Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Sorgfaltspflicht
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Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegen nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht.[186] Alle übrigen Tatsachenbehauptungen, also auch zunächst nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug, genießen den Grundrechtsschutz. Dies gilt auch und gerade dann, wenn sie sich später als unwahr herausstellen.[187] Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der Abwägung ins Gewicht, wobei jedoch bedacht werden muss, dass die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiss ist und sich erst als Ergebnis während eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt. Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich als unwahr erkannte Äußerung stets mit Sanktionen belegt werden dürfen, so stünde zu befürchten, dass der grds. gewollte Kommunikationsprozess litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten.[188] In der Abwägung kann die Nichterweislichkeit einer Tatsache z.B. dann hinzunehmen sein, wenn es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage handelt[189] oder wenn der Äußernde auf ein vorangegangenes Verhalten des Betroffenen reagiert.[190] Die vom BVerfG gedeckte Rechtsprechung hat sich in diesen Fällen dadurch geholfen, dass sie demjenigen, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Sorgfaltspflichten auferlegt. Diese richten sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten und sind etwa für die Medien strenger als für die Privatleute.[191]
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Sind die Sorgfaltspflichten eingehalten, stellt sich aber später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass weder eine Wiederholungsgefahr noch i.d.R. eine Erstbegehungsgefahr gegeben ist. Besteht die auf konkreten Anhaltspunkten beruhende Gefahr, dass die Äußerung trotz besserer Erkenntnis in der Zwischenzeit aufrecht erhalten wird, besteht im Ausnahmefall Erstbegehungsgefahr.[192] Teilt das Medium hingegen mit, dass es nun, nachdem sich die Unwahrheit trotz sorgfaltsgemäßer Recherche nachteilig herausgestellt hat, an der Äußerung nicht mehr festhält, so wird i.d.R. keine Erstbegehungsgefahr bestehen. Wirkt die Beeinträchtigung des von der Äußerung Betroffenen nach Feststellung der Unwahrheit fort, ist ein Richtigstellungsanspruch nicht ausgeschlossen.[193] Allerdings darf dies nur für Einzelfälle besonders schwerwiegender Beeinträchtigungen gelten.
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Bei Nichterweislichkeit der Wahrheit legt die Rechtsprechung dem Äußernden darüber hinaus eine (erweiterte) Darlegungslast auf, dass er mit seinen Recherchen die strenge Sorgfaltspflicht erfüllt hat und ihn dazu anhält, Belegtatsachen für seine Behauptungen anzugeben.[194] Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts gegen einzuwenden, wenn die Anforderungen an die Darlegungslast nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit überspannt werden.[195] Insbesondere darf auch das Redaktionsgeheimnis nicht ausgehöhlt werden; ist ein Presseorgan deswegen an der Benennung eines Informanten gehindert, ist lediglich zu verlangen, dass wenigstens nähere Umstände vorgetragen werden, aus denen auf die Richtigkeit der Information geschlossen werden kann.[196]
1.6.4 Persönlichkeitsbeeinträchtigende wahre Tatsachenbehauptungen
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Bei wahren Tatsachen muss eine Einzelfallabwägung zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz erfolgen, wobei das Abwägungsergebnis von der Frage abhängt, in welcher Sphäre die Äußerung den Betroffenen berührt. Dabei werden – mit etwas unterschiedlicher Terminologie – die Intimsphäre, die Privatsphäre, die Sozialsphäre und die Öffentlichkeitssphäre unterschieden. Die Äußerung ist grds. nur dann rechtswidrig, wenn sie die Intim- oder Privatsphäre betrifft und – soweit die Privatsphäre betroffen ist – sich in der Abwägung nicht durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt.
