Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Meinungsäußerungsfreiheit
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Die Meinung ist ein innerer, gedanklicher Vorgang,[1] weshalb besser der Begriff „Meinungsäußerungsfreiheit“ benutzt wird. Das Recht schützt die Wiedergabe der eigenen und der fremden Ansicht. Sie erstreckt sich auf sämtliche Äußerungsformen, wobei Wort, Schrift und Bild lediglich Beispiele sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Äußerung wertvoll, richtig oder rational begründet oder ob sie von anderen für nützlich oder schädlich gehalten wird.[2] Auch ein öffentliches Informationsinteresse ist nicht Voraussetzung für die Meinungsfreiheit, denn das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit mit anderen.[3] Ein öffentliches Informationsinteresse ist lediglich geeignet, der Meinungsfreiheit in Abwägung mit anderen Grundrechten ein besonderes Gewicht zu verleihen.[4] Wird durch die Äußerung ein Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage geleistet, spricht die Vermutung für die Zulässigkeit[5] und es sind auch scharfe Wendungen zulässig.[6] Bei einer ausschließlich privaten Auseinandersetzung besteht diese „Privilegierung“ dagegen nicht ohne weiteres.[7]
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Auch Tatsachenbehauptungen fallen grds. unter den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. Die Äußerung von Tatsachen ist Voraussetzung von Bildung von Meinungen, die durch Art. 5 Abs. 1 GG umfassend geschützt werden;[8] allerdings werden solche Tatsachenbehauptungen vom Schutzbereich des Grundrechts ausgenommen, deren Unwahrheit dem sich Äußernden bekannt ist oder bereits im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen ist; Art. 5 GG gibt kein Recht zur Lüge.[9] Geschützt ist auch die Wahl des Ortes und der Zeit der Äußerung.[10]
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Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst auch das Verbreiten unabhängig von ihrer konkreten Art und Weise (Zeitungen, Rundfunk, Handzettel usw.). Doch gibt das Recht auf Informationsverbreitung dem Verbreiter weder einen Anspruch gegen den Staat, ihm ein aufnahmebereites Publikum zu beschaffen[11] noch einen Anspruch gegen Dritte, die Information zur Kenntnis zu nehmen.[12]
2. Informationsfreiheit
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Die Informationsfreiheit garantiert jedem Bürger das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Es umfasst sowohl das lediglich passive Empfangen von Informationen wie auch deren aktives Sammeln.
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Die Informationsfreiheit beschränkt sich auf „allgemein zugängliche Quellen“. Dies ist dann der Fall, wenn die Informationsquelle technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem individuellen nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen.[13]
3. Pressefreiheit
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Die Pressefreiheit schützt die gesamte Tätigkeit der Presse, und zwar sowohl die aktive Beschaffung von Informationen und die Recherche[14] wie auch deren ungehinderten passiven Empfang, aber auch die freie Veröffentlichung und Verbreitung von Informationen sowie die Mitwirkung der Presse bei der Bildung der öffentlichen Meinung.[15] Der Schutz kommt aber nicht nur der Pressetätigkeit, sondern auch dem Presseerzeugnis selbst einschließlich des Anzeigenteils[16] zugute. Der Begriff „Presse“ ist in weitem Sinn des „Druckwerks“ zu verstehen. Er umfasst nicht nur sämtliche periodischen Druckwerke von Zeitungen, gleich ob Unterhaltungspresse oder nicht, sondern auch alles einmalig Gedruckte wie Bücher, Flugblätter, Handzettel etc. Auch bloße Werkszeitungen sind geschützt.[17] Der Absatzweg ist unerheblich.
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Die Pressefreiheit enthält vielfältige Schutzwirkungen, die nicht unmittelbar die Wort- und Bildberichterstattung betreffen, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann. So umfasst sie z.B. den Informationsanspruch der Pressevertreter,[18] ihr Recht auf Gleichbehandlung gegenüber anderen Pressevertretern,[19] das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten[20] sowie das Redaktionsgeheimnis[21] – beides auch verbunden mit einem gewissen Schutz vor Durchsuchungen und Beschlagnahme. In der jüngeren Zeit haben vor allem Durchsuchungen von Redaktionsräumen von Zeitungen und Zeitschriften dem BVerfG Gelegenheit gegeben, seine schon im SPIEGEL-Urteil[22] begründete Rspr. durch das sog. Cicero-Urteil[23] zu aktualisieren. Danach sind Durchsuchungen und Beschlagnahme in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln.[24] Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses i.S.d. § 353b StGB durch einen Journalisten reicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht aus, um einen der strafprozessualen Ermächtigung zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen.[25] Aber auch dann, wenn ein Journalist selbst Beschuldigter oder Mitbeschuldigter einer Straftat ist und der in § 97 Abs. 5 S. 1 StPO normierte strafprozessuale Beschlagnahmeschutz nicht greift, bleibt Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu berücksichtigen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen für eine Durchsuchung und Beschlagnahme nicht aus.[26]
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In Abgrenzung zur Meinungsäußerungsfreiheit gilt, dass die Pressefreiheit berührt ist, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen und schließlich um die Institution der freien Presse an sich geht. Handelt es sich dagegen um die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung, so ist ungeachtet des Verbreitungsmediums die Meinungsäußerungsfreiheit maßgeblich.[27]
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Über den individualrechtlichen Schutz von Pressetätigkeit und des Presseerzeugnisses hinaus verleiht Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schließlich der Institution freie Presse als solcher Grundrechtsschutz.[28]
4. Rundfunkfreiheit
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Der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG reicht ebenso wie bei der Pressefreiheit von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung. Er gewährleistet vor allem die Gestaltungsfreiheit im Programm[29] einschließlich der unterhaltenden Programme.[30] Er umfasst u.a. auch die Erstellung von Bild- und Tonaufnahmen im Gerichtssaal vor dem Beginn und nach dem Schluss der Hauptverhandlung.[31]
5. Filmfreiheit
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Die in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ebenfalls erwähnte Filmfreiheit umfasst dokumentarische Filme, Spielfilme und jede Art filmischer Äußerung und deren Verbreitung.
II. Die Ausstrahlungswirkungen der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG auf die zivilrechtliche Betrachtung der Wort- und Bildberichterstattung
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Im Ausgangspunkte sollten die Grundrechte Abwehrrechte gegenüber dem Staat sein. Darauf sind sie jedoch nicht beschränkt. Das BVerfG hat schon sehr früh im Lüth-Urteil geklärt, dass und wie die Grundrechte auch im Zivilrecht wirken.[32] Dem BVerfG obliegt, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Fachgerichte sicherzustellen.[33] Diese Überprüfung beschränkt sich jedoch nicht auf die Frage, ob die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grds. unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruhen. Das BVerfG hat vielmehr auch im Einzelnen zu prüfen, ob die Entscheidung bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit verletzt hat.[34] Insbesondere unterliegt die Interpretation der str. Äußerung der verfassungsrechtlichen Kontrolle. Es findet also eine sog. intensivierte Kontrolle statt.[35]