Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
Krisenursachen oder eine reine Aufzählung von Krisenursachen berücksichtigen diese Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht. Zur Krisenerkennung sind deshalb spezielle Krisenerkennungsinstrumente notwendig.
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Hinsichtlich der Erkennung von Risiken sind zwei Vorgehensweisen gleichzeitig erforderlich: Der Bottom-up-Ansatz und der Top-down-Ansatz.
Beim Bottom-up-Ansatz werden einzelne Risiken des Unternehmens identifiziert, sukzessive gruppiert und zu einem Gesamtunternehmensrisiko aggregiert. Hierbei wird zwischen operativen und strategischen Bottom-up-Ansätzen unterschieden. Operative Ansätze nutzen überwiegend harte, quantitative Informationen und betrachten im Vergleich zur strategischen Krisenfrüherkennung einen kurz- bis mittelfristigen Zeithorizont. Strategische Ansätze zur Krisenfrüherkennung basieren auf dem Konzept der schwachen Signale. Mit diesen sollen langfristige Krisenfaktoren des Unternehmens identifiziert werden. Es wurde deutlich, dass sich operative und strategische Ansätze ergänzen, indem die operativen Ansätze zur Überwachung von kurzfristigen Risiken genutzt und strategische Ansätze zur Erkennung von langfristigen Existenzrisiken eingesetzt werden. Die Bottom-up-Ansätze müssen also sowohl operative als auch strategische Risiken berücksichtigen. Doch ist damit noch nicht gewährleistet, dass sämtliche Risiken des Unternehmens erfasst werden, weil es kein objektives Bottom-Up-Verfahren gibt, die einzelnen Risiken zu einem objektiven Gesamtrisiko zusammenzuführen.
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Der Bottom-up-Ansatz ist deswegen unbedingt durch den Top-down-Ansatz zu ergänzen. Bei einem Top-down-Ansatz wird eine Gesamtunternehmensperspektive eingenommen und das Gesamtrisiko des Unternehmens wird aus dem Jahresabschluss ermittelt, da er ein idealer „Sammler“ aller Risiken und Chancen des Unternehmens ist.
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In diesem Beitrag wurden klassische und moderne Verfahren der Jahresabschlussanalyse unterschieden. Die klassischen Verfahren erfüllen, ebenso wie die Bottom-up-Ansätze, nicht die Anforderungen an ein objektives, ganzheitliches Urteil. Moderne Verfahren der Jahresabschlussanalyse sind Bilanzratingsysteme, mit Hilfe derer die (Bilanz-)Bonität von Unternehmen auf der Grundlage einer großen statistischen Datenbasis an Jahresabschlüssen gesunder und kranker Unternehmen mit Hilfe von mathematisch-statistischen Verfahren beurteilt wird. Zu den modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse zählen u.a. die Multivariate Diskriminanzanalyse, die Logistische Regression und die Künstliche Neuronale Netzanalyse. Als praktisches Bsp. für ein auf einem künstlichen neuronalen Netz basierendes Bilanzratingsystem wurde das Baetge-Bilanz-Rating vorgestellt. Anhand des Baetge-Bilanz-Rating konnte gezeigt werden, dass moderne Verfahren der Jahresabschlussanalyse Unternehmenskrisen frühzeitig und treffsicher anzeigen. RiskCalc, das zweite in diesem Beitrag vorgestellte Bsp. für ein Bilanzratingsystem wurde mit Hilfe der logistischen Regression entwickelt. Es ist eine Weiterentwicklung des Baetge-Bilanz-Ratings.
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Das Baetge-Bilanz-Rating und RiskCalc erlauben nicht nur, das Bestandsrisiko eines Unternehmens als Ganzes in einem Top-down-Ansatz zu ermitteln, sondern beide Verfahren geben durch die fragengeleitete Ursachenanalyse und die individuelle Sensitivitätsanalyse auch Hinweise auf die möglichen Krisenursachen und liefern somit Ansatzpunkte für eine Unternehmenssanierung.
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Einem Anwender ist prinzipiell zu empfehlen, zur Früherkennung von Unternehmenskrisen auf die modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse zurückzugreifen, indem ein solches System erworben wird. Wenn ein solches Instrument zur Jahresabschlussanalyse nicht zur Verfügung steht, kann auf die klassische Analyse des Jahresabschlusses zurückgriffen werden, um ein Gesamturteil über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu bilden. Die klassische Jahresabschlussanalyse garantiert allerdings kein objektives, neutrales sowie ganzheitliches Urteil.
