Fälle zum Medizin- und Gesundheitsrecht, eBook. Silvia Deuring
reißerisch qualifizieren (was sich durchaus auch anders auffassen lässt),[40] die Bundesärztekammer spricht von „gesteigert[er] Form der Werbung“[41]. Vielmehr besteht an einer sachlich zutreffenden und verständlichen Informationswerbung ein anerkennenswertes Allgemeininteresse.[42]
Es könnte ein Fall irreführender Werbung vorliegen. In Anlehnung an § 5 Abs. 1 S. 2 UWG wird irreführende Werbung über die Eignung definiert, bei einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrskreises unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einen unrichtigen Eindruck zu vermitteln.[43] Die Aussage, dass es sich um die „sanfteste Bandscheibenoperation der Welt“ handle, könnte die Risiken und den invasiven Eingriff verharmlosen. Jedoch ist zu beachten, dass Werbung stets positiv einkleidend ausgestaltet ist und vorliegend der Informationsgehalt nichtsdestotrotz klar erkennbar bleibt.
Ferner liegt auch keine vergleichende Werbung, also solche, die unmittelbar oder mittelbar einen anderen Arzt erkennbar macht, vor.[44] Zwar bezeichnet sich A als „unangefochtene Nr. 1“, dabei wird aber kein konkreter Vergleich zu einem anderen Arzt hergestellt.
Schließlich könnte sich die Berufswidrigkeit der Werbung auch aus entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen, § 27 Abs. 1 BO, insbesondere der Gewährleistung des Patientenschutzes oder der Vermeidung einer Kommerzialisierung des Arztberufs ergeben. So verstehen sich die bisher geprüften Tatbestände angesichts des Wortlautes „insbesondere“ des § 27 Abs. 3 S. 2 BO gerade nicht als abschließend. Fraglich ist also, ob sich aus den Werbeanzeigen oder aus dem Interview des A eine Gefährdung für Patienten ergeben könnte. Weder werden jedoch Risiken verharmlost, noch wird konkret zu Behandlungen animiert. Eine Kommerzialisierung der ärztlichen Tätigkeit, ein Vertrauensverlust in den Berufsstand oder im Weiteren eine Gefährdung der Patienten werden somit nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis einzelne, seiner Meinung nach „reißerische“ Sätze herausgegriffen und ohne weitere Erörterung rückgeschlossen, dass die Werbung insgesamt als unzulässig zu beurteilen sei. Damit wurde nach Ansicht des BVerfG der Sachverhalt nicht so erfasst, wie es angesichts seiner grundrechtsbeschränkenden Würdigung angezeigt gewesen wäre.[45]
Der Tatbestand des § 27 Abs. 3 BO ist somit nicht erfüllt.
C. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde des A ist zulässig und begründet. Sie wird erfolgreich sein.
Fall 2 Ärztliche Approbation
(VG Regensburg, Urt. v. 12.7.2016 – RO 5 K 15.1168)
Arzt A wurde 1979 in Oberbayern die Approbation als Arzt erteilt. Seit 1991 ist er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit 2001 ist A in eigener internistischer Praxis in München als selbständiger Arzt tätig.
2015 wurde gegen A mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts aufgrund Betruges in acht Fällen eine Geldstrafe in Höhe von 315 Tagessätzen à 150 EUR festgesetzt. A hatte im Rahmen seiner vertragsärztlichen Tätigkeit im Zeitraum der Quartale 2008 und 2009 Sammelerklärungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) vorgelegt, die angeblich exakt auf die angegebene Art und Weise von A erbrachte ärztliche Leistungen enthielten. Im Kontext dieser Sammelerklärungen habe A in einer Vielzahl von Fällen ärztliche Leistungen in Rechnung gestellt, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass diese in der behaupteten Form entweder überhaupt nicht erbracht worden seien oder im Zusammenhang mit anderen ärztlichen Leistungen auf die behauptete Art und Weise nicht hätten abgerechnet werden dürfen. Somit habe kein durchsetzbarer Anspruch gegen die KVB in entsprechender Höhe bestanden. Der Gesamtschaden der KVB belief sich dabei auf rund 19 000 EUR.
Angesichts der fehlerhaften Abrechnungen äußerte A Bedauern und brachte als Gründe die hohe zeitliche Belastung im Rahmen der Praxistätigkeit sowie stark belastende private Umstände vor. Daher habe er die durch seine Mitarbeiter erstellten Abrechnungen wohl ungeprüft abgezeichnet und hierbei auch Fehler billigend in Kauf genommen. Das Ermittlungsverfahren gegen A war aufgrund einer Unterrichtung der Staatsanwaltschaft durch die KVB eingeleitet worden.
