Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
und unter den Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 und 4 AktG ausgeschlossen werden.[59]
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Der Anspruch auf Abwicklungsüberschuss (§ 271 AktG)[60] folgt aus der Mitgliedschaft und stellt die Fortsetzung der vermögensrechtlichen Kapitalbeteiligung im Falle der Liquidation dar. Er ist zunächst ein nicht selbstständig durchsetzbares Vermögensrecht, das sich erst mit Eintritt der Verteilungsvoraussetzungen in einen Auszahlungsanspruch umwandelt.[61] Vor diesem Zeitpunkt kann der Anspruch auf Liquidationserlös durch die Satzung modifiziert und sogar ausgeschlossen werden – durch nachträgliche Satzungsänderung freilich nur mit Zustimmung aller betroffenen Aktionäre.[62]
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Im Falle des Abschlusses eines Unternehmensvertrages haben die außenstehenden Aktionäre der beherrschten Gesellschaft einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich und einen – alternativen – Anspruch auf Barabfindung (§§ 304, 305 AktG).[63] Der Ausgleichsanspruch schützt den außenstehenden Aktionär vor Verlusten, die ihm durch den Abschluss des Unternehmensvertrages drohen. Der Barabfindungsanspruch gibt ihm die Möglichkeit, gegen finanziellen Ersatz aus der Gesellschaft auszuscheiden.
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Ein Anspruch auf Barabfindung steht dem Minderheitsaktionär auch im Falle des Squeeze out zu (§ 327b AktG).[64] Für den Verlust seiner Mitgliedschaft erhält er einen angemessenen finanziellen Ausgleich.
2.4 Sonderrechte
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Als Sonderrechte werden regelmäßig die Rechte bezeichnet, die in der Satzung einzelnen oder einer Gruppe von Aktionären zugewiesen sind.[65] Hauptfall sind Entsendungsrechte nach § 101 Abs. 2 AktG; außerdem werden hierzu Nutzungsrechte an Einrichtungen der Gesellschaft gezählt.[66] Für die Frage, ob diese Sonderrechte unentziehbar sind, hilft der Begriff allein indes nicht weiter.[67] Vielmehr ist bei den durch die Satzung zugewiesenen Rechten im Einzelfall zu untersuchen, ob sie – wie das Entsendungsrecht – dem einzelnen Aktionär gewährt werden und ihm deshalb ohne dessen Zustimmung nicht wieder entzogen werden können oder ob sie einer Gruppe von Aktionären gewährt werden und damit eine Aktiengattung begründen mit der Folge, dass sie nur mit Sonderbeschluss der Aktionäre dieser Gattung modifiziert werden können. Bei der Abgrenzung ist zu beachten, dass selbst allgemeine Mitgliedschaftsrechte durch die Satzung so ausgestaltet werden können, dass sie nur mit Zustimmung der betroffenen Aktionäre wieder entzogen werden können.[68]
2.5 Ruhen von Mitgliedschaftsrechten
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Unter bestimmten Voraussetzungen sieht das Aktienrecht vor, dass Mitgliedschaftsrechte aus einer Aktie zeitweilig nicht bestehen oder ruhen. Dies gilt bspw. für die Verletzung[69] von Mitteilungspflichten (§§ 20 Abs. 7[70], 21 Abs. 4 AktG, § 28 WpHG), für eigene Aktien (§§ 71b, 71d AktG) und für die Verletzung der Pflicht zur Abgabe eines öffentlichen Übernahmeangebots (§ 59 WpÜG). Während aus eigenen Aktien der Gesellschaft weder Verwaltungs- noch Vermögensrechte zustehen, gilt in den Fällen der genannten Pflichtverletzungen der Rechtsverlust nicht für das Gewinnbezugsrecht (§ 58 Abs. 4 AktG) und den Anspruch auf Liquidationserlös (§ 271 AktG), wenn die betreffende Pflicht nicht vorsätzlich verletzt wurde und nachgeholt wird; bis zur Heilung ruhen diese Vermögensrechte lediglich.[71]
2. Kapitel Grundlagen › V. Die Rechtsstellung der Aktionäre › 3. Mitgliedschaftspflichten
3.1 Einlagepflicht
