Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
Geschlechtsverkehrs abgewendet werden könne: Nötigung; keine Nötigung dagegen, wenn der Verlobte seine Braut unter der Ankündigung, sonst das Verlöbnis aufzulösen, zum vorehelichen Geschlechtsverkehr veranlasst. Die Drohung mit unbegründeter Strafanzeige wird in der Regel Nötigung darstellen. Das gleiche gilt für die Androhung einer unbegründeten Privatklage (OLG Düsseldorf AnwBl 73, 317). Problematischer die Drohung mit begründeter Anzeige: hier wird durchweg die Willkürlichkeit der Verkoppelung des Nichtzusammengehörenden und die Verfolgung egoistischer Motive unter dem Vorwand der „Staatsbürgerpflicht“ zur Bejahung der Nötigung führen. Daher Nötigung bei Androhung des Hinwirkens auf eine Abschiebung zur Beitreibung einer Forderung (OLG Düsseldorf NStZ-RR 96, 5), ferner, wenn der Kaufhausinhaber einer ertappten Ladendiebin mit Strafanzeige droht, wenn sie sich ihm nicht „zum Ausgleich“ sexuell preisgibt; dagegen keine Nötigung, wenn der Diebin mit Anzeige gedroht wird, wenn sie nicht als private Sühne einen Betrag zugunsten eines Wohltätigkeitsfonds einzahlt oder wenn zwecks Erzwingung der Erstattung von Zivilklagekosten mit der Anzeige einer Straftat gedroht wird, die mit der Zivilklage zusammenhängt (BayObLG MDR 57, 309). Die Drohung mit Strafanzeige, um den anderen Teil zum Verzicht auf ein ihm zustehendes prozessuales Recht, z.B. Einlegung eines Rechtsmittels, zu veranlassen, ist grundsätzlich keine Nötigung (a.M. BGH NJW 57, 596). Verwerflich ist die Drohung mit begründeter Strafanzeige aber dann, wenn der vom Anzeigenden erstrebte, ihm an sich zustehende Vorteil in keinem Verhältnis zu dem dem Angezeigten durch die Anzeige drohenden Schaden steht (BGH 5, 254[69]). Grundsätzlich verwerflich ist auch die Androhung öffentlicher Bekanntmachung früherer Verfehlungen des anderen Teils, um diesen zur Erfüllung einer zivilrechtlichen Verbindlichkeit zu veranlassen (BGH 5, 261). Regelmäßig nicht verwerflich ist die Drohung mit Klage, um einen wirklichen oder vermeintlichen Anspruch zu realisieren[70]. Ausnahmsweise kann auch die gewaltsame Verhinderung einer fremden Straftat oder Ordnungswidrigkeit verwerflich sein (OLG Saarbrücken VRS 17, 25). Die eigenmächtige Vertreibung einen Angriff vorbereitender Rechtsradikaler ohne Einschaltung der Polizei wird von BGH 39, 137 als verwerflich angesehen[71].
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Besondere Bedeutung hat die Prüfung der Verwerflichkeit bei Nötigung im Straßenverkehr[72]. Eine Verhinderung des Überholens durch wiederholtes Ausscheren nach links kann bei „erschwerenden Umständen“ verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 sein (BGH 18, 389). Solche Umstände sind die Gefährdung von Verkehrsteilnehmern (BGH 18, 389; OLG Stuttgart VRS 17, 25), die keine konkrete zu sein braucht[73], das mehrfache Handeln (BGH 18, 393; BayObLG JZ 86, 407) oder ein über die Behinderung hinausgehender verwerflicher Zweck (OLG Celle NJW 59, 1597; OLG Hamm VRS 57, 347: Schikane). Eine Gewaltanwendung zur Erzwingung eines Überholvorgangs ist verwerflich, wenn der Vorausfahrende lediglich zum Zwecke des eigenen schnelleren Vorwärtskommens gefährdet wird[74], nachhaltiger Druck ausgeübt wird und Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen oder der Genötigte sich korrekt verhält[75]. Verwerflich sein kann auch der Missbrauch eines Kfz zu mutwilligen Behinderungen[76] oder zum Zwecke der Selbstjustiz[77]. Dies gilt auch für das Blockieren eines falsch geparkten Pkw (OLG Koblenz VRS 20, 436), während die Androhung, bei hartnäckigem falschen Parken die Luft aus den Reifen abzulassen, nicht verwerflich sein soll[78]. Rechtsprechungsübersicht bei Voß-Broemme NZV 88, 2; Maatz NZV 06, 337. Das Beiseitedrängen eines den Parkplatz besetzt haltenden oder sonst im Wege stehenden Fußgängers ist in der Regel nicht verwerflich, wenn ein Anrecht am Parkplatz besteht und zwar durch früheres Eintreffen mit dem Kfz[79] oder durch Einweisung (OLG Hamburg NJW 68, 662). Dies ist keine Frage der Notwehr[80]. Die Verwerflichkeit kann aber dennoch zu bejahen sein, wenn der Fußgänger erheblich gefährdet wird, ihm keine ausreichende Ausweichmöglichkeit bleibt[81], nicht jedoch, wenn er nur weggeschoben wird[82] oder eine besondere unvernünftige Hartnäckigkeit an den Tag legt (OLG Stuttgart VRS 30, 106).
