitige Darlehensrückführung in der Krise des Bankkunden hinzuwirken.
Teil 2 Bankgeschäft und Insolvenz – zivil- und insolvenzrechtliche Grundlagen, wirtschaftliche Zusammenhänge › A › I. Wirtschaftliche Krise des Bankkunden
I. Wirtschaftliche Krise des Bankkunden
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Die wirtschaftswissenschaftliche Beurteilung der betriebswirtschaftlichen Situation eines Unternehmens als „ökonomische Krise“ ist von der Rechtsfrage abzugrenzen, ob zugleich bereits die Voraussetzungen eines Insolvenzgrundes i.S. der §§ 16 ff. InsO verwirklicht sind. Eine einheitliche rechtliche Definition der Voraussetzungen einer Unternehmenskrise existiert nicht.[8] Der Begriff „Krise“ im ökonomischen Sinn wurde vom Gesetzgeber vormals etwa in Zusammenhang mit den Bestimmungen über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen im Kontext der GmbH behandelt.[9] § 32a Abs. 1 GmbHG a.F. enthielt eine Legaldefinition des Merkmals „Krise der Gesellschaft“. Eine Krise lag danach vor, wenn „ihr [scil. der GmbH] die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten“.[10]
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Auf einer hohen Abstraktionsebene wird Krise als „in der Regel unerwartet eintretende Störung eines Systems“ bezeichnet, „die den Fortbestand des Systems bei ausbleibenden Korrekturmaßnahmen oder deren Misslingen bedroht“.[11] Bezogen auf die Beurteilung der ökonomischen Situation von Unternehmen wird der Beginn einer wirtschaftlichen Krise bereits in demjenigen Zeitpunkt angesiedelt, in dem „es der Unternehmensleitung nicht mehr gelingt, durch geeignete Entscheidungen im Investitions- oder Finanzbereich den Unternehmensgesamtwert zu steigern oder auf dem einmal erreichten Niveau zu halten“.[12] Schon unter diesen Umständen bestehe die Gefahr, dass sich die wirtschaftliche Konstitution des betroffenen Unternehmens ohne Hilfe „von Außen“, d.h. ohne wirtschaftliche Unterstützung durch Dritte,[13] stetig verschlechtere, so dass das Unternehmen schließlich in eine Lage gerate, nicht sämtliche Forderungen von Unternehmensgläubigern (der Finanzplanung entsprechend) zum Zeitpunkt der Fälligkeit vollständig erfüllen zu können.[14] Dies sei etwa der Fall, wenn das Unternehmen in einen Liquiditätsengpass gerate oder mit Verlust arbeite, sich aber „aus eigener Kraft“ nicht aus dieser Lage zu befreien vermag.[15] Dieser Zustand wird terminologisch ebenfalls mit den Schlagworten „Insolvenzreife“ bzw. „Sanierungsbedürftigkeit“ umschrieben.[16] Darüber hinaus finden sich im Schrifttum weitere uneinheitliche Bezeichnungen ökonomischer Krisensituationen, wonach Unternehmen als „krisen- oder insolvenzgefährdet“ bzw. als „kreditunwürdig“ eingestuft werden.[17]
Teil 2 Bankgeschäft und Insolvenz – zivil- und insolvenzrechtliche Grundlagen, wirtschaftliche Zusammenhänge › A › II. Insolvenzrechtliche Krisenbegriffe
1. Ziel des Insolvenzverfahrens – Konsequenzen für Bank und Bankkunden
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Das Insolvenzverfahren bezweckt eine gemeinschaftliche, grundsätzlich gleichmäßige Befriedigung der Forderungen sämtlicher Insolvenzgläubiger aus dem Vermögen des Schuldners (par condicio creditorum).[18] Eröffnung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens führen zu erheblichen Einschnitten in Rechtspositionen des betroffenen Gemeinschuldners, ebenfalls, in freilich milderer Form, auf Seiten der Gläubigerschaft.[19] Daneben sind auch die gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen auf Seiten des Schuldners, nicht selten allerdings auch für einzelne Gläubiger, bei der Auslegung der Tatbestände, die eine Insolvenzverfahrenseröffnung rechtfertigen, zu bedenken.
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Primärer Verfahrenszweck ist es, häufig durch die Liquidation des Schuldnervermögens und die anschließende Verteilung der Verwertungserlöse,[20] eine auskömmliche Befriedigung der Insolvenzforderungen zu erreichen.[21] Daneben ermöglicht § 1 S. 1 InsO ebenfalls, „abweichende Regelungen insbesondere zum Erhalt des Unternehmens“ in einem Insolvenzplan zu treffen. Die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen (ggf. in Form einer übertragenden Sanierung) tritt als eigenständige Alternative neben die Liquidation des Schuldnervermögens, um die Insolvenzforderungen der Gläubigerschaft möglichst weitgehend auszugleichen. Sanierung und Reorganisation begründen allerdings in Relation zu dem primären Verfahrensziel nach im Schrifttum überwiegender Auffassung keinen gleichrangigen Verfahrenszweck.[22] Eine Sanierung des Schuldnerunternehmens wird vielmehr zutreffend als nur untergeordnetes, „nachrangiges“ bzw. „partielles“ Ziel des Insolvenzverfahrens charakterisiert.[23]
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Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).[24] Das Insolvenzverfahren führt überdies zur Offenbarung der Vermögensverhältnisse des Schuldners in öffentlichen Registern (vgl. §§ 26 Abs. 2, 30 bis 33 InsO).[25] Das Insolvenzrecht bewirkt damit erhebliche Eingriffe insbesondere in die grundrechtlich geschützten Positionen des Insolvenzschuldners, namentlich in das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), in die Berufsausübungs- und Handlungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG).[26]
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Das Insolvenzverfahren begründet allerdings ebenfalls negative Rechtsfolgen, zugleich ökonomische Nachteile, für einzelne Insolvenzgläubiger. Das Gesamtvollstreckungsverfahren verdrängt die Einzelzwangsvollstreckung.[27] Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung durch Gläubiger werden unzulässig (§ 89 InsO). Der Prioritätsgrundsatz (§ 804 Abs. 3 ZPO)[28] entfällt.[29] Rechtsausübung und Rechtsdurchsetzung werden auf Gläubigerseite auch verfahrensrechtlich „kollektiviert“.[30] Die Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) können ihre Forderungen nur entsprechend der Vorgaben des Insolvenzrechts verfolgen (§ 87 InsO). Insolvenzforderungen werden im Ergebnis tatsächlich häufig nur zu einem geringen Anteil quotenmäßig befriedigt. Die Gesamtgläubigerschaft bildet in diesen Fällen zugleich eine proportionale Verlustgemeinschaft.[31] Dementsprechend geraten immer wieder Unternehmen, die mit dem Gemeinschuldner, etwa als Lieferanten, wirtschaftlich verbunden waren, selbst in Insolvenzgefahr, weil sie ihre Forderungen nicht, oder nur zu einem Bruchteil realisieren können (sog. Dominoeffekt).[32] Nicht selten allerdings sind die Forderungen einzelner Gläubiger durch „insolvenzfeste“ Sicherheiten geschützt.[33] Eben dies ist gerade in der Praxis des Kreditgeschäfts der Banken durch die Bestellung geeigneter Kreditsicherheiten häufig gewährleistet.[34]
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Die Kollision der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen von Schuldner und Gläubigerschaft