Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch
Von Unternehmen, die sich noch nicht in einer Ertrags- oder Liquiditätskrise, aber sehr wohl in einer strategischen Krise befinden, handelt das letzte Kapitel. Dort wird das Konzept des Pro-Active Turnaround (PAT) vorgestellt, welches sich durch seine proaktive Natur, seinen holistischen Ansatz sowie seine spezielle Ausrichtung auf das Stakeholder-Management auszeichnet. Die praktische Anwendung dieses innovativen Konzeptes wird abschließend anhand eines Unternehmens aus dem Bereich der Mineralölindustrie praxisnah beschrieben.
1. Besonderheiten einer Krisensituation
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Ein in die Krise geratenes Unternehmen stellt für das Management eine sehr komplexe Herausforderung dar, nicht zuletzt, weil sich die Anforderungen an die Unternehmensleitung schlagartig erhöhen. Die meisten Manager allerdings erleben in ihrer Karriere keine echte Unternehmenskrise. Wenn es denn doch dazu kommt, trifft es sie häufig unvorbereitet. Während sich der gefühlte Mikrokosmos eines florierenden Unternehmens primär aus Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden zusammensetzt, erwarten in einer Krise deutlich mehr Parteien Informationen und Kommunikation. Kreditversicherer und Finanzierungspartner erwarten Transparenz in den Finanzkennzahlen, Betriebsräte und Gewerkschaften erwarten, in die Bekämpfung der Krise einbezogen zu werden, Eigentümer involvieren sich stärker und das, mit Fortschreiten der Krise, immer häufiger.
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Je nach Krisenstatus kommt es nicht selten dazu, dass Lieferanten ihre Zahlungsbedingungen verschärfen, Kreditversicherer die Limite kürzen und Lieferanten die Belieferung reduzieren oder gänzlich einstellen. Sollte das Unternehmen im Medieninteresse stehen oder die Produkte Teil einer erweiterten Wertschöpfungskette sein, haben auch Kunden einen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Krise. Ziehen diese aus Risikoaspekten größere Aufträge zurück, verschlechtert sich die Situation für das Unternehmen rapide. Die Mitarbeiter im Unternehmen sind auf Grund der sichtbaren Zeichen für eine Unternehmenskrise verunsichert. Wettbewerber haben in solchen Situationen ein leichtes Spiel. Sie machen Abwerbe-Angebote, in deren Folge häufig Leistungsträger das Unternehmen verlassen.
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Um adäquat gegensteuern zu können, müssen zuerst die Ursachen einer Krise schnell analysiert und transparent aufbereitet werden.[2] Nicht selten zeigen sich dabei im kaufmännischen Berichtswesen erhebliche Defizite. Während in guten Zeiten häufig der Blick auf Umsatz und Monatsergebnis als ausreichend angesehen wird, mangelt es beispielsweise in Controlling-Berichten meist an Transparenz über die in einer Krise wichtigen Key Performance Indicators (KPI). Eine auf relevanten Erfolgsgrößen basierende Ursachenanalyse vermittelt ein Bild davon, wie weit das Unternehmen bereits in der Krise steckt. Handelt es sich noch um eine Erfolgskrise oder befindet sich das Unternehmen bereits in einer Liquiditätskrise.[3]
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Eine Erfolgskrise ist durch anhaltende Verluste geprägt, die das Eigenkapital des Unternehmens aufzehren und zur (bilanziellen) Überschuldung führen können. Ursachen für eine Erfolgskrise können eine ungünstige Kostenstruktur, dauerhafter Preisverfall oder auch eine gescheiterte Krisenbewältigung in den vorangegangenen Stadien der Produkt- oder Absatzkrise sein. In der Liquiditätskrise hingegen nimmt die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit zu; fällige Zahlungsverpflichtungen können nur bedingt und wenn, dann nur mit Verzögerungen beglichen werden. Als Folge verschlechtern sich die Beziehungen zu Lieferanten, zu Kreditversicherern und Banken. Ursachen der Liquiditätskrise sind neben dem Verschleppen der Erfolgskrise z.B. unzureichendes Working-Capital-Management, ein unausgewogener Mix aus Eigen- und Fremdkapital oder auch eine falsche Investitionspolitik in der Vergangenheit.[4]
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Wenn nahezu alle Stakeholder die Unternehmensleitung zur Wahrung ihrer Partikularinteressen unter Druck setzen, hängt es maßgeblich von Erfahrung und Persönlichkeit des betroffenen Managers ab, wie stark sich die Prioritäten in der Krise verschieben. Im Normalzustand liegt der Fokus auf strategischer Ausrichtung und dem operativen Geschäft, in einer Krise hingegen dominieren der Blick auf Liquidität und die Kommunikation mit den Stakeholdern. Wenn nicht gegengesteuert wird, leidet das operative Geschäft und die negative Entwicklung beschleunigt sich.
