Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
„kann“. Daraus wird teilweise gefolgert, dass Mitgliedstaaten zur Einräumung einer Wahlmöglichkeit zwischen den Systemen nicht gezwungen werden sollen.[10]
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Die Diskussion, ob Art. 43 Abs. 4 und Art. 39 Abs. 5 SE-VO einen Rechtssetzungsbefehl enthalten, erscheint müßig. Wenn der nationale Gesetzgeber von der Kompetenzzuweisung keinen Gebrauch macht, gilt die SE-VO aufgrund der Normenhierarchie gem. Art. 9 SE-VO und der direkten Anwendbarkeit gem. Art. 288 AEVV unmittelbar. Die Wahlfreiheit folgt dann direkt aus Art. 38 b SE-VO, der der SE das Recht gibt, sich in ihrer Satzung für das monistische oder das dualistische System zu entscheiden.[11]
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Die SE-VO enthält auch materiell-rechtliche Regelungen zur Unternehmensverfassung. Die Regelungsdichte ist allerdings relativ gering. Der nationale Gesetzgeber, der keine ergänzenden Regelungen schaffen will, kann die SE-VO direkt zur Anwendung kommen lassen. Letztendlich wird die Handhabung der Unternehmensleitung jedoch erschwert, wenn in einem nationalen Aktienrecht nicht bekannte Leitungssysteme für die SE allein über die SE-VO zur Anwendung kommen. Allein deshalb besteht ein faktischer Regelungszwang für den nationalen Gesetzgeber, das jeweils in seinem nationalen Aktienrecht nicht bekannte Leitungssystem in seinem Ausführungsgesetz zur SE-VO zu regeln.[12]
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Die Alternative, dass der Satzungsgeber fehlende Regelungen im nationalen Recht ausgestaltet und sich ein eigenes Leitungssystem über die Satzung zusammenstellt, ist rechtlich nicht umsetzbar. Denn die Satzungsautonomie besteht gem. Art. 9 Abs. 1 b SE-VO nur dort, wo die SE-VO sie ausdrücklich zulässt.[13]
11
Der deutsche Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 43 Abs. 4 SE-VO Gebrauch gemacht und das monistische System in den §§ 20–49 SEAG ausführlich geregelt. Das monistische System soll durch diese Regelungen mit dem vom dualistischen System geprägten deutschen Aktienrecht kompatibel gemacht werden. Der Gesetzgeber verfolgt dabei das Ziel, das monistische Modell so flexibel und zugleich mit hinreichender Regelungsdichte auszustatten, dass es für die SE mit Sitz in Deutschland zu einer wirklich handhabbaren Alternative zum dualistischen Modell wird.[14]
12
Wie die funktionale Trennung zwischen Geschäftsführungs- und Überwachungsaufgaben, die im 14. Erwägungsgrund der SE-VO als wünschenswert bezeichnet wird und in Ziff. 3 DCGK geregelt ist, im monistischen System umgesetzt werden soll, war bei Einführung der SE eine ebenso spannende Frage wie die Frage nach der Einfügung deutscher Arbeitnehmermitbestimmung in das monistische System.[15] Auch die Einführung des monistischen Systems in das deutsche Konzernrecht stellte den deutschen Gesetzgeber und den Rechtsanwender vor interessante Fragestellungen.[16] Festzustellen ist, dass die SE in Deutschland trotz anfänglicher Zweifel große Attraktivität entfaltet hat.[17] Dies gilt nicht nur für Großkonzerne wie die Allianz SE, BASF SE oder Porsche SE, sondern zunehmend auch für den Mittelstand. Es verwundert daher nicht, dass besonders in Deutschland aus der Praxis gewonnene Verbesserungsvorschläge für die SE-VO gemacht werden.[18] Zum 21.3.2014 waren europaweit 2125 SE registriert. Von diesen waren 81 % dualistisch strukturiert und 15 % monistisch. Bei 4 % der registrierten SE war die Leitungsstruktur unbekannt. In Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt 292 SE registriert. Bei 111 dieser deutschen SE hat man sich in der Satzung für eine monistische Leitungsstruktur entschieden. Das dualistische System wurde dagegen bei 198 Gesellschaften gewählt. Bei 38 deutschen SE ist die Leitungsstruktur wiederum unbekannt.[19]
Anmerkungen
Hüffer § 119 Rn. 1.
Münch. Hdb. GesR IV/Wiesner § 19 Rn. 2; Müller Die Bank 2002, 544, 545.
Henn/Frodermann/Jannott/Jannott/Hagemann Kap. 2 Rn. 24; Teichmann BB 2004, 52, 55; Eder NZG 2004, 544, 545.
Thoma/Leuering NJW 2002, 1449, 1451; Gruber/Weller NZG 2003, 297.
Hommelhoff/Hopt/v. Werder/Witt S. 305 f.
Gruber/Weller NZG 2003, 297; Theisen/Wenz/Theisen/Hölzl S. 310; Eder NZG 2004, 544, 545.
Wiedemann/Wanzl FuS 2011, 51, 56.
Vgl. die Darstellung der Systeme in den übrigen EU-Staaten im 16. Kap.
Manz/Mayer/Schröder/Manz Art. 38 SE-VO Rn. 15; Habersack/Drinhausen/Scholz Art. 38 SE-VO Rn. 2.
Schulz/Geismar DStR 2001, 1078, 1082; Bungert/Beier EWS 2002, 1, 3.
Zur Wahlfreiheit auch Grundmann Rn. 1042 m.;w.N. in Fn. 58.
Teichmann ZGR 2002, 338, 442; Thoma/Leuering NJW 2002, 1449, 1451; Schwarz Einleitung Rn. 231 und Art. 43 SE-VO Rn. 124; Habersack/Drinhausen/Verse Art. 43 SE-VO Rn. 37.
Teichmann ZGR 2002, 383, 442; Neye/Teichmann AG 2003, 169, 175; Schwarz Einleitung Rn. 160.
Neye/Teichmann AG 2003, 169, 175, 177.
Kallmeyer ZIP 2003, 1531; Teichmann ZGR 2002, 383, 446, 447.
Grundlegend Hommelhoff AG 2003, 179, 180 f.; Brandi NZG 2003, 879; Veil WM 2003, 2169; Münch. Hdb. GesR VI/Teichmann § 49 Rn. 96; vgl. auch 11. Kap.
Vgl. Eidenmüller/Egert/Hornuf AG 2008, 721.
Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht ZIP 2009, 698 und ZIP 2011, 1841.