Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
sowohl hinnehmen, zusammen mit der absoluten Person der Zeitgeschichte abgebildet zu werden als auch alleine, kontext-bezogen oder auch kontext-neutral je nach Abwägung im Einzelfall. Nach der neueren Linie des BGH ist das Informationsinteresse der Allgemeinheit, das sich auch gerade im Zusammenhang mit der zugehörigen Wortberichterstattung ergeben kann, von entscheidender Bedeutung. Zeigt das Bild den Betroffenen in einer erkennbaren privaten Situation, die in keinem Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis steht, überwiegt die Privatsphäre der Betroffenen.[358] Andererseits gehört auch zur Pressefreiheit der unterhaltenden Presse, dass über den sozialen Kontext einer Person berichtet wird; der Persönlichkeitsschutz greift erst dann ein, wenn die beanstandeten Äußerungen für sich genommen oder im Zusammenhang mit der Bildberichterstattung einen eigenständigen Verletzungseffekt aufweisen, etwa wenn sie in den besonders geschützten Kernbereich der Privatsphäre eingreifen oder Themen betreffen, die von vornherein überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gehören.[359]
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Relative Personen der Zeitgeschichte können auch Straftäter sein. Denn Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist.[360] Bei der Abwägung kommt es neben der Art und Weise der Darstellung auch auf Natur und Schwere der Tat und die Person des Täters an[361] sowie darauf, wie lange die Tat bereits zurückliegt und ob ein aktueller Anlass für die Berichterstattung besteht. Auch Zeugen, Richter oder Rechtsanwälte können grds. relative Personen der Zeitgeschichte sein, z.B. aufgrund ihrer besonderen Rolle in einem Prozess von zeitgeschichtlichem Interesse.[362] Gegenüber Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal kann das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten ausnahmsweise überwiegen, wenn damit eine Prangerwirkung oder Stigmatisierung einhergeht; die Herstellung von Fernsehbildern im Gerichtssaal kann dann durch sitzungspolizeiliche Anordnung verboten werden.[363] Ein Verstoß gegen das sitzungspolizeiliche Verbot oder ein sitzungspolizeiliches Verpixelungsgebot führt aber nicht automatisch zu einem Veröffentlichungsverbot, sondern ist im Rahmen der Güterabwägung zu berücksichtigen.[364] Auch kann die sitzungspolitische Anordnung, z.B. in Form einer Anonymisierungsanordnung selbst verfassungswidrig sein, wenn in der Abwägung Presse- oder Rundfunkfreiheit überwiegen[365] oder wenn in der Anordnung, die für die Entscheidung maßgeblichen Gründe nicht offengelegt sind und dadurch den Betroffenen nicht zu erkennen gegeben wird, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind.[366] Das Persönlichkeitsrecht kann auch nicht im Rahmen einer sitzungspolitischen Verfügung in weiterem Umfang geschützt werden, als dies nach den §§ 22, 23 KUG der Fall ist.[367] Nicht rechtmäßig ist eine sitzungspolizeiliche Anordnung, die verfügt, dass Bildaufnahmen abzubrechen sind, wenn eine Person mit Ausnahme von Richtern oder Verteidigern die Aufnahme erkennbar abwehrt, da sie die Entscheidung über die Bildberichterstattung in die Hand der Betroffenen legt.[368]
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Kinder von absoluten Personen der Zeitgeschichte sind allein wegen ihrer Eltern keine relativen Personen der Zeitgeschichte.[369] Sie können aber solche relativen Personen der Zeitgeschichte dann sein, wenn sie gemeinsam mit ihren Eltern sich der Öffentlichkeit als Angehörige präsentieren oder im Pflichtenkreis der Eltern in öffentlichen Funktionen repräsentieren.[370] Ein Anspruch auf generelles Veröffentlichungsverbot des Bildnisses eines Minderjährigen besteht nicht.[371]
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In ihrem (Kontext)-Bezug wird die Zeitgeschichte begrenzt durch den Aspekt der Aktualität. Hat sich bspw. eine Begleitperson von der absoluten Person der Zeitgeschichte getrennt, so wird ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit nicht mehr oder nicht mehr lange bestehen.[372]
2.2 Informationsinteresse der Allgemeinheit
