Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
auf den Dienstleistungshandel sowie den Schutz geistigen Eigentums. Erfasst sind also auch solche Formen von Dienstleistungen, die den Grenzübertritt (vor allem die Einreise) von Personen oder gar bestimmte Formen der Niederlassung implizieren wie es im Rahmen des WTO-Rechts für das GATS gilt, sowie die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“, die im Rahmen des WTO-Rechts vom TRIPS-Abkommen angesprochen werden. Beseitigt ist auch die für bestimmte Bereiche bislang aufrechterhaltene gemischte Kompetenz der EU und der Mitgliedstaaten. Insoweit sind also die Mitgliedstaaten nicht mehr berechtigt, Abkommen mit Drittstaaten abzuschließen bzw. sich an deren Abschluss zu beteiligen. Soweit Abkommen der EU mit Drittstaaten allerdings – wie häufig – auch Materien regeln, die nicht in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik fallen, richtet sich die Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten weiterhin nach den oben erwähnten Grundsätzen der erwähnten „AETR-Rechtsprechung“ des EuGH zu den implied powers, die auch in Art. 3 Abs. 2 AEUV ihren Niederschlag gefunden hat.
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Es ist also auch in Zukunft nicht gewährleistet, dass die EU im Hinblick auf den Abschluss von Übereinkommen mit Drittstaaten, die über die Vereinbarung von Regelungen betreffend den Einsatz handelspolitischer Instrumente hinausgehen, ohne weiteres als Einheit auftreten kann. Man denke etwa an die neue Generation von „WTO-plus“-Abkommen, die auch Materien regeln, die weit über Fragen des Waren- und Dienstleistungshandels oder des Schutzes geistigen Eigentums hinausgehen (siehe zu diesen Abkommen unten Rn. 216).
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Sowohl im Hinblick auf ihre autonome als auch auf ihre konventionelle Handelspolitik sind die Union und ihre Mitgliedstaaten jedenfalls an die in Art. 206 AEUV niedergelegten primärrechtlichen „einheitlichen Grundsätze“ gebunden. Sie verpflichten die Union auf eine liberale Handelspolitik, dh auf eine weitestgehende Öffnung des Binnenmarkts gegenüber Drittstaaten. Dementsprechend ist die Einfuhr von Waren in die EU im Grundsatz ebenso frei[55] wie auch die Ausfuhr.[56] Hinsichtlich des Einsatzes beschränkender handelspolitischer Steuerungsinstrumente ist die EU an die Einschränkungen gebunden, die sich aus den von ihr abgeschlossenen völkerrechtlichen Übereinkommen bzw. aus ihrer Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen ergeben. Hinsichtlich des Grades der jeweiligen Marktöffnung ist dabei völkerrechtlich auch weiterhin zwischen Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr zu unterscheiden.
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Hervorzuheben ist die – bislang neben der eigenständigen Mitgliedschaft der einzelnen Mitgliedstaaten bestehende – Mitgliedschaft der EU in der WTO (siehe dazu Rn. 211).[57] Sie ist ebenfalls Vertragspartei der diversen WTO-Übereinkommen (insbesondere des GATT und des GATS sowie des TRIPS-Übereinkommens), die umfassende Bindungen bezüglich des Einsatzes handelspolitischer Instrumente enthalten und auf diese Weise im Bereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ein erhebliches Maß der Marktöffnung gegenüber Drittstaaten sowie eine Beschränkung des Einsatzes handelspolitischer Instrumente (wie insbesondere von Antidumpingzöllen oder Ausgleichszöllen für unzulässige Exportsubventionen) verbindlich vorschreiben.[58] Dabei hat der EuGH dem WTO-Recht allerdings keine unmittelbare Anwendbarkeit innerhalb der EU zugesprochen.[59]
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Ein wesentlich intensiveres und umfassenderes wirtschaftliches Integrationsverhältnis ist die EU mit den EFTA-Mitgliedern Liechtenstein, Island und Norwegen durch die Gründung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) eingegangen (siehe dazu Rn. 185 ff.).[60] Das EWR-Recht ist dem EU-Recht weitestgehend nachgebildet, insbesondere hinsichtlich der wirtschaftlichen Verkehrsfreiheiten und der Wettbewerbsregeln. Der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ist somit auch im Rahmen des EWR verwirklicht. Die Beziehungen zur Schweiz bleiben noch dahinter zurück, wenngleich die bilateralen Übereinkommen, welche die EG mit der Schweiz abgeschlossen hat, ebenfalls zu einer weitgehenden Marktöffnung beigetragen haben (siehe dazu Rn. 193 ff.). Im Übrigen hat die EU mit unterschiedlichen Gruppen von Drittstaaten Assoziierungsabkommen vereinbart, die teils eine künftige Mitgliedschaft vorbereiten sollen (Beitrittsassoziierungen gem. Art. 217 AEUV), teils die Nachbarschaftsbeziehungen regeln (Art. 8 EUV), teils der Entwicklungszusammenarbeit und der Steigerung des Handelsverkehrs mit afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten) dienen (Entwicklungsassoziierungen gem. Art. 4 Abs. 4 AEUV iVm Art. 198 ff., 208 ff., 212 AEUV). Entsprechend unterschiedlich ist der in diesen Übereinkommen vorgesehene Grad der Marktöffnung und des Wettbewerbsschutzes (siehe dazu näher untern Rn. 189 ff., 202 ff., 206 ff.).
