Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer
vertragsmäßigen Gebrauch nicht voll taugt[268]. Maßstab ist in erster Linie der vereinbarte besondere Gebrauchszweck[269], hilfsweise der übliche Gebrauchszweck nach der Verkehrsanschauung[270].
Eine bestimmte Beschaffenheit der Mietsache können die Vertragspartner auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten vereinbaren. Die insgeheime Vorstellung und Erwartung des Mieters genügt auch dann nicht, wenn der Vermieter sie kennt, ihr aber nicht zustimmt[271].
Eine unerhebliche Minderung der Brauchbarkeit bleibt nach § 536 I 3 folgenlos[272], nach § 536 Ia ebenso drei Monate lang eine Minderung der Brauchbarkeit durch eine Maßnahme der Modernisierung gemäß § 555b Nr. 1.
Wie beim Kauf kann der Mangel in der Beschaffenheit der Mietsache, in ihrer Beziehung zur Umwelt oder in einer öffentlichrechtlichen Gebrauchsbeschränkung liegen.
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Beispiele
Mangelhafte körperliche Beschaffenheit der Mietsache:
- | Das Wohnhaus ist statisch unsicher (BGH NJW 63, 804), schlecht isoliert (BGH NJW 2005, 218: Schalldämmung; NJW 2009, 2441: kein Mangel, wenn der Trittschallschutz beim Hausbau den DIN-Normen entsprach; NJW 2013, 2417 oder von Schimmel befallen (BGH NJW 2013, 2660). |
- | Lärmbelästigung in einem hellhörigen Gebäude, aber der Mieter darf nur einen Schallschutz erwarten, der dem Standard zur Zeit der Errichtung des Gebäudes genügt (BGH NJW 2017, 1877). |
- | Die Wohnung oder der Geschäftsraum ist tatsächlich um mehr als 10 % kleiner, als der Mietvertrag ausweist (BGH NJW 2004, 1947: tatsächliche Vermutung für Minderung der Gebrauchstauglichkeit; NJW 2011, 1282: auch möblierter Wohnraum; NJW 2016, 239: Auch eine spätere Mieterhöhung richtet sich nach der tatsächlichen Wohnfläche; NJW 2018, 2317 u. 2019, 2466: Beschaffenheitsvereinbarung durch Angabe der Wohnfläche im Mietvertrag). Berechnet wird die Wohnfläche in erster Linie danach, welche Raumflächen vertraglich zum Wohnen vermietet sind, auch wenn sie bauordnungsrechtlich nicht zum Wohnraum zählen (BGH NJW 2009, 3421; 2010, 1064: Vertragsauslegung; NJW 2010, 2648: auch stillschweigende Vereinbarung; NJW 2010, 1745: „ca-Angabe“, keine Toleranzspanne; NJW 2010, 292: nicht mitvermieteter Garten; NJW 2010, 293: vorformulierte „Mietraumfläche“ in Dachgeschosswohnung, nicht Grund-, sondern nur Wohnfläche); hilfsweise gilt die VO v. 25.11.2003 (BGBl I, 2346), die DIN 283 nur, wenn vereinbart oder naheliegend (BGH NJW 2007, 2624; 2009, 2295). Ist nur ein Nebenraum (Keller) des gemieteten Geschäftsraums kleiner als vereinbart, wird die Miete nur nach dem Minderwert des Nebenraums gemindert (BGH NJW 2012, 2173). |
- | Elektroanlage und Stromversorgung in einer Altbauwohnung erreichen nicht den Mindeststandard eines zeitgemäßen Wohnens (BGH NJW 2004, 3174). |
- | Die Wohnung wird durch einen Brand beschädigt, mag die Brandursache im Gefahrenbereich des Vermieters oder Mieters liegen (BGH NJW 2008, 2432; 2015, 699). |