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Die Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 1 KUG setzt ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Allgemeinheit voraus. Der Begriff ist wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Informationsfreiheitsrechte weit zu verstehen.[373] Dazu gehören alle Erscheinungen im Leben der Gegenwart, die von der Öffentlichkeit beachtet werden, bei ihr Aufmerksamkeit finden und Gegenstand der Teilnahme oder Wissbegier weiter Kreise sind und die nicht nur auf Schaulust und Neugier beruhen.[374] Dabei kann das Informationsinteresse auch durchaus nur regionaler oder lokaler Natur sein.[375] Die Presse muss auch einen Spielraum besitzen, innerhalb dessen sie nach publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht.[376] Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG verbietet auch eine inhaltliche Bewertung des Beitrags auf seinen Wert und seine Seriösität.[377] Das Informationsinteresse der Allgemeinheit kann nicht deshalb verneint werden, weil ausschließlich ein Unterhaltungsinteresse verfolgt wird.[378] Gerade prominente Personen können der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- und Kontrastfunktionen erfüllen.[379] Dabei kann auch die Abbildung eines Prominenten in der Presse zulässig sein, wenn er sich in einem öffentlichen Bereich befindet, in dem er aufgrund der Gesamtumstände damit rechnen muss, dass er dort wahrgenommen wird.[380] Erst bei der Güterabwägung kann es darauf ankommen, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert werden oder ob lediglich private Angelegenheiten zur Befriedigung der Neugier ausgebreitet werden.[381] Das Selbstbestimmungsrecht der Presse erfasst dabei nicht die Entscheidung, wie das Informationsinteresse im Zuge der Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern herzustellen ist.[382] Für die Abwägung ist vielmehr von maßgebender Bedeutung, ob die Presse im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachgezogen erörtert und damit den Informationsbedarf des Publikums erfüllt und zur Bildung der öffentlichen Meinung beiträgt.[383] Dabei ist das Informationsinteresse nicht auf das aktuelle Zeitgeschehen beschränkt, sondern schließt auch die Möglichkeit ein, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse anhand der unveränderten Originalberichte in Online-Archiven der Medien zu recherchieren.[384] Der Informationswert einer Bildberichterstattung ist, soweit das Bild nicht schon als solches ein für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsame Aussage enthält, im Kontext der dazugehörigen Wortberichterstattung zu ermitteln.[385] Andererseits kann die Bildberichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis auch zulässig sein, wenn einzelne Aussagen der Wortberichterstattung für unzulässig erklärt worden sind.[386]
2.3 Verbreitung zu Werbezwecken
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Wer ausschließlich durch die Verwertung des Bildnisses eines anderen zu Werbezwecken sein kommerzielles Geschäftsinteresse befriedigen will, etwa durch die Verwendung des Bildnisses eines Prominenten, handelt nicht im Informationsinteresse der Allgemeinheit gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG.[387] Ob ausschließlich Werbezwecke vorliegen, ist im Gesamtkontext der Veröffentlichung zu prüfen. Es gelten die gleichen Auslegungsmaßstäbe wie bei der Wortberichterstattung.[388] Wird zusammen mit einem kommerziellen Interesse ein Publikationsinteresse verfolgt, so ist jedoch der Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 KUG eröffnet.[389] Die Verwendung eines Prominentenfotos auf der Titelseite einer Zeitschrift bedeutet nicht automatisch, dass das Bildnis nur zur Werbung eingesetzt wird. Werbung für ein Presseerzeugnis selbst steht zudem unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG.[390] Wenn bspw. im Inneren des Blattes ein redaktioneller Textbeitrag vorliegt, auf den das Titelblatt verweist, so entfällt das Informationsinteresse nicht. Denn der unbefangene Durchschnittsbetrachter bringt das Bild zunächst mit dem Textbeitrag im Inneren des Blattes in Verbindung.[391] Allerdings darf sich der redaktionelle Text nicht darauf beschränken, einen beliebigen Anlass für die Abbildung des Prominenten zu schaffen.[392] Auch die Werbung für eine geplante Zeitung mit der Titelseite einer Nullnummer dieser Zeitung, auf der eine prominente Person abgebildet ist, verletzt nicht allein deshalb das Recht am eigenen Bild der Betroffenen, weil der zur Abbildung gehörende Artikel in der Werbung nicht lesbar ist und in der Zeitung nicht erscheinen sollte; eine solche Werbung ist grundsätzlich zulässig, wenn sie die Öffentlichkeit über Gestaltung und Inhalt der geplanten Zeitung informiert.[393] Auch in satirischer – meinungsbildender – Auseinandersetzung mit einem aktuellen politischen oder öffentlichen Ereignis kann ein anerkennenswertes Informationsinteresse liegen.[394] Schließlich verletzt die Abbildung eines Prominenten auf der Titelseite eines Werbetestexemplars einer geplanten Zeitung