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Hauptpflicht des Aktionärs ist seine Einlagepflicht.[72] Sie ist regelmäßig auf eine Bareinlage gerichtet, soweit nicht in der Satzung oder dem Kapitalerhöhungsbeschluss eine Sacheinlage oder eine gemischte (Bar- und Sach-)Einlage vorgesehen ist. Die Einlagepflicht entsteht bei der Gründung mit der Übernahme der Aktien und bei der Kapitalerhöhung mit Zustandekommen des Zeichnungsvertrages; außerdem trifft den Erwerber einer nicht voll eingezahlten Aktie die Resteinlagepflicht (§ 65 AktG).[73] Die Einlagepflicht steht zur Mitgliedschaftsgewährung nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i.S.d. §§ 320 ff. BGB. Wird sie nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, greifen die Regelungen der §§ 63 ff. AktG. Nach § 54 AktG ist die Einlagepflicht auf den Ausgabebetrag begrenzt, also auf den Nennbetrag bzw. den auf die Stückaktien entfallenden Anteil am Grundkapital zuzüglich Agio. Auch in der Satzung können keine Nachschusspflichten verankert werden.[74]
3.2 Nebenleistungspflicht
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Daneben kann nach § 55 AktG die Satzung vinkulierte Namensaktien mit Nebenleistungspflichten[75] verbinden. Nebenleistungen sind wiederkehrende, nicht in Geld bestehende Leistungen i.S.d. § 241 BGB. Nicht unter § 55 AktG fallen daher einmalige oder dauernde Pflichten.[76] Leistungsstörungen werden nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts behandelt, die durch eine Vertragsstrafenregelung in der Satzung flankiert werden können (§ 55 Abs. 2 AktG). Nebenleistungspflichten können auch den Inhabern einzelner bestimmter Aktien auferlegt werden; in diesem Falle entsteht eine Aktiengattung. Sie können entgeltlich oder unentgeltlich zu erbringen sein. Dazu muss die Satzung zwingend eine Aussage treffen, nicht jedoch die Höhe des Entgelts genau festlegen.[77]
3.3 Treuepflicht
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Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wurde ursprünglich für das Recht der Personengesellschaften entwickelt und für die AG lange Zeit abgelehnt. In seinem „ITT“-Urteil aus dem Jahre 1975[78] erkannte der BGH das Bestehen einer Treuepflicht unter den Gesellschaftern für die GmbH an. Im Jahre 1988 bestätigte er dann in der „Linotype“-Entscheidung[79] ihre Existenz auch für den Mehrheitsaktionär, den sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber seinen Mitaktionären eine Rücksichtnahmepflicht treffe. Das „IBH/Scheich Kamel“-Urteil[80] des BGH stellte anschließend klar, dass sich die aktienrechtliche Treuepflicht auf den im Gesellschaftsvertrag durch Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand definierten mitgliedschaftlichen Bereich beschränkt. Seit der „Girmes“-Entscheidung[81] des BGH aus dem Jahre 1995 ist schließlich anerkannt, dass die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Aktienrecht uneingeschränkt gilt und auch den Minderheitsaktionär binden kann.[82] Dies entspricht heute allgemeiner Meinung.[83]
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Hinsichtlich der dogmatischen Herleitung der Treuepflicht ist freilich keine Einigkeit auszumachen. Während zum Teil auf § 242 BGB oder aktienrechtliche Einzelnormen zurückgegriffen wird, geht die h.M. von einer richterrechtlichen Generalklausel aus, die ihre Basis in verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen hat[84] und der zum Teil sogar schon gewohnheitsrechtliche Qualität zugemessen wird.[85]
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Die aktienrechtliche Treuepflicht hat ihre Grundlage im Organisationsstatut der AG. Sie bindet daher nur die AG und die Aktionäre selbst, nicht dagegen Dritte – auch nicht, soweit diese als Stimmrechtsvertreter für einen Aktionär handeln.[86]
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Der Umfang der Treuepflicht wird vielfach davon abhängig gemacht, ob der Aktionär eigennützige oder uneigennützige Mitgliedschaftsrechte wahrnimmt.[87] Diese Unterscheidung hilft mangels