Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
83
Stellt sich später heraus, dass der Verdacht nicht gerechtfertigt bleibt, so ist die Äußerung im Äußerungszeitpunkt als rechtmäßig anzusehen, falls die pressemäßige Sorgfaltspflicht erfüllt wurde. In diesem Fall kann dem Betroffenen ein von der Rechtsprechung entwickelter „äußerungsrechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch“ dann zustehen, wenn die Beeinträchtigung fortdauert; dieser ist auf eine nachträgliche Mitteilung gerichtet, dass nach Klärung des Sachverhaltes der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde, eine Richtigstellung kann nicht verlangt werden.[258] Dabei hat der Nachtrag so zu erfolgen, dass er möglichst den gleichen Leserkreis und den gleichen Grad an Aufmerksamkeit erreicht wie die Erstmitteilung.[259]
1.7.2 Persönlichkeitsrecht von Kindern
84
Der Persönlichkeitsschutz eines Kindes folgt auch aus dem eigenen Recht des Kindes auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit i.S.v. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.[260] Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muss deshalb in thematischer und räumlicher Hinsicht umfassender geschützt werden als bei erwachsenen Personen.[261] Eine Regelvermutung eines grundsätzlichen Vorrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit bei Jugendlichen wäre jedoch zu undifferenziert und besteht deshalb nicht; vielmehr gilt das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung.[262] Dabei sind auch unterhaltende Beiträge durch die Pressefreiheit geschützt, allerdings bedarf es dann in besonderem Maße der Abwägung der kollidierenden Rechtspositionen.[263] Geht es um Situationen elterlicher Hinwendung, erfährt der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Kindes zudem eine Verstärkung durch Art. 6 GG. Ein Schutzbedürfnis besteht nur dort nicht, wo sich Eltern mit ihren Kindern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden.[264]
2. Das Recht am Unternehmen
85
Das in der Constanze-Entscheidung[265] und der Höllenfeuer-Entscheidung[266] vom BGH entwickelte – subsidiäre – Recht am Unternehmen im Äußerungsrecht ist ein offener Tatbestand. Ebenso wie beim Persönlichkeitsrecht wird die Rechtswidrigkeit einer Äußerung durch die Tatbestandsmäßigkeit des Eingriffs in das Recht beim Gewerbebetrieb nicht indiziert. Infolgedessen kann die Rechtswidrigkeit nach Feststellung der Tatbestandsfähigkeit erst aufgrund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden.[267]
86
Eine aufgrund des § 823 Abs. 1 BGB angreifbare Äußerung gegenüber einem Unternehmen setzt zunächst einen bereits vorhandenen oder noch betriebenen Gewerbebetrieb voraus. Dabei besteht der Unternehmensschutz auch für Freiberufler.[268] Ein Eingriff setzt voraus, dass konkrete Umstände dargelegt werden, die hinreichend belegen, dass mit nachteiligen Folgen der Kritik zu rechnen ist. Zudem wird auch im äußerungsrechtlichen Bereich das Merkmal der Betriebsbezogenheit und dessen Vorgängers, des „unmittelbaren“ Eingriffs, als haftungsbeschränkendes Korrektiv verwendet.[269]
87
Bei der Güter- und Pflichtenabwägung ist insbesondere, wenn es um eine wahre Behauptung geht, bei der Annahme einer rechtswidrigen Beeinträchtigung äußerste Zurückhaltung geboten.[270] Je nach Bedeutung der öffentlichen Frage können auch überpointierte oder überspitzte Formen der Darstellung zulässig sein.[271] Ein Gewerbetreibender muss eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen grds. hinnehmen.[272]
88
Der Schutz des Rechtes am Unternehmen kann sich konkret in vielen Anwendungsfällen äußern. Darunter fallen z.B. auch Boykott-Aufrufe,[273] der Hinweis auf Gefährlichkeit von Produkten,[274] die höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob heimliche Filmaufnahmen in der räumlichen Sphäre eines Unternehmens und/oder deren spätere Ausstrahlung zulässig sind[275] oder andere Formen.
3. Beleidigungstatbestände
89
Die strafrechtlichen Beleidigungstatbestände sind Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Über diese Vorschrift begründen sie auch im Äußerungsrecht Ansprüche. Schon wenn der objektive Tatbestand eines strafrechtlichen Beleidigungsdeliktes erfüllt ist, können Unterlassungs- und Widerrufsansprüche bestehen, da diese ein schuldhaftes Handeln nicht voraussetzen. Für Geldentschädigungsansprüche (Erfordernis des schweren Verschuldens) und Schadensersatzansprüche kommt es auf die schuldhafte Verwirklichung des Deliktes an.
4. Kreditgefährdung
90
§ 824 BGB begründet Ansprüche bei der Behauptung oder Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonst wie Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen. Die Vorschrift ist gegenüber dem Schutz des Rechtes des Unternehmens vorrangig, soweit es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen handelt.[276] Zu betonen ist aber, dass der Kern der Aussage zu ermitteln ist.[277] Die Unwahrheit folgt nicht aus einer unbedeutenden Übertreibung oder dem Weglassen von Nebensächlichkeiten.[278]
91
Die Beweislast trägt grds. der Kläger. Die Kreditgefährdung oder Rufgefährdung muss nicht tatsächlich eingetreten sein. Es genügt die Eignung zur Kredit- oder Rufgefährdung.[279]
92
Mittelbare Beeinträchtigungen oder Reflexwirkungen reichen nicht aus.[280] Der Anspruchsteller muss individuell und unmittelbar betroffen sein. Die Kredit- oder Rufbeeinträchtigung muss durch die Kritik selbst drohen. Dies liegt z.B. nicht vor, wenn erst die Reaktion des Betroffenen auf die Kritik zu der Kredit- oder Rufgefährdung führt.[281]
93
Verschulden liegt gem. § 824 Abs. 1 letzter HS BGB nicht erst beim Dolus directus, sondern schon bei Fahrlässigkeit vor. Das Verschulden muss sich nach h.M. sowohl auf die Unwahrheit wie auch auf das Merkmal des Behauptens bzw. des Verbreitens beziehen, ebenso auf die Eignung zur Rufgefährdung.[282]
94
Gem. § 824 Abs. 2 BGB besteht keine Schadensersatzpflicht, wenn die Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist und er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Im Einzelnen ist bei dieser Vorschrift vieles strittig.[283] Die Vorschrift kann als Rechtfertigungsgrund angesehen werden,[284] ähnlich § 193 StGB, für den neben dem § 824 Abs. 2 BGB kein Raum mehr ist. Strittig ist auch, ob § 824 Abs. 2 BGB eingreifen kann, wenn dem Behauptenden die Unwahrheit der Mitteilung schuldhaft unbekannt ist.[285] Nach h.M. findet § 824 Abs. 2 BGB keine Anwendung, wenn der Mitteilende die Unwahrheit billigend in Kauf nimmt (Dolus eventualis).[286]
1. Maßstäbe der Rechtswidrigkeit
95
Im Äußerungsrecht wird durch die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit nicht ohne weiteres indiziert. Vielmehr ist eine Äußerung dann als rechtmäßig zu behandeln, wenn der Mitteilende alle Sorgfaltsregeln beachtet hat.[287] Die Frage der Rechtswidrigkeit wird ferner dadurch beeinflusst, dass die Schutzgüter Persönlichkeitsrecht und Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wegen ihrer generalklauselartigen Weite als offene Tatbestände angesehen werden. Das bedeutet, dass über die Rechtswidrigkeit erst aufgrund einer situationsbezogenen Güter- und Interessenabwägung entschieden wird.
2. Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB
96