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Die Intimsphäre umfasst den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit.[197] Der Schutz der Intimsphäre wird grds. als absolut angesehen.[198] Dazu gehören insbesondere Vorgänge aus dem Sexualbereich[199] sowie nicht wahrnehmbare körperliche Gebrechen oder gesundheitliche Zustände (z.B. HIV-Infektion und Ergebnisse medizinischer Untersuchungen).[200] Intime Gespräche sind ebenfalls geschützt, auch dann wenn sie am Arbeitsplatz geführt werden.[201] Juristische Personen haben keine Intimsphäre.[202] Schwierig kann die Abgrenzung zur Privatsphäre sein. Die Zuordnung hängt maßgeblich davon ab, inwieweit auf Einzelheiten eingegangen wird. So trifft der bloße Hinweis auf ehebrecherische Beziehungen im Allgemeinen nur die Privatsphäre.[203] Auch kann die – wahrheitsgemäße – Berichterstattung über das Bestehen einer sexuellen Beziehung zweier Prominenter nicht die Intimsphäre betreffen, es sei denn, es werden wiederum intime Details dieser sexuellen Beziehung geschildert. Aus der Intimsphäre rührende Vorgänge können eine soziale Dimension erlangen. So z.B., wenn aus einer intimen Beziehung ein Kind hervorgeht und die Frage diskutiert wird, wer der Vater ist. Vertreten wird aber auch, dass die Vaterschaftsfrage Gegenstand der Privatsphäre sei.[204]
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Der Schutz von Intimsphäre oder auch Privatsphäre versagen, wenn die Betroffenen ihre Intim- oder Privatsphäre selbst öffentlich ausgebreitet haben. Der Schutz entfällt – jedenfalls teilweise –,[205] wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden,[206] etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt[207] oder sich in die Öffentlichkeit drängt.[208] Gleiches kann für die Intimsphäre gelten, z.B. für die Veröffentlichung von Nacktfotos.[209]
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Die Privatsphäre umfasst den Bereich, zu dem andere nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Der Schutzbereich ist räumlich, thematisch und zeitlich bestimmt.[210] Er umfasst insbesondere den häuslichen und familiären Bereich. Bsp. sind etwa die Auseinandersetzung mit sich selbst in Tagebüchern,[211] die vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten,[212] den Bereich der Sexualität,[213] sozial von der Norm abweichendes Verhalten,[214] Krankheiten, sofern sie nicht ohne weiteres öffentlich sind[215] sowie in der Regel religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt dabei auch die Vertraulichkeit privaten E-Mail-Verkehrs; allerdings ist die Veröffentlichung rechtswidriger beschaffter oder erlangter Informationen von der Meinungsfreiheit der Presse umfasst und Gegenstand der Abwägung.[216] Dabei kommt es dann maßgeblich auf den Zweck der angegriffenen Äußerung und auf das Mittel an, z.B. ob es sich um einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.[217]
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Die Privatsphäre ist nicht absolut geschützt. Die Veröffentlichung ist zulässig, wenn eine alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigende Interessenabwägung ergibt, dass das Informationsinteresse gegenüber den persönlichen Belangen des Betroffenen überwiegt.[218] In dieser Interessenabwägung können die verschiedensten Punkte einzubeziehen sein, z.B. die soziale Stellung des Betroffenen oder das öffentliche Interesse an den Lebensumständen eines Stars. So vermittelt das Persönlichkeitsrecht seinem Träger gerade keinen Anspruch darauf, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist.[219] Es gewährleistet insbesondere nicht, dass der Einzelne nur so dargestellt und nur dann Gegenstand öffentlicher Berichterstattung werden kann, wenn und wie er es wünscht.[220]
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Die Sozialsphäre umfasst die nach außen in Erscheinung tretende Sphäre der Person, in der das Verhalten von dieser Person von jedermann wahrgenommen werden kann, es aber nicht bewusst der Öffentlichkeit zugewendet ist. Darunter fällt bspw. die berufliche oder politische Betätigung einer Person[221] oder die Betätigung in einer sozialen Gemeinschaft auf öffentlichen Straßen.
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Ist die Sozialsphäre