Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
Ausübung eines Mitgliedschaftsrechts die Belange der Gesellschaft gegenüber den eigenen Individualinteressen des Aktionärs im Vordergrund stehen. Deshalb beschränkt die Treuepflicht regelmäßig auch nicht die Ausübung von Vermögensrechten.[89] Es sind vielmehr vornehmlich die Verwaltungsrechte, die durch die Treuepflicht tangiert werden. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Mindermeinung besteht die Treuepflicht unabhängig von der Beteiligungsquote des jeweiligen Aktionärs und bindet nicht nur den Aktionär, der mit seiner Stimmkraft – allein oder durch Stimmbindung oder -bündelung – eine besondere Machtstellung hat. Sie ist also inhaltsbezogen und nicht wirkungsbezogen.[90]
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Der Inhalt der Treuepflicht kann – abhängig von dem jeweiligen Mitgliedschaftsrecht und der Stimmkraft des Aktionärs – vielfältig sein. Soweit bei der Ausübung eines Mitgliedschaftsrechts Gesellschaftsbelange im Vordergrund stehen, treffen den Aktionär Handlungs- und Unterlassungspflichten, die dem Gesellschaftszweck dienen; bei der Stimmrechtsausübung kann dies zu positiven Stimmpflichten führen, wenn eine Maßnahme die Stimme des betreffenden Aktionärs erfordert, sowie zu negativen Stimmpflichten (Stimmenthaltung), wenn eine Maßnahme durch die Stimme dieses Aktionärs verhindert würde.[91] Daneben muss der Aktionär – und zwar sowohl der Mehrheits- als auch der Minderheitsaktionär – seine Mitgliedschaftsrechte unter Loyalität gegenüber der Gesellschaft und Rücksichtnahme auf die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitaktionäre ausüben (Schrankenfunktion der Treuebindung). Je mehr die Gesellschaftsbelange im Vordergrund stehen, desto stärker muss der Aktionär seine eigenen Individualinteressen zurückstellen. Selbst wenn er sich – wie regelmäßig bei der Ausübung seiner Vermögensrechte – nur von seinen eigenen Interessen leiten lassen darf, begründet die Treuebindung eine Willkürschranke.[92] Bei der Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte steht dem Aktionär jedoch ein unternehmerisches Ermessen zu.[93] Ausfluss der Treuepflicht ist auch das Institut der materiellen Beschlusskontrolle.[94]
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Als Rechtsfolgen einer Treuepflichtverletzung kommen die Unbeachtlichkeit der Rechtsausübung (also bspw. einer Stimmabgabe oder eines Auskunftsverlangens), die Anfechtbarkeit von HV- oder Sonderbeschlüssen (wenn nichtige Stimmen mitgezählt wurden), die Pflicht zur positiven Stimmabgabe (möglicherweise sogar ein Antrag auf positive Beschlussfeststellung) sowie Schadensersatzansprüche in Betracht.[95]
2. Kapitel Grundlagen › V. Die Rechtsstellung der Aktionäre › 4. Gleichbehandlungsgebot
4. Gleichbehandlungsgebot
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Nach § 53a AktG sind Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Das Gleichbehandlungsgebot war auch schon vor seiner ausdrücklichen Kodifizierung im Jahre 1978 allgemein anerkannt. Es schützt den Aktionär vor einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung durch die Gesellschaft. Es bindet also die Organe der Gesellschaft, nicht jedoch die einzelnen Aktionäre untereinander.[96] Der Schutz des Gleichbehandlungsgebots erstreckt sich nur auf den mitgliedschaftlichen Bereich, erfasst also grds. weder die schuldrechtlichen Individualbeziehungen der Aktionäre zur AG noch die Begünstigung Dritter durch die Gesellschaft.[97]
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§ 53a AktG verpflichtet die AG nicht zur generellen Gleichbehandlung sämtlicher Aktionäre. Vielmehr sind die Aktionäre nur „unter gleichen Voraussetzungen“ gleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsmaßstab ist grundsätzlich abhängig davon, ob das betroffene Mitgliedschaftsrecht den Aktionären im Umfang ihrer jeweiligen Beteiligungsquote oder nach Köpfen zugewiesen ist. Für Stimmrecht, Gewinnbezugsrecht, Bezugsrecht und Liquidationserlösanspruch ist mithin regelmäßig auf den Anteilsbesitz abzustellen (Gleichbehandlung der Aktien), während bspw. Teilnahmerecht, Rederecht, Auskunftsrecht, Gegenantragsrecht und Anfechtungsrecht durch die Gleichbehandlung nach Köpfen geprägt sind; ausnahmsweise kann jedoch die Beteiligungsquote auch eine ungleiche Beschränkung des Rederechts rechtfertigen.[98] Unabhängig vom Gleichbehandlungsmaßstab macht der Gesetzeswortlaut deutlich, dass sachgerechte Differenzierungen immer zulässig sind (Willkürverbot).
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Das Gleichbehandlungsgebot ist zwingender Natur. Es kann in der Satzung nicht generell ausgeschlossen werden. Der einzelne Aktionär kann auf diesen Schutz auch nicht pauschal verzichten. Zulässig ist allerdings der Verzicht im Einzelfall.[99]
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Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist zu unterscheiden: Verstoßen HV-Beschlüsse gegen das Gleichbehandlungsgebot, sind sie regelmäßig nicht nichtig, sondern anfechtbar. Andere Maßnahmen der Verwaltung sind, soweit sie Aktionäre ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandeln, unwirksam. Außerdem kann aus dem Gleichbehandlungsgebot eine aktive Handlungspflicht der Verwaltung folgen.[100] Ein Gleichbehandlungsanspruch „im Unrecht“ ist indes nicht anzuerkennen.[101]
Anmerkungen
Vgl. hierzu im Einzelnen 6. Kap. Rn. 175.
Einzelheiten hierzu 6. Kap. Rn. 199.
Ganz h.M.: vgl. Münch. Hdb. GesR IV/Rieckers § 17 Rn. 1.
Zu den zahlreichen Unterscheidungen vgl. bspw.: Staub/Ulmer HGB, § 105 Rn. 39 ff; K. Schmidt Gesellschaftsrecht § 19 III 3; Raiser/Veil § 11 Rn. 10; K. Schmidt/Lutter/Ziemons § 11 Rn. 14.
Erstmals: Hueck FS Hübner, S. 72, 90; ihm folgend: Großkommentar/Henze/Notz Anh. 53a Rn. 53; K. Schmidt/Lutter/Ziemons § 11 Rn. 14; Münch. Hdb. GesR IV/Rieckers § 17 Rn. 5; a.A. Röhricht HdB Corporate Governance, S. 535 ff.
So Großkommentar/Henze/Notz Anh. 53a Rn. 53; Münch. Hdb. GesR IV/Rieckers § 17 Rn. 5; im Zusammenhang mit der Anfechtungsbefugnis: Hüffer/Koch § 245 Rn. 3.
Hennrichs AcP 1995, 222, 228 ff.; MünchKomm BGB/Schubert § 242 Rn. 177; a.A. Lutter ZHR 1989, 446, 454; vgl. auch Röhricht HdB Corporate Governance, S. 517.
Die jeweiligen Ausübungsschranken werden bei den einzelnen Mitgliedschaftsrechten behandelt.
Raiser/Veil § 11 Rn. 13; MünchKomm AktG/Heider § 11 Rn. 7; Münch. Hdb. GesR IV/Rieckers § 17 Rn. 9; K. Schmidt/Lutter/Ziemons § 11 Rn. 17.
Aus der Rspr. vgl. bspw. BGH DB 1987, 424 ff.