Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
54) gleich. Kompulsiver Zwang ist möglich durch Zufügung von Übeln wie Schmerzen, seelischen Übeln (Einwirkung auf nahestehende Personen, Lieblingstiere oder Gegenstände mit Affektionsinteresse) mit konkludenter Fortsetzungsdrohung, die Schaffung fortwirkender derartiger Zustände, die Schaffung schadensdrohender oder wartungsbedürftiger Zustände und schließlich auch durch sonstige zum Ausweichen zwingende Umweltveränderungen (z.B. Lahmlegung der öffentlichen Verkehrsmittel durch Taxiunternehmer). Eine Freiheitsberaubung kann als Gewalt nur die Unterlassung des Weggehens und dieses voraussetzender Handlungen, nicht aber Handlungen und die Duldung von Handlungen am Körper erzwingen (Schroeder FS Gössel 422).
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Ordnet man die bisherige Rechtsprechung in diese Abstufungen des Zwanges ein, so liegen die bedenklichen Grenzen innerhalb der Einwirkung auf den Körper bei den Fällen der Einwirkung über die Sinne (Schreckschüsse, Richten einer Pistole, Auffahren) und der bloßen Zufügung von Kälte und Witterungsunbilden. Soweit die Rechtsprechung die Gewalt auf die Einwirkung auf die Umwelt erstreckt hat, fällt auf, daß sie sich hierbei auf den Schutz hochrangiger Verhaltensmöglichkeiten beschränkt hat: der Fortbewegungs-, der Verkehrs- und der Lehrfreiheit sowie der Unverletzlichkeit der Wohnung. Letzteres entspricht dem Sonderschutz der Wohnung im Rechtssystem (Art. 13 GG; § 123 StGB, s.u. § 30; § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, s. Tlbd. 2, § 51 II)[40].
Unergiebig ist die Unterscheidung von Gewalt gegen die Person und Gewalt gegen Sachen[41], da § 240 – anders als §§ 249; 255 – beides erfasst.
Die Vorschriften über Sachbeschädigung, Wegnahme, Verkehrsunfallflucht sowie § 251 E 1962 (Sachentziehung) u.a. zeigen, dass nicht jede Veränderung der Umwelt mit Zwangswirkung als Nötigung gelten soll[42].
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Gewalt ist auch durch Unterlassen möglich, nämlich der Beseitigung einer Zwangslage[43].
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Da der BGH bei der Versperrung einer Fahrbahn zwecks Einflussnahme auf die Verkehrsbetreiber die Nötigung auf die Verhinderung des Weiterfahrens der Fahrzeugführer verlagert hat (BGH 23, 46), muss bei diesen Willensmittlern der Wille zur Weiterfahrt tatsächlich vorgelegen haben[44]. Die Rechtsprechung verlangt, dass das Verhalten des Opfers eine spezifische Folge der Gewaltanwendung ist, lässt dafür aber auch polizeiliche Sperrmaßnahmen in unmittelbarem örtlich-zeitlichem Zusammenhang mit der Blockade ausreichen[45].
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Manche Fälle, in denen eine „Gewalt“ zweifelhaft ist, stellen im Übrigen eine Drohung mit einem empfindlichen Übel nach Rn. 24 ff. dar (so für Hausbesetzungen OLG Hamm NJW 82, 2678[46]; für das Abbestellen des Heizöls durch den Hauseigentümer OLG Hamm NJW 1983, 1505; für Lärmterror OLG Koblenz NJW 93, 1809; abl. für die bedrängende Fahrweise OLG Köln NZV 92, 371). Dies gilt allerdings nicht für die bloße Verhinderung mit Fortsetzungsankündigung wie bei Sitzblockaden[47].
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bb) Zweites Nötigungsmittel ist die Drohung, d.h. die bedingte[48] Inaussichtstellung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben behauptet (RG 24, 151; BayObLG JZ 51, 25). Die Vortäuschung eines vom Täter unbeeinflussbaren Übels bleibt dagegen – unbeschadet der Bewertung als Täuschung – bloße Warnung[49]; doch kann sich hinter einer angeblichen Warnung eine Drohung verstecken (RG 54, 236). Die Drohung kann sich sowohl gegen den Erklärungsempfänger als auch gegen einen Dritten wenden; eine „nahestehende Person“ wie bei § 241 (s.u. § 16 Rn. 5) ist nicht verlangt (BGH NStZ 87, 222). Doch muss auch im letzteren Falle der Erklärungsadressat das Übel als eigene Einbuße empfinden und durch dessen Ankündigung zu seinem unfreien Verhalten veranlasst worden sein[50]. Die Zufügung eines Übels kann die Drohung ihrer Fortsetzung oder Wiederholung enthalten (OLG Hamm NJW 83, 1505; OLG Koblenz NJW 93, 1808; s.o. Rn. 23).
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Hinsichtlich des Drohungsinhalts steht die Nötigung der Erpressung gleich: hier wie dort ist darauf verzichtet, im Gegensatz zu § 241 (Bedrohung mit einem Verbrechen) und im Gegensatz zu § 240 a.F. (Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen), das Maß der Drohung zu formalisieren; es genügt die Drohung mit einem „empfindlichen Übel“.
Wann mit einem empfindlichen Übel gedroht wird, ist Frage des Einzelfalles. Im Schrifttum bahnt sich ein ähnlicher Individualisierungsweg an, wie bezüglich der Schadensberechnung beim Betruge seit Längerem anerkannt. Der objektive Maßstab (erhebliche Werteinbuße, deren Inrechnungstellung einen besonnenen Menschen zu dem von der Drohung erstrebten Verhalten veranlassen könnte[51]) ist für sich allein formalistisch und vernachlässigt das Wesen der Nötigung als heterogene Koppelung (Schroeder JZ 83, 287), der rein individualistische Maßstab[52] führt in der Konsequenz zu der gleichen Überspitzung wie beim Betruge: genötigt ist, wer sich genötigt fühlt. Der BGH bestimmt den Maßstab seit Längerem normativ: von dem Opfer muss unter Umständen erwartet werden, dass es in seiner Lage der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält[53]. Maßgeblich ist das Verhältnis zwischen angedrohtem und gefordertem Verhalten. Das Übel darf nicht nur – wie bei der Sitzblockade – in der Durchsetzung des erstrebten Opferverhaltens bestehen (Schroeder GS Meurer 241).
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Die Frage, ob das angedrohte Übel empfindlich ist, muss nicht nur von der Strafbarkeit des angekündigten Übels, sondern auch von seiner bloßen Rechtswidrigkeit abgeschichtet werden. Auch die Zufügung eines solchen Übels, das der Betroffene an sich zu dulden verpflichtet ist, schließt dessen „Empfindlichkeit“ nicht aus. Drohungen mit an sich erlaubten Druckmitteln wie mit Arbeitsniederlegung, Abbruch der Beziehungen, Erstattung begründeter Strafanzeigen, Veröffentlichung wahrheitsgemäßer Pressemitteilungen (OLG Hamm NJW 57, 1081) usw. können in concreto durchaus die Annahme eines empfindlichen Übels rechtfertigen[54]. Ein Verhalten, zu dem jemand rechtlich verpflichtet ist (z.B. Strafverfolgung nach § 152 StPO), kann allerdings nicht „angedroht“ werden; es handelt sich um ein verschleiertes Angebot einer Unterlassung und damit eines Vorteils (Schroeder JZ 83, 288). Die Frage, wann ein Übel „empfindlich“ ist, lässt sich im Übrigen nie ganz von dem Unrechtsgehalt der Handlung als Ganzem, nämlich der anstößigen Verkoppelung von Mittel und Zweck, lösen (vgl. u. 3).
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Lebhaft umstritten ist es, ob die Drohung mit einem Unterlassen nur strafbar sein kann, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht[55], oder auch darüber hinaus[56]. Hierbei wird jedoch häufig das Angebot von Vorteilen unzulässig in die Drohung mit einem Unterlassen der Gewährung des Vorteils umgedeutet. Ein Drohen mit einem Unterlassen liegt nur dann vor, wenn der Täter droht, die Lage des Opfers zu verschlechtern, indem er mit einem Abbruch eines bisher geübten Verhaltens droht oder überraschende Zusatzleistungen (BGH NJW 93, 1807; BGH 44, 252[57]) oder Gegenleistungen für ein rechtlich gebotenes Verhalten (z.B. Hilfe bei Unglücksfällen, vgl. § 323c StGB, Einstellung des Strafverfahrens nach §§ 153, 153a StPO, OLG Oldenburg NJW 08, 3012) verlangt; umgekehrt ist allerdings das „Angebot“, ein im Belieben stehendes Verhalten zu unterlassen (z.B. Strafanzeige), in Wahrheit die Drohung mit einem Tun[58]. Die Versuche zur Umdeutung „eindeutiger Angebote“ in Drohungen beruhen vor allem auf einer Fehlkonstruktion des § 174b (s.u. § 19 Rn. 4).
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c) Zwischen den Nötigungsmitteln und dem Erfolg (abgenötigte Handlung, Duldung oder Unterlassung) muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Dieser fehlt, wenn das Opfer die Handlung ohnehin vorgenommen oder unterlassen hätte. Er fehlt