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Ferner wurde der Einfluss der Unternehmenskultur auf die Unternehmenskrise betrachtet. Hierbei wurde deutlich, dass eine Verschlechterung der Unternehmenskultur und der Zielerreichungsgrade der Unternehmenskulturfunktionen die Unternehmenskrise verschärfen kann. In diesem Beitrag wurde auch klargestellt, dass eine Krise auch konstruktive Auswirkungen haben kann. Ein Unternehmen, das eine Krise erfolgreich abwendet, geht im Regelfall gestärkt aus dem Krisenprozess hervor. Die erfolgreiche Krisenabwendung steht und fällt mit der frühzeitigen Krisenerkennung. Nur wenn die Krise frühzeitig erkannt wird, kann das Unternehmen rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen. Dies unterstreicht die Bedeutung der hier beschriebenen Ansätze zur Krisenfrüherkennung.
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Bestimmte qualitative und zukunftsgerichtete Informationen, sogenannte Negativmerkmale, werden durch eine Jahresabschlussanalyse nicht erfasst. Sie müssen zusätzlich zu dem Urteil durch das Bilanzratingsystem identifiziert und gemanagt werden. Negativmerkmale werden durch die Bottom-up-Ansätze erfasst. Bottom-up-Ansätze und Top-down-Ansätze ergänzen sich somit, indem Top-down die Aggregation des Gesamtunternehmensrisikos objektiviert und plausibilisiert und Bottom-up die Überwachung der Negativmerkmale abdeckt wird. Zur Erkennung von Unternehmenskrisen ist also zu empfehlen, „das eine (Bottom-up-Ansatz) zu tun ohne das andere (Top-down-Ansatz) zu lassen“.
3. Kapitel Unternehmenssanierung als Management-Aufgabe
Literatur:
Baur/Kantowsky/Schulte (Hrsg.) Stakeholder Management in der Restrukturierung, 2. Aufl. 2015; Brühl/Göpfert (Hrsg.) Unternehmensrestrukturierung, 2. Aufl. 2014, S. 195-222; Bous Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzerngebundener Kapitalgesellschaften, 2001; Conner Managing at the Speed of Change, 1993; Freeman Strategic management: A stakeholder approach, 2010; IDW IDW S 6 Standard – Anforderungen an Sanierungskonzepte, 2018; Knecht/Hommel/Wohlenberg (Hrsg.) Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 2. Aufl. 2018; Reifert (Hrsg.) Finanzielle Restrukturierung, 2011; Slatter/Lovett/Barlow Leading corporate turnaround: How leaders fix troubled companies, 2011; Slatter/Lovett Corporate Recovery: Managing Companies in Distress, 1999.
I. Einleitung
„Turnaround practitioners are more often associated with ruthless „downsizing“ rather than the more inspiring concept of leadership. Yet leadership is never more important than when survival is at stake.“ [1] |
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Eine Unternehmenssanierung bzw. -restrukturierung beginnt mit einer komplexen Ausgangssituation, auf die das verantwortliche Managementteam meist nicht vorbereitet ist. Die wenigsten Unternehmenslenker machen während ihres Berufslebens die Erfahrung einer existenzgefährdenden Krise mit anschließender Restrukturierung.
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Die folgenden Kapitel behandeln zunächst die nötigen Erfolgsfaktoren zur Bewältigung einer Krise und gehen dabei auch auf Methoden des Projektmanagements sowie die Funktion des Chief Restructuring Officer (CRO) ein. So wird z.B. auch der Unterschied zwischen einem klassischen Project Management Office (PMO) und des aktiv inhaltsgetriebenen Execution Management Office (EMO) verdeutlicht.
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Mit einer Kernaufgabe der Sanierung – dem Stakeholder-Management – befasst sich der zweite Teil. Hier werden nicht nur die einzelnen Stakeholder mit ihren jeweiligen Partikularinteressen, sondern auch typische Spannungsfelder zwischen unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen dargestellt. Abgerundet wird dieser Abschnitt mit der Vorstellung eines Ansatzes zum Stakeholder-Mapping sowie praxisrelevanten Goldstandards und auch potenziellen Fallstricken des Stakeholder-Managements.