Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
Im Rahmen der Strafvollstreckung gewinnt § 454 Abs. 2 StPO zusätzliche Bedeutung, der unter bestimmten Voraussetzungen die Einholung eines Sachverständigengutachtens zwingend vorschreibt. Ein entsprechender Antrag sollte frühest möglich gestellt werden (vgl. Rn. 536), damit die Begutachtung noch vor einer möglichen Ausweisungsentscheidung vorgelegt werden kann.
Insoweit verdient auch die Tatsache Beachtung, dass die Entwicklung innerhalb der Strafhaft als nachträglicher Umstand in die Entscheidungsfindung einbezogen werden muss.[80]
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Im Übrigen ist die Frage, ob Wiederholungsgefahr vorliegt, anhand einer umfassenden Beurteilung der Person des Ausländers, seines Verhaltens, seiner Lebensverhältnisse, der Art und des Ausmaßes des Ausweisungsgrundes sowie der dabei zu Tage getretenen Umstände zu entscheiden.[81] Gemäß der bislang nicht angepassten Anwendungshinweise zum AufenthG (vgl. 53.0.3.1.3) sind – wohl auch weiterhin – insbesondere folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
• | Art, Unrechtsgehalt, Gewicht, Zahl und zeitliche Reihenfolge der vom Ausländer begangenen und verwertbaren[82] Straftaten; liegen weniger gewichtige Straftaten vor, kann deren Häufung ein eigenständiges Gewicht zukommen; |
• | Strafgericht einschließlich Gutachter haben eine Drogenabhängigkeit, einen kriminellen Hang, eine Neigung zum Glücksspiel oder eine niedrige Hemmschwelle vor einschlägigen Straftaten festgestellt; |
• | Frühere Bewährungsstrafen, Widerruf der Strafaussetzung, des Straferlasses oder der Aussetzung des Strafrestes, grobe und beharrliche Verstöße gegen Bewährungsauflagen, Scheitern von Resozialisierungsmaßnahmen, Widerruf von Strafvollzugslockerungen, Jugendverfehlung (Alter zur Tatzeit); |
• | Finanzielle Schwierigkeiten, Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit; |
• | Nichtbeachtung einer ausländerbehördlichen Verwarnung unter Androhung der Ausweisung; |
• | Wesentliche Änderung der Lebensverhältnisse.[83] |
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Ist über eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG zu entscheiden, sind bei der Abwägung zusätzlich folgende Gesichtspunkte zu beachten:
• | Von maßgeblicher Bedeutung ist die Gefährlichkeit des Betäubungsmittels. Beim Handel mit Heroin, Kokain und anderen vergleichbaren gefährlichen Betäubungsmitteln in „nicht geringen Mengen“ kann von einer Ausweisung nur in besonderen Ausnahmefällen abgesehen werden (vgl. 54.3.2.1 Anwendungshinweise zum AufenthG). |
• | Die Ausweisung kann aufgrund des Handeltreibens mit diesen Stoffen in nicht geringen Mengen schon bei einer einmaligen Bestrafung erfolgen, insbesondere in Fällen, in denen angesichts der vom Täter gezeigten erheblichen kriminellen Energie eine Wiederholungsgefahr besteht. Dies gilt auch bei Vorliegen besonderer schutzwürdiger persönlicher Belange wie der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen und dem familiären Zusammenleben mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind (vgl. 54.3.2.2 Anwendungshinweise zum AufenthG). |
• | Beim Handeltreiben mit sog. weichen Drogen ist vor allem die Handelsmenge von Bedeutung, da durch den Gebrauch dieser Betäubungsmittel in nicht ganz so folgenschwerer Weise in die körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird wie bei den sog. harten Drogen. Handel mit einer „nicht geringen“ Menge sog. weicher Drogen wird, soweit keine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erfolgt, regelmäßig zur Ausweisung führen (vgl. 54.3.2.3 Anwendungshinweise zum AufenthG). |
• | Besondere Bedeutung ist der Motivation des Täters beizumessen. Handelte dieser aus Gewinnsucht, ist die Ausweisung grundsätzlich geboten. Dagegen kann für ein Absehen von einer Ausweisung sprechen, wenn der Handel zur Finanzierung der eigenen Sucht diente und der abhängige Täter sich einer der Rehabilitation dienenden Behandlung bereitwillig unterzieht oder diese bereits erfolgreich abgeschlossen hat[84] (vgl. 54.3.2.4 Anwendungshinweise zum AufenthG). |
• | Die Höhe des Strafmaßes ist ein Indiz für die Gefährlichkeit des Täters (vgl. 54.3.2.5 Anwendungshinweise zum AufenthG). |
• | Auch die im Strafurteil bzw. in der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer oder in vergleichbaren amtlichen Stellungnahmen angestellten Sozialprognosen sind angemessen zu berücksichtigen (vgl. 54.3.2.6 Anwendungshinweise zum AufenthG)[85]. |
Hinweis
Der Verteidiger sollte stets darum bemüht sein, möglichst viele der vorgenannten – positiven – Strafzumessungserwägungen im Urteil „festschreiben“ zu lassen; dies gilt insbesondere dann, wenn eine Strafaussetzung aufgrund der zu erwartenden Strafhöhe nicht in Betracht kommt. Insoweit können Beweisanträge – z.B. hinsichtlich des Vorliegens eines minderschweren Falles – behilflich sein. Ergeht das Urteil auf Basis einer Verständigung, sollte der Verteidiger auf eine entsprechend positive Urteilsbegründung hinwirken (vgl. Rn. 84).
bb) Generalpräventive Ausweisungsgründe
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Wie bereits ausgeführt, kann eine Ausweisung grundsätzlich auch dann erfolgen, wenn sie darauf gerichtet ist, andere Ausländer von der Begehung ähnlicher Straftaten oder sonstiger ordnungsrechtlicher Verstöße abzuhalten. Die Ausweisung aufgrund generalpräventiver Erwägungen ist besonders misslich, da sie unabhängig vom persönlichen Verhalten des Ausländers verfügt werden kann. Daher ist stets zu prüfen, ob die Möglichkeit der generalpräventiv motivierten Ausweisung ausnahmsweise ausgeschlossen ist.
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Ausländern, die nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht Freizügigkeit genießen (vgl. Rn. 99 ff.), dürfen die Freizügigkeitsrechte nicht aus generalpräventiven Gründen aberkannt werden;[86] gleiches gilt für die Familienangehörigen des Freizügigkeitsberechtigen. Bzgl. türkischer Arbeitnehmer, die die in Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei genannten Voraussetzungen erfüllen (vgl. Rn. 120), sind generalpräventive Erwägungen ebenfalls unzulässig.
Hinweis
Ein/e Nicht-EU-Ausländer/in, der/die mit einem/er freizügigkeitsberechtigten EU-Ausländer/in verheiratet ist, kann somit nicht aus generalpräventiven Gründen ausgewiesen werden;[87] für Nicht-EU-Ausländer/innen, die mit einem/er deutschen Staatsangehörigen/er verheiratet sind, soll dies allerdings nicht gelten,[88] was einen Verstoß gegen Art. 3 GG darstellen dürfte.
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Kann die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, gilt es folgende Besonderheiten zu beachten:
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Nach der umstrittenen Rechtsprechung des BVerwG dürfen Behörden und Gerichte grundsätzlich davon ausgehen, dass