Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Beachtung journalistischer Sorgfaltspflichten und die Notwendigkeit einer Güterabwägung hat die gerichtliche Praxis die Vorschrift des § 193 StGB in den Hintergrund gerückt. Dies allerdings zu Unrecht. Denn bei § 193 StGB als auch ein im Zivilrecht geltender Rechtfertigungsgrund[288] handelt es sich gerade um eine Norm, über die die Grundrechte wirken. Nach § 193 StGB können Äußerungen gerechtfertigt sein, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen. Auch hier müssen die wahrgenommenen mit den verletzten Interessen abgewogen werden. Im Äußerungsrecht ist das berechtigte Interesse das Informationsinteresse, also das Interesse des Mitteilungsempfängers, informiert zu werden.[289]
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Auch das Bedürfnis, einfach unterhalten zu werden, ist als legitimes Interesse anerkannt.[290] Dies wurde bereits im Caroline I-Urteil ausdrücklich anerkannt.[291] Allerdings ist erlaubt, dass bei der Abwägung berücksichtigt wird, ob die Äußerung lediglich das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigt.[292]
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§ 193 StGB kann auch dann eingreifen, wenn sich eine aufgestellte Tatsachenbehauptung nachträglich als unwahr erweist. In diesem Fall ist bei der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen die Wahrheit zu unterstellen und hypothetisch zu fragen, ob der Mitteilende berechtigte Interessen wahrgenommen hätte, wenn der Wahrheitsbeweis gelungen wäre.[293] Berechtigte Interessen setzen jedoch voraus, dass der Mitteilende die journalistische Sorgfaltspflicht beachtet hat.
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Die sonstigen in § 193 StGB genannten Fälle sind lediglich Beispielsfälle für berechtigte Interessen. Sie besitzen insoweit keine eigenständige Bedeutung.
3. Journalistische Sorgfaltspflicht
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Die journalistische Sorgfaltspflicht ist konkretisiert in den gesetzlichen Grundlagen für die einzelnen Medien, z.B. Landespressegesetz, Rundfunkstaatsverträge, Landesmediengesetze, Gesetze für die einzelnen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder Mediendienste Staatsvertrag. Es ist grds. ein strenger Maßstab anzulegen.[294] Allerdings würde eine Überspannung den verfassungsrechtlich geschützten Kommunikationsprozess zu sehr einschränken.[295] Es ist ausreichend, dass sie angesichts der Umstände des Falles vernünftigerweise in Betracht kommenden Recherchen hinreichend gründlich durchgeführt worden sind.[296] Was dies im Einzelnen bedeutet, hängt von den verschiedensten Faktoren ab. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu nicht erweislichen Tatsachenbehauptungen und der Verdachtsberichterstattung verwiesen werden.
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Bei Äußerungen Dritter ist zu differenzieren. Wurde eine Tatsachenbehauptung zu einer Meldung von einer anerkannten Nachrichtenagentur geliefert, besteht in aller Regel keine Verpflichtung zur Nachrecherche.[297] Etwas anderes kann gelten, wenn die Agenturmeldung selber Ungewissheit wiedergibt. Bezieht sich die Agenturmeldung wiederum auf ein anderes Medium (z.B. eine Zeitungsmeldung), so reicht dies i.d.R. nicht aus, die journalistische Sorgfaltspflicht als erfüllt anzusehen.[298] Dies mag wiederum einzuschränken sein, wenn es sich um eine besonders seriös anerkannte Medienquelle handelt.[299] Das vorgenannte „Agentur-Privileg“ gilt jedoch nicht für Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die nicht durch eine Tatsachenbehauptung, sondern infolge fehlerhafter Abwägung der verschiedenene Rechtsgüter entstehen, z.B. bei einer unzulässigen Namensnennung eines Straftäters.[300] Strittig ist auch, ob die Sorgfaltspflichten geringer anzusetzen sind, wenn der Betroffene Erstveröffentlichungen in Medien, die unter Umständen auch schon länger zurückliegen, nicht widersprochen hat.[301] Ansonsten darf sich die Presse auf als zuverlässig anzusehende Informationsquellen verlassen, wie etwa Staatsanwaltschaften,[302] Polizei, Gerichte oder Behörden. Das gilt unbedingt hinsichtlich der Richtigkeit von mitgeteilten Tatsachen. Aber auch das Vertrauen in die Richtigkeit der rechtlichen Abwägungsentscheidung kann geschützt sein, beispielsweise indem – bei nachträglicher Erkenntnis in die Fehlerhaftigkeit der Abwägung – die Wiederholungsgefahr entfallen kann.[303]