- | Morsche Äste gefährden den Hotelparkplatz (BGH 63, 333) oder Campingplatz (OLG Frankfurt NJW-RR 86, 108). |
- | Die Außenhaut des Flugzeuges ist korrosionsgefährdet (BGH NJW 87, 432). |
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Mangelhafte Beziehung der Mietsache zur Umwelt:
- | „Umweltfaktoren“ wie Lärm, Gestank, Ruß, Rauch oder Abgase vom Nachbargrundstück mindern den Mietgebrauch jedenfalls dann, wenn der Vermieter sie nach § 906 verbieten kann. Muss er sie als ortsüblich dulden, ist auch der vereinbarte Mietgebrauch entsprechend beschränkt (BGH NJW 2013, 680: keine Minderung wegen zeitweiligen Straßenbaulärms; NJW 2015, 2177: keine Minderung durch Kinderlärm auf dem Schulhof neben der Wohnung; NJW 2020, 2884: Baustellenlärm und -schmutz). |
- | Fäkalgeruch im Treppenhaus (BGH NJW 2012, 382). |
- | Wiederholte Störungen durch Partylärm aus einer anderen Mietwohnung (BGH NJW 2012, 1647). |
- | Das Wohnhaus liegt in einem hochwassergefährdeten Gebiet oder hält bautechnisch nicht einmal einem gewöhnlichen Hochwasser stand (BGH NJW 71, 424; DB 76, 816: defekter Rückstauschieber). |
- | Der erschwerte Zugang zum Geschäftslokal beeinträchtigt den Mietgebrauch (BGH NJW 2009, 664). |
- | Der Vermieter von Gewerberaum verletzt das vereinbarte Konkurrenzverbot (BGH NJW 2013, 44: Minderung und Beseitigungsanspruch; NJW 2020, 1507: Verletzung der Hauptleistungspflicht aus § 535 I 1). |
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Öffentlichrechtliche Gebrauchsbeschränkungen:
- | Abbruchsverfügung (BGH WM 71, 538), Bauverbot (BGH NJW 58, 785; 92, 1384), Bezugsverbot (BGH NJW 63, 804) oder Benutzungsverbot (BGH NJW 80, 777; 2009, 3421: kein Sachmangel, solange die Behörde nicht einschreitet); |
- | Verbot der Bimsausbeute im Wasserschutzgebiet (BGH 93, 142) oder der Disco im Wohngebiet (BGH 68, 294); |
- | Verhinderung des vereinbarten Umbaus der vermieteten Arztpraxis durch den Denkmalschutz (BGH NJW 99, 635); |
- | Verweigerung der Gaststättenkonzession, weil die Räume ungeeignet seien oder Autostellplätze fehlten (BGH NJW 92, 3226); |
- | Nutzungsbeschränkung für das Dachgeschoss, dessen Nutzung als Büro nicht genehmigungsfähig ist (OLG Hamburg ZMR 95, 533: fehlende Genehmigung genügt nicht; OLG München ZMR 96, 496: behördliche Duldung verhindert Sachmangel). |
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Keine Sachmängel, sondern typisches Mieterrisiko sind:
- | Schwacher Ladenbesuch infolge schlechter Lage (BGH NJW 81, 2405; 2000, 1714; 2006, 899) und Unrentabilität der Kiesgrube (BGH NJW 82, 2062). |
- | Bauverzögerung durch unberechtigten Nachbarwiderspruch (BGH NJW 92, 3226: allenfalls Verzug). |
- | Gesetzliches Rauchverbot in Gaststätten (BGH NJW 2011, 3151). |
- | Hohe Energiekosten der vertragsgemäßen Heizungs und Belüftungsanlage (BGH NJW 2014, 685: Der Mieter darf die Heizung nicht modernisieren). |
- | Wärmebrücken in den Außenwänden und Gefahr der Schimmelbildung in der Mietwohnung, wenn das Gebäude technisch fehlerfrei errichtet worden ist (BGH NJW 2019, 507). |
2.4 Das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft