Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
des generalpräventiven Zwecks geeignet ist.[89] Eine generalpräventiv motivierte Ausweisung kommt nach den bislang nicht angepassten Anwendungshinweise zum AufenthG[90] (vgl. 53.0.3.2.2 ) insbesondere in Betracht bei
• | Sexualdelikten, sexuellem Missbrauch von Kindern[91], |
• | Raub oder raubähnlichen Delikten, Eigentums- und Vermögensdelikten sowie Hehlerei, Steuerhinterziehung[92], Schmuggel und Handel mit unverzollten sowie unversteuerten Waren[93], |
• | Waffendelikten[94], |
• | Eidesdelikten[95], Urkundendelikten[96], |
• | Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr[97], Fahren ohne Fahrerlaubnis[98], |
• | gravierenden Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht oder Arbeitserlaubnisrecht, |
• | schwerwiegenden Körperverletzungsdelikten (z.B. Messerstechereien)[99], |
• | Rauschgiftdelikten[100]. |
Nach der umstrittenen Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts kann die Ausweisung im Falle der Verurteilung wegen illegalen Rauschgifthandels auch dann auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, wenn der Ausländer zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat.[101]
Hinweis
• | Wird dem ausländischen Mandanten ein Verstoß gegen das BtmG zur Last gelegt, sollte der Verteidiger daher stets sorgfältig prüfen, ob er seinem Mandanten zur Aufklärungshilfe i.S.d. § 31 BtmG rät. Im Regelfall wird es ratsam sein, den Weg der Verständigung zu suchen, wobei auch die Ausländerbehörde, die bereits im Ermittlungsverfahren eine sie bindende Zusage abgeben kann,[102] einbezogen werden sollte. Geht die Ausländerbehörde auf die Anregung der Verteidigung nicht ein, muss im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob der Mandant das mit einem Geständnis verbundene Risiko der generalpräventiv motivierten Ausweisung zugunsten der möglichen Strafmilderung in Kauf nehmen will. |
• | Will die Ausländerbehörde die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen stützen, macht dies eine Einzelfallprüfung grundsätzlich nicht entbehrlich, weshalb im Regelfall die Strafakten beizuziehen und die persönlichen Verhältnisse des betroffenen Ausländers von Amts wegen aufzuklären sind.[103] |
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Wiegt das Bleibeinteresse des betroffenen Ausländers besonders schwer, wird eine rein generalpräventiv motivierte Ausweisung regelmäßig unverhältnismäßig sein.[104]
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Der generalpräventive Ausweisungszweck ist schließlich nur begründet, wenn der Ausweisungsgrund durch ein zurechenbares Verhalten verwirklicht wurde. Bei krankheits- oder suchtbedingten Handlungen, Hangtaten[105], gänzlich singulären Verfehlungen – sog. Leidenschafts- oder Konflikttaten[106] – oder leicht fahrlässigen Delikten[107], derentwegen im Falle der Ausweisung keine messbare Verhaltenssteuerung anderer Ausländer erreicht werden kann, entfällt somit die generalpräventive Wirkung der Ausweisung[108].
Hinweis
Insbesondere bei Kapitalstrafsachen ist es somit von besonderer Bedeutung, ob die Straftat in den Urteilsgründen als „Konflikttat“ gekennzeichnet wird; ist dies der Fall und erstellt der Sachverständige darüber hinaus eine positive Sozialprognose, kann die Ausweisung selbst im Falle hoher Freiheitsstrafen vermieden werden.[109]
Im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität gewinnt vor diesem Hintergrund die Unterbringung nach § 64 StGB erhebliche Bedeutung, da diese einen Hang voraussetzt, d.h. eine generalpräventiv motivierte Ausweisung ausscheidet. Kann die Therapie erfolgreich abgeschlossen werden, ist auch einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung die Grundlage entzogen, so dass die Ausweisung unterbleiben muss; diesbezüglich hat das neue Ausweisungsrecht – paradoxer Weise – eine erhebliche Verbesserung gebracht, da nach altem Recht bei hohen Freiheitsstrafen in der Regel die Voraussetzungen der „Ist-“ oder „Regelausweisung“ vorlagen, so dass im Ergebnis kein Ermessenspielraum vorlag. Bzgl. der neuen Rechtslage gilt es jedoch auch zu beachten, dass die Ausländerbehörde grundsätzlich nicht gehalten ist, den Verlauf einer Therapie abzuwarten. Wird eine Ausweisungsverfügung vor Abschluss der Therapie erlassen, sollte daher unbedingt Widerspruch eingelegt werden. Im Strafvollzug ist auf diesen Umstand ebenfalls hinzuweisen, wenn dem Gefangenen unter Hinweis auf die drohende Ausweisung die notwendige Drogentherapie (§ 35 BtmG) verweigert wird. Soweit die Rechtsprechung[110] vereinzelt davon ausgeht, das die Zurückstellung der Strafvollstreckung der Ausweisung nicht entgegensteht, sollte einem möglichen Missverständnis entgegengetreten werden; die Rechtsprechung verweist allein auf die Zurückstellung, nicht den zeitlich nachfolgenden Therapieerfolg. Wird dieser erzielt, ist die weitere Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht gerechtfertigt.
Anmerkungen
BT-Drucks. 18/4097, S. 49; Bergmann/Dienelt-Bauer § 53 AufenthG Rn. 11.
Vgl. BVerfG NVwZ 2007, 946, 948.
BT-Drucks. 18/4097, S. 29; Bergmann/Dienelt-Bauer Vorb §§ 53–56 AufenthG Rn. 1.
Bergmann/Dienelt-Bauer § 53 AufenthG Rn. 13.
Vgl. Bergmann/Dienelt-Bauer § 53 AufenthG Rn. 25.
Bergmann/Dienelt-Bauer Vorb §§ 53–56 AufenthG Rn. 13, § 53 AufenthG Rn. 5; BT-Drucks. 18/4097, S. 1, 23, 50.
Bergmann/Dienelt-Bauer § 53 AufenthG Rn. 8.
Bergmann/Dienelt-Bauer § 53 AufenthG Rn. 24; zum alten Recht GK-AufenthG-Discher § 55 AufenthG Rn. 80/81 m.w.N.
Vgl. 53.1.1.1 Anwendungshinweise zum AufenthG.
Vgl. Bergmann/Dienelt-Bauer § 54 AufenthG Rn. 8.