An ihre Grenzen stößt die journalistische Sorgfaltspflicht, wenn keine Aufklärungsmöglichkeiten zu erwarten sind oder zumutbare Rechercheansätze nicht mehr bestehen. Ist neben einem Dementi ein Mehr an Information durch eine Rückfrage beim Betroffenen nicht zu erwarten, ist sie nicht erforderlich.[304] Dies gilt auch, wenn der Betroffene schon ausführlich zu Wort gekommen ist oder Stellung genommen hat.[305]
I. Das Recht am eigenen Bild als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
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Das in §§ 22 ff. KUG gewährleistete Recht am eigenen Bild ist eine einfach gesetzliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Gegenüber Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stellen die §§ 22, 23 KUG leges speciales dar.[306] Das KUG sieht (mit Ausnahme des § 37 f. KUG) keine eigenen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen vor, so dass für Unterlassungs-, Geldentschädigungs- und Schadensersatzansprüche auf § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGB bzw. i.V.m. § 249 ff. BGB zurückgegriffen werden muss.[307] Der durch das Recht am eigenen Bild skizzierte Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts räumt grds. allein dem Abgebildeten die Befugnis ein, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise er sich in der Öffentlichkeit darstellt oder dargestellt wird.[308] Nicht zu verwechseln ist dies mit dem Wunsch des Abgebildeten, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte. Darauf besteht kein Anspruch.[309] Die erforderliche Abwägung der Verfassungsgüter auf den verschiedenen Ebenen gewährleisten die als verfassungsgemäß angesehenen[310] §§ 22, 23 KUG durch ein abgestuftes Schutzkonzept. Die Rechtsprechung des BVerfG und der ordentlichen Zivilgerichte hat nach dem Caroline-Urteil des EGMR vom 24.6.2004 eine gewisse Akzentverschiebung erfahren.[311]
II. Begriff des Bildnisses
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Unter einem Bildnis i.S.d. § 22 KUG ist die Darstellung der Person in ihrer wirklichen, dem Leben entsprechenden Erscheinung zu verstehen. Abgebildet werden muss also ein erkennbar wiedergegebener Mensch. Demgegenüber kennt das KUG auch den Begriff des Bildes,[312] dessen Schutz nicht Gegenstand des Gesetzes ist. Beispielsweise wird die Abbildung einer Person, die nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder einer sonstigen Örtlichkeit erscheint[313] oder Abbildung von Personen, die an Versammlungen, Aufzügen oder ähnlichen Vorgängen teilnehmen[314] nicht als Bildnisse, sondern lediglich als Bilder bezeichnet. Sie nehmen deshalb am Schutz des § 22 KUG nicht teil. Strittig ist die begriffliche Einbeziehung von Leichenfotos.[315]
III. Erkennbarkeit
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Der Begriff des Bildnisses setzt die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus. Sie ergibt sich i.d.R. aus den Gesichtszügen; dies schließt aber nicht aus, dass trotz deren Nichterkennbarkeit andere Merkmale die Person erkennbar machen,[316] z.B. der Zusammenhang mit früheren Veröffentlichungen,[317] Umstände aus dem Kontexttext oder aus der Bildunterzeile (Nennung einer konkreten Adresse oder einer besonderen Funktion des Abgebildeten), weitere Fotos im Kontext (z.B. Abbildung des Wohnhauses), Erwähnung des Namens im Begleittext,[318] Anfangsbuchstabe des Familiennamens oder Beruf des Abgebildeten.[319] Es genügt die Erkennbarkeit innerhalb eines Bekanntenkreises.[320] Allerdings kann das Vorwissen des Bekanntenkreises nicht unberücksichtigt bleiben.[321] Hat dieser Kreis beispielsweise davon Kenntnis, dass gegen den Betroffenen strafrechtlich ermittelt wird, kann auch die Erkennbarkeit für diesen Kreis infolge eines Bildnisses in Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Ermittlungen nicht entscheidend sein.[322] Der Abgebildete muss nicht nachweisen, tatsächlich von Dritten erkannt worden zu sein.[323] Allerdings kann die Tatsache, dass er tatsächlich (nur) aufgrund des Bildnisses bzw. dessen Kontextes erkannt worden ist, ein Indiz für die Erkennbarkeit bilden.[324]
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