Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
Auch eine Eingliederung, die ebenfalls eine Beteiligungsquote von wenigstens 95 % erfordert, führt zum Ausscheiden der Minderheitsaktionäre aus der AG; im Gegensatz zum Squeeze out erhalten die Minderheitsaktionäre regelmäßig Aktien der Gesellschaft, die die Eingliederung betreibt (vgl. § 320b Abs. 1 S. 2 AktG).
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Demgegenüber handelt es sich bei der übertragenden Auflösung nicht um ein gesetzlich originär vorgesehenes Verfahren. Vielmehr werden Liquidation der AG (§§ 262 ff. AktG) und Verkauf des wesentlichen Vermögens der AG so miteinander verknüpft, dass ein neuer Rechtsträger, der über die gewünschte Anteilseignerstruktur verfügt, die Unternehmung der AG weiterführt. Da die AG im Rahmen dieser übertragenden Auflösung liquidiert wird, erhalten sämtliche Aktionäre einen etwaigen Liquidationsüberschuss und mithin – der Sache nach – eine Barabfindung. Im Gegensatz zur Eingliederung und zum Squeeze out erfordert die übertragende Auflösung, soweit die Satzung der AG keine höheren Mehrheiten bestimmt, lediglich eine Beteiligungsquote von 75 %. Allerdings ist dieses Verfahren einerseits mit beachtlichen Rechtsrisiken verbunden und führt andererseits dazu, dass der Liquidationsüberschuss aufgrund des Sperrjahres (§ 272 AktG) erst mit Verzögerung ausgezahlt werden kann. Schließlich ist die übertragende Auflösung steuerlich ungünstig,[3] da der Erlös für die Veräußerung des gesamten Vermögens bei der AG zu versteuern ist; es kommt mithin zur Aufdeckung der stillen Reserven. Zudem fällt Grunderwerbsteuer an, wenn zum Vermögen der AG auch Grundeigentum gehört.
2. Kapitel Grundlagen › VI. Beendigung der Mitgliedschaft › 2. Missbrauch und Verfassungsmäßigkeit des Zwangsausschlusses
2. Missbrauch und Verfassungsmäßigkeit des Zwangsausschlusses
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Soweit Aktionäre gegen ihren Willen aus der AG ausgeschlossen werden, stellt sich die Frage, inwieweit ein solcher Zwangsausschluss überhaupt zulässig ist. Denn immerhin steht der Aktienbesitz unter der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, der sich – jedenfalls auf den ersten Blick – nur schwer mit einem „Zwangsverkauf“ in Einklang bringen lässt. Diesbezüglich ist zu differenzieren.
2.1 Squeeze out
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Der (aktien- und übernahmerechtliche) Squeeze out ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. Dies allein führt indessen nicht zur Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahmen, da auch Gesetze ihrerseits verfassungswidrig sein können. Dementsprechend ist das Argument der Verfassungswidrigkeit bei Klagen gegen solche Maßnahmen standardmäßig vorgebracht worden.
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Mittlerweile ist die Verfassungsmäßigkeit dieser Normen ausdrücklich klargestellt worden, so dass der Einwand der Verfassungswidrigkeit gegen den eigentlichen Zwangsausschluss kaum mehr Erfolg haben wird. Nachdem der BGH zunächst die Verfassungsmäßigkeit des Squeeze out feststellte,[4] hat auch das BVerfG klargestellt,[5] dass §§ 327a ff. AktG nicht gegen Art. 14 GG verstoßen. Bei den §§ 327a ff. AktG handele es sich um zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.[6] Da zudem durch die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung im Spruchverfahren (§ 327f AktG) sichergestellt sei, dass der Aktionär wirtschaftlich voll entschädigt wird, bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein solches Verfahren. Entsprechend hält das BVerfG auch den übernahmerechtlichen Squeeze out nach §§ 39a ff. WpÜG für verfassungsgemäß.[7]
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Auch der Einwand des Missbrauchs wird sich nur schwer mit Erfolg vorbringen lassen. Der Gesetzgeber hat in den §§ 327a ff. AktG vorweg die Abwägung zwischen den Interessen des Mehrheitsaktionärs und denen der Minderheitsaktionäre vorgenommen. Dementsprechend bedarf es für einen solchen Beschluss keiner inhaltlichen Rechtfertigung. Der HV-Beschluss über den Ausschluss trägt seine sachliche Rechtfertigung in sich,[8] so dass keine materielle Beschlusskontrolle, wie etwa beim Bezugsrechtsausschluss, vorzunehmen ist. Folglich ist der Ausschluss an sich keinesfalls rechtsmissbräuchlich, so dass zusätzlich wesentliche Umstände hinzutreten müssten, um einen Missbrauchseinwand zu begründen.
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Diskutiert werden insoweit namentlich Maßnahmen, die die Mehrheit der Gesellschafter überhaupt erst in die Lage versetzen, den Squeeze out durchzuführen. So wird zum einen die Kombination von umwandlungsrechtlichen Maßnahmen und Squeeze out als problematisch angesehen, beispielsweise der Formwechsel hin zur AG oder die Verschmelzung von oder auf eine andere Gesellschaft, um überhaupt erst die erforderlichen Mehrheiten zu erreichen. Zum anderen werden Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss unter bestimmten, qualifizierenden Voraussetzungen als missbräuchlich angesehen. Schließlich soll auch bei bloß zeitweiligem Zusammenschluss verschiedener (Groß-)Aktionäre ein Missbrauch in Betracht kommen.[9]
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Es mag zwar in extremen Ausnahmekonstellationen ein Missbrauch des Squeeze out in Betracht kommen. In aller Regel ist die Nutzung bzw. Kombination gesetzlich ausdrücklich vorgesehener Optionen rechtlich aber zulässig und nicht zu beanstanden. Dementsprechend ist auch bislang kein Fall bekannt geworden, in dem ein Minderheitsaktionär mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs Erfolg gehabt hätte. Namentlich der bloß für den Zeitraum des Squeeze out-Verfahrens bewirkte Zusammenschluss von einigen Großaktionären ist rechtlich unproblematisch, denn der Squeeze out muss nicht darauf gerichtet sein, dass nach dem Verfahren lediglich ein Aktionär in der Gesellschaft verbleibt.[10]
2.2 Eingliederung
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Auch die Eingliederung unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.[11] Da bei der Eingliederung – im Vergleich zum Squeeze out – sogar Anteile der AG gewährt werden, in die eingegliedert wird, ergibt sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit zusätzlich aus einem Erst-Recht-Schluss im Vergleich dieser beiden Rechtsinstitute. Wenn schon der Ausschluss gegen Barabfindung zulässig ist, muss der Ausschluss gegen Gewährung von Anteilen an der späteren Muttergesellschaft erst Recht zulässig sein.
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Im Übrigen gelten die Ausführungen zum Squeeze out entspr., so dass ein Missbrauch dieses Rechtsinstituts kaum denkbar ist.
2.3 Übertragende Auflösung
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Schwieriger zu beantworten ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine sog. übertragende Auflösung unwirksam ist. Im Gegensatz zum Squeeze out und zur Eingliederung handelt es sich nicht um ein gesetzlich vorgesehenes Rechtsinstitut. Es wird vielmehr die Auflösung mit der Veräußerung des Vermögens bzw. wesentlicher Vermögensteile verknüpft.
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Klar ist zunächst, dass auch der Liquidationsbeschluss seine Rechtfertigung in sich trägt und daher keiner generellen Inhaltskontrolle unterliegt.[12] Auch der Kauf wesentlicher Unternehmensteile aus