Ferner liegt gegen A ein weiterer Strafbefehl des Amtsgerichts vor, welcher bereits seit 2013 rechtkräftig ist. Die dort verhängte Strafe von 90 Tagessätzen zu je 100 EUR war 2014 bereits vollständig vollstreckt. In diesem Strafbefehl wurde A eine fahrlässige Körperverletzung in Tatmehrheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung vorgeworfen. Die Körperverletzung betraf einen Patienten, der sich nach einer Behandlung unter Narkose auf einer Liege in der Praxis zur Ruhe legte und hier mangels adäquater Sicherung zu Boden stürzte. Die Bedrohung richtete sich gegen eine Mitarbeiterin der Prüfstelle „Ärzte Bayern“, gegenüber welcher er infolge von Differenzen bzgl. seiner Abrechnungsmethoden äußerte: „Macht schon mal euer Testament, solange ihr noch könnt.“ Die Beleidigung tätigte A gegenüber derselben Mitarbeiterin, welche er mit unterdrückter Nummer anrief, wobei er „Mörder! Verbrecher!“ schrie.
Am 16.3.2015 hörte die Regierung von Oberbayern A bezüglich des beabsichtigten Widerrufs seiner Approbation als Arzt an. A nahm hierzu – vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigen – Stellung, wobei die Argumente im Wesentlichen denen entsprachen, welche im Rahmen des Strafbefehls vorgetragen worden waren.
Mit Bescheid vom 7.7.2015, welcher A am 9.7.2015 zugestellt wurde, widerrief die Regierung von Oberbayern die Approbation des A als Arzt gem. § 5 Abs. 2 S. 1[1] i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2[2] BÄO. A sei sowohl unwürdig als auch unzuverlässig zur Ausübung des ärztlichen Berufs, ihm sei ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorzuwerfen, das bei Würdigung aller Umstände seine weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lasse.
Am 3.8.2015 möchte A gegen jenen Bescheid gerichtlich vorgehen. Begründend führt er aus, dass Unwürdigkeit nicht gegeben sei, da nur schwerwiegendes Verhalten eine solche nach sich ziehen könnte. Hinsichtlich der fehlerhaften Abrechnungen bringt A vor, dass die zugrundeliegenden Leistungen tatsächlich stattgefunden hätten, nur fehlerhaft abgerechnet worden wären. Lediglich aufgrund der hohen Arbeitsbelastung habe A die Abrechnungen seines erfahrenen Mitarbeiters nicht überprüft.
Dass sich die fehlerhaften Abrechnungen über acht Quartale erstreckten, sei darauf zurückzuführen, dass die KVB immer mehrere Quartale gleichzeitig rückwirkend überprüfe. Diese somit verzögerte Feststellung des Fehlverhaltens seitens A durch die KVB könne somit nicht zu seinen Lasten gehen.
Auch habe A den Strafbefehl bzgl. der Betrugsvorwürfe nur akzeptiert, um eine Hauptverhandlung aufgrund deren „Publikumswirkung“ zu vermeiden. Nur deshalb habe er gegenüber der Staatsanwaltschaft auch Vorsatz hinsichtlich seines Abrechnungsverhaltens eingeräumt. Sodann sei zu berücksichtigen, dass es immer zu Fehlern im Bereich der Abrechnung kommen könne, zumal die Schadenshöhe auf acht Quartale gesehen relativ gering sei. Ferner habe es seit 2011 keine Beanstandungen seitens der KVB mehr gegeben. Damit könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass A in Zukunft rechtswidrig handle und damit unzuverlässig sei. Auch belegten zahlreiche Dankesschreiben von Patienten die Zuverlässigkeit des A.
Der Unfall des Patienten stelle einen außergewöhnlichen Einzelfall dar, der zumeist von Betroffenen so gar nicht zur Anzeige gebracht würde. Bzgl. der Bedrohung und Beleidigung handle es sich zwar um nicht zu akzeptierende Verfehlungen, jedoch habe A die Strafe hierfür akzeptiert und bereits vollständig bezahlt. Ferner sei es auch zu Verfehlungen dieser Art nicht nochmals gekommen. Die Unverhältnismäßigkeit des Approbationswiderrufs sei auch daran erkennbar, dass man A nicht die kassenärztliche Zulassung entzogen habe, sondern „nur“ ein Disziplinarverfahren seitens der KVB eingeleitet wurde, was das Vertrauen der KVB in das künftige ordnungsgemäße Verhalten des A zeige.
Ferner hat A bereits Zweifel an der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage des Approbationswiderrufs.
Hat das gerichtliche Vorgehen des A Aussicht auf Erfolg?
(Gehen Sie davon aus, dass §§ 3, 5 BÄO formell verfassungsmäßig sind.)
Lösung zu Fall 2 – Ärztliche