2. Erfolgsfaktoren bei der Bewältigung einer Krise
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Krisensituationen sind gekennzeichnet durch Informationsasymmetrie zwischen den beteiligten Parteien. Die Unternehmensleitung hat vollen Zugriff auf alle Daten, Systeme und Reports aus dem Unternehmen und weiß früher als andere Beteiligte, wie es um das Unternehmen steht. Finanzierungspartner erhalten ihre Informationen meist verdichtet und deutlich später.
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Wie bereits im ersten Abschnitt ausgeführt, ist davon auszugehen, dass das Standard-Reporting in guten Zeiten aufgesetzt wurde und häufig nicht die für eine frühzeitige Krisenerkennung notwendigen Informationen enthält. Beiräte und Aufsichtsräte haben eine besondere Stellung im Unternehmen und daher tendenziell weit mehr Zugriff auf Informationen als andere Stakeholder. Der Aufsichtsrat hat sehr weitreichende Einsichts- und Auskunftsrechte, die gesetzlich vorgeschrieben sind.[5] Dennoch erfahren auch sie im Vergleich zur Unternehmensleitung eher zeitverzögert von Schwierigkeiten im Unternehmen und müssen dann reagieren.
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Drei Faktoren sind wesentlich für die erfolgreiche Bewältigung einer Unternehmenskrise:
1. | Unverzügliche Erstellung eines Restrukturierungskonzeptes |
2. | Schnelle Umsetzung der notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen |
3. | Klare, offene und regelmäßige Kommunikation mit den Stakeholdern |
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Hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es sich nicht nur um eine temporäre, durch einige operative Maßnahmen abzustellende Schwächephase handelt, sondern die Ursachen für die negative Unternehmensentwicklung fundamentaler Natur sind, hat die schnelle Erstellung eines umfassenden, holistischen Restrukturierungskonzeptes oberste Priorität. Dabei gilt es, auf Basis einer schonungslosen Analyse der Krisenursachen, für das Unternehmen ein Leitbild im sanierten Zustand zu entwickeln und Maßnahmen abzuleiten, die ergriffen werden müssen, um es in den Zielzustand zu versetzen. Häufig wird dazu auf dem IDW S 6 Standard aufgesetzt, in dem die Anforderungen an Sanierungskonzepte dargestellt werden.[6]
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Zur Umsetzung des Konzeptes müssen die definierten und im Restrukturierungskonzept dargestellten operativen und finanziellen Maßnahmen implementiert sowie deren Umsetzungsstand kontinuierlich überwacht werden. Dies geschieht am besten über eine eigens zu diesem Zweck aufgesetzte Projektorganisation, die je nach Ausprägung als Programm Management Office (PMO) eine erweiterte Controlling- und Berichtsfunktion innehält oder aber als Turnaround Management Office (TMO) nicht nur Berichte über den Implementierungsfortschritt erstellt, sondern aktiv die Implementierung begleitet und treibt. Festzuhalten ist, dass ein inhaltsgetriebenes TMO, das die Projektteams bei der Implementierung aktiv unterstützt, den Restrukturierungserfolg weit besser absichert als ein eher ex-post orientiertes PMO.
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Der Kern eines Restrukturierungskonzeptes ist der Ausgleich der einzelnen Stakeholder-Interessen mit dem Ziel, jede Partei einen Beitrag zur Rettung des Unternehmens leisten zu lassen. Da aber Stakeholder gerade in einer Krisensituation sehr unterschiedliche Interessen haben, ist die Konsensfindung in diesem heterogenen Umfeld die Königsdisziplin in einer erfolgreichen Restrukturierung. Das Fundament jeder Verhandlung um Sanierungsbeiträge durch das Management sind Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Zahlen und Transparenz über die Auswirkungen zu treffender Entscheidungen seitens der Stakeholder. Die Unternehmensleitung