Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
Hinsichtlich der wichtigsten Elemente s. die Ausführungen zur fahrlässigen Tötung o. § 3, im Übrigen s. AT §§ 42–44.
Schröder NJW 71, 1143; Blei JA 71, 378; Klußmann NJW 73, 1079. A.A. OLG Oldenburg NJW 71, 631.
§ 10 Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225)
Schrifttum:
Hoppe, Strafrechtlich nicht verfolgbare Kindesmißhandlungen, UJ 67, 123; Jacobsen, Der gesetzliche Schutz des Kindes gegen körperliche Mißhandlungen, StrAbh. 160; W. Meurer, Probleme des Tatbestandes der Mißhandlung Schutzbefohlener (§ 223b StGB), Diss. Köln 1997; Pollack, Der strafrechtliche Schutz des Kindes, StrAbh. 267; Schleich, Der neue strafrechtliche Schutz der Pflegebefohlenen, JW 34, 15; R. Schmidt, Verbrechen am Seelenleben des Menschen, GS 42, 57; U. Schneider, Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987; Ullrich, Die Kindesmißhandlung in strafrechtlicher, kriminologischer und gerichtsmedizinischer Sicht, 1964.
I. Wesen der Tat
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Eine besondere Strafdrohung gegen die Misshandlung Schutzbefohlener, die Kehrseite des früheren Züchtigungsrechts (s.o. § 8 Rn. 19), wurde erstmals 1912 geschaffen (§ 223a Abs. 2 a.F.) und 1933 zu § 223b verselbstständigt, wobei die Tathandlungen sinnigerweise dem kurz zuvor erlassenen Tierschutzgesetz entnommen wurden. Durch das 6. StrRG 1998 erhielt er die jetzige Paragrafennummer und wurde verschärft (Strafbarkeit des Versuchs, Aufstufung der Regelbeispiele zu Qualifikationen und damit zu Verbrechen). Pro Jahr werden ca. 3000 Fälle polizeilich registriert. Die allgemeine Publizistik hat sich des Themas lebhaft angenommen und sieht in der Kindesmisshandlung die Kompensation von Frustrationen im beruflichen und gesellschaftlichen Leben[1].
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§ 225 bestraft das Quälen oder rohe Misshandeln bestimmter Gruppen wehrloser Personen, die dem Täter anvertraut und von ihm abhängig sind. Ob § 225 überhaupt in den Rahmen der Körperverletzung gehört, mag dahingestellt bleiben (vgl. o. § 8 Rn. 3 ff.) – jedenfalls ist er keine bloße Abwandlung des Grundtatbestandes, sondern reines Sonderdelikt. Dies folgt einmal daraus, dass § 225 rechtsgutsmäßig aus dem Rahmen der Körperverletzung herausragt: Objekt der Handlung kann zwar auch die Körperintegrität sein, ebenso aber auch die seelische Verfassung, sodass sich als Rechtsgut des § 225 die konstitutionelle Ganzheit des Menschen darstellt, die – im Gegensatz zur allgemeinen injuria (s.o. § 8 Rn. 2) – vom Täter nicht nur missachtet, sondern in ihrer Gesamtfunktion verletzt wird. Damit ist auch der konstruktive Unterschied des § 225 gegenüber § 223 klargestellt. Er ist ihm gegenüber nur teilweise ein Plus (insofern als die „Misshandlung“ des § 223 durch die „Rohheit“ der Gesinnung verschärft wird), im Übrigen etwas substantiell anderes: das „Quälen“ ist diejenige Tatform, die sich primär gegen die Seele des Opfers richtet und dessen leibliche Funktionen ganz außer Betracht lassen kann (RG DR 45, 22).
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Die hier vertretene Auffassung wird historisch dadurch gerechtfertigt, dass „Verbrechen am Seelenleben des Menschen“ mindestens seit Feuerbach (Kaspar Hauser 1831) als neuer selbstständiger Deliktstyp verlangt wurden[2]. De lege ferenda wurden sie vor 1933 insbes. von Kahl gefordert. Das Gesetz vom 26.5.33 ordnete den § 223b zwar innerhalb der Körperverletzungen ein, vermied aber peinlich jede sonst naheliegende Bezugnahme auf die Körperverletzung (vgl. dagegen § 224–§ 228)[3]. Das RG sah § 223b dagegen als Qualifikation des § 223 an, wobei es den weiteren Anwendungsbereich mit dem Hinweis auf seine Geringfügigkeit abtun zu können glaubte[4], während die heute h.M. § 225 in eine unselbstständige und eine selbstständige Abwandlung aufspaltet[5].
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Die Folgen der Sonderdeliktsnatur sind weittragend: § 228 scheidet aus, da die Sittenwidrigkeit der Tat hier infolge des Gesinnungsmomentes zwangsweise bestehen bleibt; als Grundlage der §§ 226 und 227 kann § 225 nicht dienen (Ersatzbestimmung: Strafschärfung des Abs. 3); Außenseiter haften ohne Rücksicht auf eigene Qualifikationsverhältnisse nach § 225 (freilich mit der Strafmilderung nach § 28 Abs. 1); bei seelischer Misshandlung ist Idealkonkurrenz mit Körperverletzung möglich.
Anmerkungen
S. z.B. Vorgänge 1973 H. 5. Zur Kriminologie und Kriminalistik Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind (1982); Haesler (Hrsg.), Kindesmisshandlung (1983); Bußmann, Verbot familiärer Gewalt gegen Kinder (2000). Zu den prozessualen Schwierigkeiten bei der Aufklärung Kohlhaas JR 74, 89 ff.
So insbes. R. Schmidt GS 42, 57. Eingehend Küper, Das Verbrechen am Seelenleben, 1991.
Anhänger der hier vertretenen Auffassung: Stree/Sternberg-Lieben S/S 1, Meurer S. 93; Küpper BT 1 I § 2 Rn. 46; OLG Karlsruhe HRR 37/1055.
RG 70, 359; 71, 363. Ebenso heute Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 6 Rn. 84.
La/Kühl 1; Rengier II § 17 Rn. 1; Otto § 20 Rn. 1 f.; Gössel 1 § 16 Rn. 1; Fischer 2; im Gegensatz zu seiner bisherigen Auffassung jetzt auch Hirsch LK11 1 angesichts der neuen Deutung von § 28 Abs. 2 als bloße Strafzumessungsregel (Roxin LK11 § 28 4 ff.; s. schon Meurer S. 89).
1. Der objektive Tatbestand
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a) Der objektive Tatbestand ist alternativ in zwei Gruppen zerlegt. Bestraft wird a) das Quälen oder rohe Misshandeln oder b) die Gesundheitsschädigung durch böswillige Vernachlässigung der Sorgepflicht, und zwar beides nur gegenüber bestimmten Personengruppen. Objekt der Tat sind Personen unter 18 Jahren oder wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit Wehrlose, die der Fürsorge oder Obhut des Täters unterstehen, seinem Hausstand angehören, vom Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen oder ihm sonst untergeordnet sind.
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b) Die Beurteilung der einzelnen Obhuts- und Unterordnungsverhältnisse (vgl. hierzu auch u. § 20 III B, IV B) bietet im Einzelnen keine größeren Schwierigkeiten. Wesentlicher sind die allgemeinen Voraussetzungen. Zunächst braucht kein rechtlich begründetes Autoritätsverhältnis vorzuliegen; auch tatsächlich begründete Verhältnisse (Aufnahme eines verirrten Kindes bis zur Ermittlung der Eltern) reichen aus (a.A. BGH NJW 82, 2390). Ein Verhältnis von nicht ganz vorübergehender Dauer setzt allerdings sowohl „Obhut“ als auch „Fürsorge“ voraus[6]. Ferner ist für das Verhältnis das Vorliegen gerade einer Personen-Fürsorge oder -Obhut wesentlich; ein Pfleger, der nur die finanziellen Belange des Schutzbefohlenen wahrzunehmen hat, scheidet aus. Als Beispiel