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Problematisch ist die Verwerflichkeit der Gewaltanwendung auch bei Demonstrationen und anderen kollektiven Meinungsäußerungen. Die umfangreiche Diskussion ist zwar teilweise durch BVerfGE 92, 1 überholt, bleibt aber angesichts der unklaren Situation nach wie vor beachtlich. Die Grundrechte der Demonstranten aus Art. 5 und 8 GG erlauben jedenfalls keine absichtliche gewaltsame Verkehrsbehinderung[83]. Auch der „zivile Ungehorsam“ macht die dabei vorgenommenen „Regelverletzungen“ nicht rechtmäßig[84]. Nach der Rechtsprechung vor allem des BVerfG[85] sind bei der Verwerflichkeitsprüfung regelmäßig zu berücksichtigen: der zum Blockadetermin zu erwartende Dienstbetrieb, Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, der Sachbezug der betroffenen Personen zum Protestgegenstand, die Zahl der Demonstranten, die Dringlichkeit der blockierten Transporte und sonstigen Dienstfahrten, die Beherrschbarkeit der Aktion durch anwesende, überlegene Polizeikräfte, die Ernsthaftigkeit des Handlungsmotivs. Besonders wichtig ist dabei die Dauer; bei geringfügigen Blockaden fehlt die Verwerflichkeit[86]. Bedenklich LG Frankfurt NStZ 83, 26: keine Verwerflichkeit von Gewalt gegen den Informationsstand einer rechtsradikalen Vereinigung (allerdings war hier die Gewalt zweifelhaft)[87].
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Die von Roxin aaO dem hier zugrunde gelegten Missverhältnis nach Maß und Heterogenität zur Seite gestellten „Prinzipien“ der Verwerflichkeit enthalten z.T. Rechtfertigungsgründe (s.u. Rn. 43), z.T. sind sie in dem hier zugrunde gelegten Maßstab enthalten, z.T. bleiben sie dahinter zurück (z.B. Ausschluss der Verwerflichkeit bei Geringfügigkeit schon der Gewaltanwendung). Fragwürdig insbesondere die generelle Nichtverwerflichkeit der Drohung mit der Unterlassung nichtobligatorischer Handlungen (s.o. Rn. 28). Beachtliche Modifikationen bei Horn/Wolters SK 39 ff. Wenig ergiebig die im Wesentlichen auf das Maß des Nötigungsmittels und der genommenen Freiheit hinauslaufenden Kriterien bei Hansen S. 157 ff.
Den für die Drohung mit Unterlassungen hier zugrunde gelegten Gesichtspunkt der angedrohten Verschlechterung der Lage des Bedrohten (s.o. Rn. 28) verlagert Herdegen auf die Rechtswidrigkeit (LK11 § 253 Rn. 4). Unklar BGH 44, 79: Keine Verwerflichkeit bei Androhung einer Unterlassung bei Nichterfüllung von anderen gestellter Bedingung[88].
Anmerkungen
Daher nicht juristische Personen Wallau JR 00, 312. A.A. Jakobs AT 12/14 ff.
Eingehend Knodel aaO 17ff.
So neuerdings wieder Köhler NJW 83, 10 und FS Leferenz 511; Hruschka aaO; Sinn aaO 83 ff.; Kargl aaO. Dagegen Herzberg GA 97, 257.
BGH 31, 76 m.Anm. Lenckner JR 83, 160. Unzutr. OLG Karlsruhe Justiz 82, 26: Aus-der-Hand-Schlagen.
RG 20, 354; 56, 87; 58, 97.
RG 7, 269; 9, 58; 19, 299.
RG 13, 49; 27, 405; 73, 343.
RG 45, 153; DJZ 23, 371.