Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
bejaht.[93] Allerdings könnte auch hier zu differenzieren sein. Maßgeblich für die Anwendung der Stolpe-Rechtsprechung sei, dass die Äußerung als eine geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige, allerdings mehrdeutige Tatsachenbehauptung wahrgenommen werde; resultierten konkrete Interpretationsmöglichkeiten erst aus dem Zusammenspiel mehrerer Äußerungen, die für sich betrachtet zulässige Meinungsäußerungen bzw. wahre Tatsachenbehauptungen darstellten, finde die Stolpe-Rechtsprechung keine Anwendung;[94] dies scheint vom BVerfG[95] aber wieder in Frage gestellt zu werden, wenn es heißt, dass das Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung nicht zugrunde legen darf, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen ausgeschlossen zu haben. Diese Textpassage ergibt aus Sicht des Verfassers nur dann Sinn, wenn eine ebenfalls denkbare Interpretation der Äußerung als Meinungsäußerung trotz der Stolpe-Rechtsprechung dann vom Gericht hätte zugrunde gelegt werden können. Höchstrichterlich ungeklärt ist die Anwendung der Stolpe-Rechtsprechung nach wie vor für verdeckte Tatsachenbehauptungen[96].
1.7 Verdacht, Zweifel, Gerüchte
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Wird ein Verdacht oder ein Zweifel geäußert oder eine Möglichkeit angedeutet oder werden Vermutungen ausgesprochen, kommt es darauf an, ob dadurch der Eindruck einer definitiven Behauptung vermittelt wird. Das gilt auch ähnlich für Gerüchte.[97]
1.8 Fragen
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Fragen unterscheiden sich von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen dadurch, dass sie keine Aussage treffen, sondern eine Aussage herbeiführen wollen. Sie sind auf eine Antwort gerichtet. Diese kann in einem Werturteil oder in einer Tatsachenmitteilung bestehen. Fragen selbst lassen sich jedoch keinem der beiden Begriffe selbst zuordnen, sondern besitzen eine eigene semantische Bedeutung.[98] Allerdings sind Fragesätze unter Berücksichtigung des Kontextes und die Umstände der Äußerung auszulegen.[99] Nicht jeder in Frageform gekleidete Satz ist als Frage einzuordnen. „Rhetorische Fragen“ sieht der BGH nicht als Fragen im eigentlichen Sinne. Sie bilden vielmehr Aussagen, die sich entweder als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung darstellen und rechtlich wie solche zu behandeln sind.“[100] Echte Fragen dagegen, die eine Antwort herausfordern, sind nicht am Wahrheits- oder am Richtigkeitsmaßstab messbar. Solche echten Fragen sind nach Auffassung des BVerfG gleichfalls durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt[101] und stehen Meinungsäußerungen gleich.[102] Allerdings kann in einer echten Frage im Einzelfall auch die Äußerung eines Verdachtes liegen, so dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung Anwendung finden.[103]
1.9 Zitate
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Zitate besitzen in zweierlei Hinsicht Aussagekraft: Im Hinblick auf den Inhalt der zitierten Äußerung[104] und im Hinblick auf die Tatsache, dass eine solche Äußerung des Zitierten tatsächlich erfolgt ist.[105] Ob eine Haftung wegen des Inhalts der zitierten Äußerung besteht, richtet sich nach dessen Klassifizierung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung sowie nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung. Insoweit das Zitat die Aussage enthält, dass eine solche Äußerung des Zitierten tatsächlich gefallen ist, ist damit die wörtliche Wiedergabe gemeint.[106]
1.10 Satire
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Da der Satire[107] die Übersteigerung, Verzerrung und Verfremdung eigen ist, ist zunächst der eigentliche Inhalt der Äußerung zu erfassen, indem dieser von seiner satirischen Einkleidung befreit wird, um sodann den dahinter liegenden Aussagegehalt der Äußerung zu ermitteln.[108] Dann sind sowohl der Aussagekern und seine Einkleidung erneut darauf hin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten.[109] Dabei ist für die Beurteilung der Einkleidung ein großzügigerer Maßstab anzulegen als für den Aussagekern selbst.[110] Denn satirische Übersteigerungen können als Stilmittel der Äußerung grds. selbst nicht schon als Kundgabe der Missachtung betrachtet werden.[111] Die in Form einer Satire geäußerte Meinung am Verhalten anderer Menschen findet aber ihre Grenze in der Schmähkritik oder einer Formalbeleidigung,[112] wobei die Menschen die Menschenwürde als unmittelbarer Ausfluss des Persönlichkeitsrechts auch gegenüber der Kunstfreiheit absolut ohne die Möglichkeit einer Güterabwägung wirken soll.[113]
1.11 Erkennbarkeit bei der Wortberichterstattung
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Eine Erkennbarkeit einer Person kann gegeben sein, wenn die Informationen über das Medium an solche Leser geraten können, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse (etwa des beruflichen oder persönlichen Umfelds des Betroffenen) in der Lage sind, die Person zu identifizieren.[114]
2. Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung
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Die Einstufung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung hat weit reichende Konsequenzen. Gegenüber Tatsachenbehauptungen sind im Falle der Unwahrheit oder auch im Falle der Wahrheit bei negativem Abwägungsergebnis im Einzelfall Unterlassungs-, Widerrufs- oder Gegendarstellungsansprüche möglich, ggf. Entschädigungs- und Schadenersatzansprüche. Bei der Meinungsäußerung muss in der Regel schon eine Schmähkritik oder Formalbeleidigung vorliegen, bevor eine eingeschränkte Anspruchspalette (Unterlassung, Geldentschädigung und Schadensersatz) in Frage kommen.
2.1 Kriterien der Abgrenzung
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Nach h.M. liegt eine Tatsachenbehauptung vor, wenn der Gehalt der Äußerung der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grds. dem Beweis offen steht.[115] Demgegenüber ist eine Meinungsäußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt.[116] Problematisch wird die Abgrenzung dadurch, dass Werturteilen in der Regel ein (ggf. unausgesprochener) Tatsachenkern zugrunde liegt, von dem das Urteil nicht zu lösen ist oder tatsächliche Tatsachenbehauptungen und Werturteile in einem Satz miteinander verbunden werden oder ineinander übergehen.[117] In solchen Fällen muss abgegrenzt werden, was die Äußerung entscheidend prägt. Geschieht dies durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens, ist die gesamte Äußerung in vollem Umfang durch Art. 5 Abs. 1 GG als Meinungsäußerung geschützt.[118] Hingegen überwiegt der tatsächliche Charakter, wenn die Wertung sich als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt und damit eine Beweisaufnahme auf die Wahrheit der zusammengefassten tatsächlichen Umstände möglich ist.[119] Auch dürfen nicht aus einer komplexen Äußerung Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen werden und als unrichtige Tatsachenbehauptungen untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem zu würdigenden Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich der freien Meinungsäußerung fallen kann.[120] Liegt objektive Mehrdeutigkeit zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung vor, wurde lange vertreten, dass im Zweifel Meinungscharakter anzunehmen sei.[121] Nach dem Stolpe-Beschluss des BVerfG ist dies problematisch und Gegenstand differenzierter Betrachtung geworden. Wo eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nicht zulässig ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes als Meinungsäußerung angesehen werden.[122]
2.2 Einzelfälle
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Bei Tatsachen kann es sich auch um innere Tatsachen handeln.
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Unbeachtlich für die Frage, ob Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung vorliegt, ist die konkrete Formulierung.[123] Aus der Einstufung der Tatsachenbehauptung kann man sich nicht durch Formulierungen wie „ich meine, dass“ oder „angeblich sollen