Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz
d. h., es genügt allein die objektive Herbeiführung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Es kommt also weder auf die Handlungsfähigkeit (§ 12 LVwVfG), die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB), die Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB), die Strafmündigkeit (§ 19 StGB) noch auf sonstige persönliche Eignungen oder auf die finanzielle Leistungsfähigkeit an. Ebenso ist die Verantwortlichkeit verschuldensunabhängig (VGH BW, NVwZ 1990, 781, 783; NVwZ-RR 1996, 387, 389).
Beispiele: Verantwortlich und damit Adressat können sein ein Kind, ein Betrunkener, ein Bettlägeriger, ein Mittelloser.
Zur Bekanntgabe von Polizeiverfügungen an nicht handlungsfähige Personen, s. o. § 3, RN 13.
2. Polizeipflicht und polizeipflichtige Personen
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Der Verantwortlichkeit liegt die (abstrakte) Pflicht zugrunde, sich so zu verhalten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet wird (Polizeipflicht). Sie besteht unabhängig vom Erlass einer Polizeiverfügung, kann aber durch eine solche konkretisiert werden.
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Polizeipflichtig und damit evtl. verantwortlich sind natürliche Personen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit, ebenso Parlamentsmitglieder, die Mitglieder diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen, sowie Angehörige internationaler Organisationen bei ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Jedoch sind diesen Personen gegenüber die polizeilichen Befugnisse eingeschränkt, weil sie bestimmte Vorrechte und Immunitäten besitzen (vgl. GABl. 1992, 261 und GABl. 1995, 516). Als Störer können auch die Mitglieder der NATO-Streitkräfte, deren ziviles Gefolge und deren Angehörige in Anspruch genommen werden, allerdings nur außerhalb der überlassenen Liegenschaften. Innerhalb dieser übt die Truppe die Polizeigewalt nach Art. VII (10)(a) NATO-Truppenstatut aus. Vgl. aber auch Art. 28 Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut.
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Auch juristische Personen des Privatrechts (eingetragener Verein, Stiftung, GmbH, Aktiengesellschaft) können Adressat polizeilicher Maßnahmen sein, in gleicher Weise auch ein nicht rechtsfähiger Verein sowie die teilrechtsfähige OHG und KG (VGH BW, VBlBW 1993, 298, 301; 1996, 221, 222; VGH BW, Urt. v. 7.10.2014 – 1 S 1327/13).
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Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist zu differenzieren: Soweit keine Sonderrechte bestehen (vgl. z. B. § 35 Abs. 1 StVO, §§ 59, 60 BISchG), unterliegen auch sie den Bindungen des Polizeirechts, sind also polizeipflichtig (vgl. auch Art. 20 Abs. 3 GG).
Beispiel: Die Bundesrepublik Deutschland ist verantwortlich für die Sanierung kontaminierten Erdreichs auf dem Parkplatz einer Bundesstraße (BVerwG, NVwZ 1999, 421) und verantwortlich für die Beseitigung von Abfall auf dem Gelände ihrer Schifffahrtsanlagen an Bundeswasserstraßen (BVerwG, NVwZ 2003, 1252).
Hoheitlich betriebene Anlagen (z. B. Hallenbad, Kraftwerk, Bolzplatz) unterliegen den verfahrensrechtlichen und materiellen Anforderungen des BImSchG und der Überwachung durch die Immissionsschutzbehörden (BVerwG, NJW 1988, 2396, 2397; NVwZ 2003, 346; VGH BW, VBlBW 2001, 496).
Gegen Gefährdungen, die aus dem hoheitlichen Tätigkeitsbereich resultieren, darf die Polizei – außer bei Gefahr im Verzug – grundsätzlich mangels Zuständigkeit nicht einschreiten, weil dem störenden Träger öffentlicher Verwaltung die Gefahrenabwehr selbst obliegt.
Beispiel: Zur Beseitigung von Gefahren, die von einem Bundeswehrgelände ausgehen, ist der Bund und nicht die nächstgelegene Ortspolizeibehörde zuständig (VGH BW, BWVPr 1995, 134, 135).
