Polizeigesetz für Baden-Württemberg. Reiner Belz

Polizeigesetz  für Baden-Württemberg - Reiner Belz


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oder Ordnung durch das Verhalten von Personen bedroht oder gestört, so hat die Polizei ihre Maßnahmen gegenüber demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung verursacht hat.

       (2) 1Ist die Bedrohung oder Störung durch eine Person verursacht worden, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber demjenigen treffen, dem die Sorge für diese Person obliegt. 2Ist für eine Person ein Betreuer bestellt, kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs treffen.

       (3) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die von einem anderen zu einer Verrichtung bestellt worden ist, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem anderen treffen.

       Literatur: Britz, Abschied vom Grundsatz fehlender Polizeipflicht von Hoheitsträgern?, DÖV 2002, 891; Erichsen/Wernsmann, Anscheinsgefahr und Anscheinsstörer, Jura 1995, 219; Finger, Der „Freier“: Ein Störer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts?, VBlBW 2007, 139; Frenz, Störerinanspruchnahme: Grundlagen und Aktuelles, Die Polizei 2013, 279; Garbe, Die Störerauswahl und das Gebot der gerechten Lastenverteilung, DÖV 1998, 632; Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000; Greiner, Die Verhinderung verbotener Internetinhalte im Wege polizeilicher Gefahrenabwehr, 2001; Hartmann, Pflichtigkeit im Polizei- und Ordnungsrecht, JuS 2008, 593; Lennartz, Binnenausgleich zwischen Störern: Gesamtschuld von Verfassungs wegen?, NVwZ 2018, 1429; Martensen, Materielle Polizeipflicht und polizeiliche Verpflichtbarkeit des Bürgers in Anscheins- und Verdachtslagen, DVBl. 1996, 286; Möstl, Die dogmatische Gestalt des Polizeirechts, DVBl. 2007, 122; Rau, Die Rechtsnachfolge in Polizei- und Ordnungspflichten, Jura 2000, 37; Schenke, Die polizeiliche Inanspruchnahme nicht geschäftsfähiger Störer, JuS 2016, 507; Schenke/Ruthig, Rechtsscheinshaftung im Polizei- und Ordnungsamt, VerwArch Bd. 87 (1996), 329 ff.; Schoch, Der Zweckveranlasser im Gefahrenabwehrrecht, Jura 2009, 360; Sokol, Die Bestimmung der Verantwortlichkeit für die Abwehr und Beseitigung von Störungen im öffentlichen und privaten Recht, 2016; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2008; Tölle/Pallek, Polizeiliche Gefahrenabwehr im Bereich diplomatischer oder konsulanischer Vorrechte, DÖV 2001, 547; Zacharias, Die Rechtsnachfolge im öffentlichen Recht, JA 2001, 720; Zimmermann, Alte Grund- und neue Ansätze – Zum Gesamtschuldner-Innenausgleich bei polizei- und ordnungsrechtlicher Störermehrheit, NVwZ 2015, 787; ders., Polizeiliche Gefahrenabwehr und das Internet, NJW 1999, 3145.

      Inhaltsübersicht

       1

      § 6 ist – ebenso wie §§ 7 und 9 – eine Adressatenregelung, die bestimmt, gegen wen sich polizeiliche Maßnahmen richten können. Sie ergänzt hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen die bei Eingriffen notwendige Ermächtigungsgrundlage.

       2

      Die §§ 6, 7 und 9 sind nicht anwendbar, wenn spezielle Gesetze, ausdrücklich oder dem Zusammenhang nach, eigene Adressatenregelungen enthalten. So ist z. B. der Kreis der zur Abfallentsorgung Verpflichteten durch § 7 KrWG abschließend festgelegt (BVerwG, NVwZ 1992, 480; 2007, 185, 186; VGH BW, VBlBW 1998, 27, 28). Das USchadG bestimmt in seinem Anwendungsbereich den „Verantwortlichen“ (§ 2 Nr. 3) als Adressaten zulässiger Maßnahmen. § 4 Abs. 3–6 BBodSchG bestimmt den Kreis der nach diesem Gesetz Verantwortlichen abschließend (BVerwG, DVBl. 2000, 1353). § 11 HafenSiG bestimmt den Betreiber einer Hafenanlage als Verantwortlichen. §§ 6, 7 und 9 gelten auch dann nicht, wenn jedermann Adressat sein kann. So etwa bei einzelnen Standardmaßnahmen (z. B. §§ 27 Abs. 1 Nr. 2–7; 34 Abs. 1 Nr. 4 u. 5; 35 Nr. 4, 5, 6 u. 7) oder bei einigen Maßnahmen zur Datenverarbeitung (z. B. §§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 2 u. 3)

       3

      Ergänzend können §§ 6, 7 und 9 herangezogen werden, wenn spezielle Gesetze zur Gefahrenabwehr hinsichtlich des Adressaten keine, keine abschließenden oder nur allgemeine Aussagen enthalten.

      Beispiel: Da das Wassergesetz für allgemeine Anordnungen nach § 82 Abs. 1 keine Adressatenregelung enthält, ist auf die §§ 6, 7 und 9 des Polizeigesetzes zurückzugreifen (VGH BW, VBlBW 1993, 298; vgl. auch VGH BW, VBlBW 1995, 64, 65; 486, 488; 1996, 221, 222, 351; NVwZ-RR 1996, 387, 388). Zur Verantwortlichkeit des Eigentümers bei bauordnungsrechtlichen Maßnahmen nach der LBO vgl. VGH BW, VBlBW 2007, 356, 357.

      Die §§ 6, 7 und 9 gelten grundsätzlich auch für gefahrenabwehrende Maßnahmen (z. B. Untersagung oder Sperrung eines Angebots) im Internet. Mögliche Adressaten sind folgende Dienstanbieter:

      – der Content-Provider, der eigene Informationen zur Nutzung bereithält,

      – der Access-Provider, der fremde Informationen übermittelt oder den Zugang zu ihrer Nutzung vermittelt bzw. fremde Informationen automatisch, zeitlich begrenzt zwischenspeichert, um die Übermittlung der fremden Informationen effizienter zu gestalten,

      – der Host-Provider, der fremde Informationen für den Nutzer speichert.

      Nach h. M. gelten die in den §§ 7–10 TMG festgelegten Verantwortungsprivilegierungen bei einer polizeirechtlichen Inanspruchnahme nicht.

      Im Anwendungsbereich des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) – vgl. www.lfk.de/recht – steht mit § 59 Abs. 3 RStV i. V. m. § 20 Abs. 1, 4 JMStV eine spezielle Befugnisnorm und mit § 59 Abs. 4 RStV eine eigenständige Adressatenregelung zur Verfügung (vgl. OVG Lüneburg, NJW 2008, 1831).

      Grundsätzlich kann – mit Ausnahme von § 9 – Adressat polizeilicher Maßnahmen nur derjenige sein, der für die Gefahr verantwortlich ist, sei es, weil er sie durch ein Verhalten (Verhaltensverantwortlichkeit, § 6) oder durch den Zustand seiner Sachen (Zustandsverantwortlichkeit, § 7) herbeigeführt hat. Der Verantwortliche wird auch


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