Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Schlussfolgerungen können – je nach Formulierung und Kontext – Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen sein. Dabei kommt es darauf an, ob die Schlussfolgerung als so zwingend dargestellt wird, dass für ein subjektives Meinen kein Raum vorhanden sei, weswegen sie als objektive Gegebenheit und damit als Tatsache angesehen werden muss.[126] Eine Schlussfolgerung zu Beweggründen oder den Absichten anderer dürfte eher als Meinungsäußerung anzusehen sein.[127]
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Rechtliche Beurteilungen enthalten in aller Regel Meinungsäußerungen.[128] Dies gilt für zivilrechtliche als auch strafrechtliche Einstufungen und auch dann, wenn die Rechtsauffassung einer objektiven Beurteilung nicht standzuhalten vermag.[129] Eine Tatsachenbehauptung liegt dagegen vor, wenn die Äußerung sich nicht auf eine Rechtsauffassung beschränkt, sondern damit zugleich dem Adressaten die Vorstellung von konkreten Vorwürfen vermittelt, die beweismäßig überprüfbar sind.[130]
3. Behaupten und Verbreiten
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Behaupter- und Verbreiterhaftung sind streng voneinander zu unterscheiden. Für Äußerungen Dritter ist der bloße Verbreiter jedenfalls dann nicht haftbar, wenn er sich die Äußerungen des Dritten nicht zu eigen gemacht hat, sich ausreichend von ihr distanziert hat und ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht.[131] Erlegte man der Presse in Fällen der Verbreitung fremder Tatsachenbehauptungen eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung auf, führte dies dazu, dass die lediglich wiedergegebenen Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt wie ein eigener Beitrag zu überprüfen wäre; eine solche Recherchepflicht könnte den Kommunikationsprozess unzulässig einschränken.[132]
3.1 Behaupten
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Ein Behaupten ist eine Aussage über einen anderen, die eine eigene Erkenntnis oder eigene Mitteilung enthält.[133]
3.2 Verbreiten
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Ein Verbreiten kann durch intellektuelles oder technisches Verbreiten erfolgen. Der in der Praxis häufigste Fall des intellektuellen Verbreitens ist die Wiedergabe der Äußerung eines Dritten, bspw. als Zitat. Das technische Verbreiten erfolgt ohne gedankliche Beziehung, bspw. durch den Drucker einer Zeitung oder den Grossisten oder Kioskinhaber. Die zivilrechtliche Haftung technischer Verbreiter unterliegt noch weitergehenden Einschränkungen.[134]
3.3 Sich-zu-eigen-machen, sich distanzieren
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Ob ein Medium sich Fremdäußerungen zu eigen macht, hängt zunächst davon ab, wie die Darstellung vom Durchschnittsempfänger verstanden wird.[135] Ein Zu-eigen-machen liegt regelmäßig vor, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint.[136] Das Zu-eigen-machen kann auch „zwischen den Zeilen“ geschehen[137] oder durch weitere Umstände im Kontext der Berichterstattung erfolgen.[138]
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Liegt der Kontext so, dass das Zitat gewissermaßen nur als Bestätigung der bereits geäußerten (eigenen) Auffassung erscheint, liegt ebenfalls ein Sich-zu-eigen-machen vor.[139] Auch in Haupt- und Zwischenüberschriften kann ein Sich-zu-eigen-machen liegen.
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Beim Medium Rundfunk, insbesondere bei Live-Sendungen, ist zu berücksichtigen, dass dieses besonders als „Markt der Meinungen“ fungiert. Der BGH hat deshalb entschieden, dass die ohne Distanzierung erfolgte Ausstrahlung von Äußerungen Dritter noch nicht ohne weiteres bedeute, der Rundfunk identifiziere sich mit ihnen.[140] Dies gilt insbesondere, wenn konträre Auffassungen formal gegenüber gestellt werden. Allerdings kann eine Anmoderation oder eine durch den Beitrag entstehende Gesamttendenz wiederum zum Sich-zu-eigen-machen führen.[141]
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Auch bei Interviews liegt in der Regel kein Zu-eigen-machen der Äußerungen des Interviewten vor.[142] Ebenso reicht die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht für eine Distanzierung im Rahmen der Verbreitung in einer Presseschau aus.[143]
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Das Sich-distanzieren kann auf verschiedene Arten erfolgen. Nicht ausreichen wird es in der Regel, wenn die Äußerung durch leichte Relativierungen etwa in der Form „soweit ich weiß …“ oder „ich nehme an …“[144] oder durch Einschübe wie „… soll“ oder „… soll angeblich …“[145] erfolgt. Letzteres gilt insbesondere für die Äußerung von Gerüchten. Eine sich-zu-eigen-gemachte Behauptung kann auch nicht dadurch zur Verbreitung „umformuliert“ werden, indem man sie gewissermaßen einem – gegebenenfalls sogar anonymisierten – Dritten „in die Schuhe schiebt“, etwa durch die Formulierung „Es wird behauptet, dass …“.[146] Eine fehlende Distanzierung kann auch vorliegen, wenn die Drittäußerung als alleinige Grundlage eines Beitrages verwertet wird und ihre Darstellung den Eindruck erweckt, die Angaben in der Drittäußerung träfen zu.[147] Demgegenüber kann ein erfolgreiches Sich-distanzieren unter Umständen durch das Setzen der Fremdäußerung in Anführungszeichen erfolgen.[148] Bei schwerwiegenden Vorwürfen wird von den Gerichten oft verlangt, die Gegenansicht gegenüber zu stellen.[149]
1.1.1 Deutsches Recht
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als eigenständiges Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet.[150] Es ist ein sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB. Nach h.M. handelt es sich um ein Rahmenrecht, dessen rechtswidrige Verletzung nur auf der Grundlage einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung festgestellt werden kann.[151]
1.1.2 Art. 8 EMRK
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Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Der Begriff „Privatleben“ beinhalte nach Meinung des EGMR eine Reihe von Aspekten, die sich auf die Identität einer Person beziehen, wie etwa den Namen der Person[152] oder die physische und sittliche Integrität einer Person.[153] Allerdings ist der Schutz des Privatlebens mit der nach Art. 10 der Konvention garantierten freien Meinungsäußerung zu einem Ausgleich zu bringen.[154] Damit ist festzuhalten, dass auch im Anwendungsbereich der EMRK eine Abwägung der verschiedenen Menschenrechte miteinander stattfindet, grds. ähnlich dem deutschen Recht.[155]
1.2.1 Natürliche Personen/postmortales Persönlichkeitsrecht
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Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind alle natürlichen Personen. Dies gilt unabhängig vom Bewusstsein der Persönlichkeit, mithin auch für Kleinkinder oder Geschäftsunfähige.[156] Mit dem Tode erlöschen die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts grds. und wirken danach nur in ihrem (Teil-)Element des Fortwirkens der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG fort.[157] Gegenstand ist der allgemeine Achtungsanspruch, der davor schützt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Daneben wird auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert geschützt.[158] Dieser postmortale Schutz der ideellen Bestandteile des postmortalen