2. Investitionen
Literatur:
Johansen Die Kompetenz der Europäischen Union für ausländische Direktinvestitionen nach dem Vertrag von Lissabon, in: Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 90 (2009); Gnebel Überlegungen zur Wahrnehmung der neuen EU-Kompetenz für ausländische Direktinvestitionen nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, RIW 2009, 469; Bungenberg/Griebel/Hindelang (Hrsg.) Internationaler Investitionsschutz und Europarecht (2010); Herrmann Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, 207; Woolcock Das Konzept für die Auslandsinvestitionspolitik der EU nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon (2010); Tietje Bilaterale Investitionsschutzverträge zwischen EU-Mitgliedstaaten als Herausforderung im Mehrebenensystem des Rechts, KSzW 2011, 128; Bungenberg Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 13, 743; Reinisch Internationales Investitionsschutzrecht, in: Tietje (Hrsg.) Internationales Wirtschaftsrecht (2. Aufl. 2015) § 8, 398.
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Grenzüberschreitende Investitionen sind zunächst einmal Kapitalanlagen und somit eine Frage des Kapitalverkehrs. Ihr Zweck muss sich aber nicht – wie im Falle von „Portfolioinvestitionen“ – in der verzinslichen Anlage von Kapital erschöpfen,[61] sondern kann auch auf die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten durch die Errichtung bzw. den Erwerb von Unternehmen abzielen. Dann berühren sie auch die Personenfreizügigkeit und das Niederlassungsrecht im Verhältnis zu Drittstaaten wie es bei „Direktinvestitionen“ der Fall ist. Grenzüberschreitende Investitionen können also je nach ihrer Eigenart durch Kapitalverkehrsbeschränkungen und/oder durch Beschränkungen der Personenfreizügigkeit bzw. des Niederlassungsrechts behindert werden.
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Gem. Art. 63 AEUV besteht die Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich auch im Verhältnis zu Drittstaaten. Diesen Grundsatz hatte bereits die Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG zur Durchführung des ehemaligen Art. 67 EWG-Vertrag[62] eingeführt. Er ist dann durch den Vertrag von Amsterdam in das Primärrecht aufgenommen worden (Art. 73b EG, später: Art. 56 EG) und unverändert auch im Vertrag von Lissabon enthalten. Kapitalverkehrsbeschränkungen haben typischerweise den Charakter von Verboten bzw. Genehmigungsvorbehalten für bestimmte Transaktionen oder von Devisenkontrollen. Solche Beschränkungen sind nach Art. 63 AEUV auch im Verhältnis zu Drittstaaten verboten. Das gilt sowohl für den Import als auch für den Export von Kapital. Das Beschränkungsverbot richtet sich an die Mitgliedstaaten. Vorbehalten sind gem. Art. 65 AEUV gewisse steuerliche Maßnahmen, die den Kapitalverkehr berühren können. Ob die EU eine Kompetenz zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen hätte, erscheint höchst fraglich.