Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen. Matthias Jahn
Jedermannseigenschaft – die persönlichen Voraussetzungen › III. Prozessfähigkeit
III. Prozessfähigkeit
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Das BVerfGG enthält keine Bestimmungen über die Prozessfähigkeit. Darunter versteht man auch im Verfassungsprozess die Fähigkeit eines Beteiligten, Verfahrenshandlungen wirksam vorzunehmen und entgegenzunehmen oder durch einen selbst gewählten Vertreter vornehmen zu lassen. Wie schon bei der Festlegung der Parteifähigkeit[58] bleibt es dem Gericht überlassen, „Grundlagen für eine zweckentsprechende Gestaltung des Verfahrens in Analogie zum sonstigen Verfahrensrecht zu bestimmen“[59]. Wegen der besonderen Eigenart des Verfassungsbeschwerdeverfahrens können die einschlägigen Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen jedoch nicht ohne Weiteres übertragen werden.[60] Die Verfahrensfähigkeit wird vielmehr von der Ausgestaltung der einzelnen Grundrechte entscheidend beeinflusst und muss deshalb gesondert für jeden Einzelfall bestimmt werden.[61] Daraus ergeben sich auch für die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen einige spezielle Probleme:
1. Grundrechtsmündigkeit/Einsichtsfähigkeit
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Eine Abhängigkeit der Prozessfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit lehnt das BVerfG mit Recht ab. Für natürliche Personen wird an die im Schrifttum entwickelte Figur der „Grundrechtsmündigkeit“ angeknüpft. Es entspricht allerdings der Rechtsprechung des Gerichts,[62] dass die Prozessfähigkeit nur ausnahmsweise vor der zeitlichen Schwelle der Volljährigkeit liegen kann. Das Gericht stellt bei Minderjährigen deshalb grds. auf deren Einsichtsfähigkeit ab und zieht ergänzend Regelungen aus Spezialgesetzen (z. B. zur Religionsmündigkeit) zur Bestimmung der Frage der Grundrechtsmündigkeit heran,[63] vgl. § 5 RelKErzG.
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Soweit allerdings ein jugendlicher Straftäter die Altersgrenze der § 19 StGB, § 3 S. 1 JGG zur Strafmündigkeit überschritten hat und deshalb ab seinem 14. Lebensjahr am strafgerichtlichen Ausgangsverfahren beteiligt werden kann, muss dies auch für die Verfassungsbeschwerde gelten. Psychisch Gestörte und Betreute sind schon wegen Art. 19 Abs. 4 GG in den Verfahren als prozessfähig zu behandeln, in denen eine Maßnahme zu beurteilen ist, die gerade wegen ihres Geisteszustandes getroffen wurde.[64] Im Strafverfahren fallen darunter vor allem Probleme der Anwendung der §§ 20, 21 oder § 63 StGB sowie § 81 StPO.
2. Vertretung und Interessenkollision
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In den übrigen Fällen können gesetzliche Vertreter oder Sorgeberechtigte Verfassungsbeschwerde für ihre Schutzbefohlenen erheben.[65] Dabei kann es zu Interessenkonflikten zwischen Vertreter/Sorgeberechtigtem und dem Minderjährigen kommen. Das kann auch bei Verfassungsbeschwerden in Strafsachen eine Rolle spielen, bspw. in Fällen des Kindesmissbrauchs durch die Eltern, wenn Eltern Verletzte einer Straftat ihres minderjährigen Kindes geworden sind und generell bei der Ausübung von Zeugnisverweigerungsrechten, insbesondere aus persönlichen Gründen (§ 52 StPO).
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Das BVerfG[66] hat offen gelassen, inwieweit das Recht auf Vertretung des minderjährigen Kindes durch die Eltern auch dann besteht, wenn Interessenkonflikte zwischen Sorgeberechtigtem und Kind nicht auszuschließen sind. In solchen Fällen ist jedenfalls dann im Zweifel ein Ergänzungspfleger zu bestellen, wenn der Gesetzgeber nicht in anderer Weise für eine hinreichende Berücksichtigung der Kindesinteressen im Verfassungsbeschwerdeverfahren sorgt.[67]
3. Postulationsfähigkeit
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Eindeutig geregelt ist für den seltenen Fall einer mündlichen Verhandlung die Postulationsfähigkeit des Beschwerdeführers. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BVerfGG muss er sich – erst jetzt – durch einen Anwalt oder Hochschullehrer vertreten lassen.[68]
Anmerkungen
Seit BVerfGE 1, 4 (5); BVerfGE 1, 5 (6); siehe etwa BVerfGE 50, 381 (384) = NJW 1979, 1543.
BVerfGE 79, 203 (209) = NJW 1989, 1275; Schlaich/Korioth Rn. 206; Dörr Verfassungsbeschwerde, Rn. 20.
Vgl. Benda/Klein Verfassungsprozessrecht, Rn. 433 ff.; Pestalozza Verfassungsprozessrecht § 12 Rn. 33; Hillgruber/Goos Verfassungsprozessrecht, Rn. 137 f.; Zuck Verfassungsbeschwerde, Rn. 676 f.
BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats Beschl. v. 25.4.1990 – 2 BvR 411/90, juris.
BVerfGE 6, 389 (442 f.); ausf. Rauber DÖV 2011, 644; Marsch AöR 137 (2012), 593 (617 ff.).
BVerfGE 69, 188 (201) = NJW 1985, 2939.
Vgl. BVerfGK 9, 62 (70) = NJW 2007, 351; Benda/Klein Verfassungsprozessrecht, Rn. 434; Zuck Verfassungsbeschwerde, Rn. 677; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, Einl. Rn. 238b.
Siehe Marxen/Tiemann Wiederaufnahme, Rn. 497 ff.
BVerfGE 6, 389 (442 f.); BVerfGE 37, 201 (206) = NJW 1974, 1860 (1861); krit. Benda/Klein Verfassungsprozessrecht, Rn. 436.
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) waren z. B. im Jahr 2005 etwa 27,5 % und im Jahr 2015 22,4 % der Tatverdächtigen Kinder, Jugendliche oder Heranwachsende: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2016/pks-2015.
Siehe unten Rn. 87 f.
Zu den Einzelheiten BVerfGE 107, 104 (117 f.) = StraFo 2003, 84.
Im Jahre 2004 waren 23,2 % und in 2014 26 % aller aufgrund der Begehung einer Straftat Verurteilten Ausländer: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Rechtspflege/Tabellen/AuslaendischeVerurteilte.html.