Bei der Gefahrenabwehr aufgrund spezieller Gesetze lässt die Rechtsprechung allerdings Ausnahmen zu: So sei die zuständige Immissionsschutzbehörde befugt, gegenüber einer Gemeinde den beim hoheitlichen Betrieb ihrer kommunalen Einrichtung einzuhaltenden Immissionsrichtwert anzuordnen. Eine zwangsweise Durchsetzung scheitert jedoch an § 22 LVwVG (vgl. BVerwG, NVwZ 2003, 346; VGH BW, VBlBW 2001, 496 m. w. N.). Verursacht jedoch der Träger öffentlicher Verwaltung bei seiner fiskalischen Tätigkeit Gefahren, muss er sich wie ein Privatmann behandeln lassen, d. h., hier ist die Zuständigkeit der Polizei nicht eingeschränkt.
Beispiel: Gegen den Bund als Eigentümer eines nicht hoheitlich genutzten Gebäudes kann die Baurechtsbehörde eine Verfügung richten, an dem Gebäude Baumaßnahmen vorzunehmen, wenn hiervon eine Verunstaltung nach § 11 LBO ausgeht.
3. Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten (Abs. 1)
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Verantwortlich nach Abs. 1 ist derjenige, der durch eigenes Verhalten (Tun oder Unterlassen) die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht. Durch Unterlassen kann man aber nur zum Störer werden, wenn sich aus einer öffentlich-rechtlichen Rechtsnorm eine Pflicht zum Handeln ergibt (VGH BW, Urt. v. 18.9.2001 – 10 S 259/01). Gleiches muss gelten, wenn ein Nichthandeln zivilrechtliche Normen verletzt, denn auch diese gehören zum Schutzgut „öffentliche Sicherheit“. Zu beachten ist hier aber § 2 Abs. 2 (s. o. § 1, RN 21).
Beispiele: Verhaltensstörer ist, wer – entgegen § 30 f. BestattG nicht für die Bestattung einer Leiche sorgt, – entgegen den Vorgaben einer Satzung nach § 41 Abs. 2 StrG den Gehweg bei Glatteis nicht streut, – entgegen § 46 WG Abwässer nicht dem Beseitigungspflichtigen überlässt. Verhaltensstörer ist, wer als Darlehnsnehmer entgegen § 607 Abs. 1 BGB das Empfangene nicht zurückerstattet. Dennoch verbietet sich ein polizeiliches Einschreiten grundsätzlich aufgrund § 2 Abs. 2.
Keine Pflicht zum Handeln ergibt sich aus Art. 14 Abs. 2 GG (Sozialpflichtigkeit des Eigentums) oder aus der abstrakten Polizeipflicht (s. o. RN 5), da sonst jeder Zustandsstörer gleichzeitig Handlungsstörer ist und somit § 7 PolG überflüssig wäre (BVerwG, NJW 1986, 1626; VGH BW, NVwZ 1996, 1036, 1037).
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Verhaltensstörer ist auch der Anscheinsstörer. Damit bezeichnet man eine Person, die aus Ex-ante-Sicht der Behörde aufgrund verständiger Würdigung objektiver durch ihr Verhalten eine Anscheinsgefahr (s. o. § 1, RN 43) oder hinsichtlich einer real bestehenden Gefahr durch sein Verhalten einen Verursacherschein gesetzt hat. Fehlt ein derartiges Verhalten, kommt nur eine Inanspruchnahme als Nichtstörer in Frage (str., vgl. VGH BW, NVwZ-RR 1990, 24, 26; VBlBW 2011, 155).
Beispiel: Der ortsabwesende Wohnungsinhaber, der durch die Installation einer Zeitschaltuhr Licht und Geräusche erzeugt und damit den Eindruck erweckt, in der Wohnung hielten sich Einbrecher auf, kann – je nach Sachverhalt – Anscheinsstörer sein. Bejahend: VG Berlin, NJW 1991, 2854, verneinend: OLG Köln, DÖV 1996, 86.
Eine Kostentragungspflicht des Anscheinsstörers entsteht nur, wenn er aus Ex-post-Sicht den Anschein der Gefahr selbst verursacht und hierfür einzustehen hat (OVG Hamburg, NJW 1986, 2005, 2006; VG Berlin, NJW 1991, 2854).
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Nur ein Verhalten, welches die Gefahr verursacht, führt zur Verantwortlichkeit nach Abs. 1. Es würde jedoch zu absonderlichen Ergebnissen führen, wenn jede für den Erfolg ursächliche Bedingung die Verantwortlichkeit begründete, denn dann wäre z. B. der