Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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Argument einen Anspruch auf einen rechtsordnungsübergreifenden Vorrang vor dem mitgliedstaatlichen Recht herzuleiten.[148] In der Theorie verbleibt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Einschätzung des EuGH nicht zu teilen und das Verhältnis in der nationalen Rechtsordnung anders zu regeln.[149] Bei Lichte besehen erweist sich der durch die Union postulierte Vorrang somit eher als pragmatisch motiviert (Funktionsfähigkeit der EU) denn als dogmatisch fundiert.[150]

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      Art. 4 Abs. 2 EUV als Einfallstor?

      Zuletzt hat der EuGH kleine Flexibilitätsreserven aufgezeigt. Insbesondere hat der Gerichtshof mehrfach betont, dass die Union die nationale Identität gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV achte.[151] Dies kann ein unionsrechtlich eröffnetes Einfallstor für mitgliedstaatliche Besonderheiten sein, denen in der einzelfallbezogenen Abwägung Vorrang gegenüber dem Dogma der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts[152] eingeräumt werden kann.[153] So anerkannte der EuGH etwa das Adelsaufhebungsgesetz als Teil des österreichischen Republikprinzips[154] und begriff Regelungen zum Schutz der Amtssprache[155] und zur innerstaatlichen Kompetenzverteilung[156] als Teile nationaler Identität im Sinne des Art. 4 Abs. 2 EUV. Zuletzt billigte er eine Abweichung von der zur wirksamen Vollziehung des Unionsrechts eigentlich gebotenen Nichtanwendung nationaler Verjährungsregeln, da damit ein Verstoß gegen das – in der italienischen Verfassung verankerte und sodann als Grundsatz des Unionsrechts vom EuGH internalisierte – Gesetzmäßigkeitsprinzip als Grundprinzip des Strafverfahrens im Raum stand.[157] Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsprechungslinie einer mitgliedstaatlichen margin of appreciation[158] – rechtlich eine produktive Verarbeitung des mitgliedstaatlichen Rechts innerhalb des Unionsrechts,[159] in der Sache freilich durchaus eine partielle Zurücknahme des Vorranganspruchs[160] – fortsetzen wird.

2. Die staatsrechtliche Position

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      Verortung im Zustimmungsgesetz

      Die Mitgliedstaaten im Allgemeinen[161] und Deutschland im Besonderen erkennen den Vorrang des Unionsrechts grundsätzlich an,[162] in Deutschland insbesondere auch gegenüber dem Verfassungsrecht.[163] Seinen Rechtsgrund findet er in Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz.[164] Unterschiedlich bewertet wird, ob die deutsche Rechtsordnung damit bereits selbst einen Vorrang des Unionsrechts konstitutiv anordnet[165] oder aber – richtigerweise – sich bloß der unionalen Rechtsordnung öffnet und dieser die Möglichkeit verleiht, ihrer Rechtsordnung Vorrang zu verleihen.[166]

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      Verfassungsrechtliche Integrationsgrenzen

      Die vom BVerfG vertretene staatsrechtliche Konzeption des Vorrangs liegt nahe, liefe eine vorbehaltlose Anerkennung eines Vorrangs doch Gefahr, die souveräne Staatlichkeit als solche in Frage zu stellen und überschritte damit die Grenze des gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 3, 146 GG ohne einen Akt des pouvoir constituant (Verfassungsablösung) Zulässigen. Daher ist die Bezeichnung als relativer Vorrang zutreffend.[167] Die Grenzen dieses relativen Vorrangs liegen einerseits in der die Inkorporation des Unionsrechts ermöglichenden Verfassungsbestimmung, sprich der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG, der die EU erstens insbesondere auf die Gewährung eines „im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes“ verpflichtet (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) und zweitens die Übertragung von Hoheitsrechten verbietet, auf deren Grundlage Gegenstände des Art. 79 Abs. 3 GG beeinträchtigt werden können (Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG).[168] Andererseits kann die demokratische Legitimation und damit ein Vorranganspruch unionalen Handelns nur so weit reichen, wie der EU durch Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. dem einfach-gesetzlichen Zustimmungsgesetz entsprechende Hoheitsrechte übertragen wurden.[169] Diese Kautelen binden die deutschen Verfassungsorgane als Teil ihrer Integrationsverantwortung[170] und limitieren damit verfassungsrechtlich a priori die Öffnung der nationalen Rechtsordnung für das Unionsrecht.[171]

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      Art. 38 Abs. 1 GG als prozessuales Vehikel

      Die verfassungsrechtlich angelegten, als Vorranggrenze wirkenden Integrationsvorbehalte werfen die Frage nach ihrer gerichtlichen Durchsetzbarkeit auf. Das BVerfG geht hier zumindest im Hinblick auf Gesetzesrecht auf Grundlage des Rechtsgedankens des Art. 100 Abs. 1 GG von seiner Monopolkompetenz aus.[172] Insofern liegt zunächst eine Geltendmachung im Wege der abstrakten Normenkontrolle, mittelbar im Wege des Organstreitverfahrens oder – durch die Geltendmachung der Menschenwürdegarantie oder grundrechtlicher Freiheiten – der Individualverfassungsbeschwerde auf der Hand. Daneben können die Integrationsvorbehalte auch durch Einzelne über den materiell interpretierten Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG als Scharniernorm und „grundrechtsgleiches Recht auf Mitwirkung an der demokratischen Selbstherrschaft des Volkes“[173] im Wege der Verfassungsbeschwerde gerichtlich effektuiert werden.[174] Dieser bereits im Maastricht-Urteil[175] angelegte Ansatz über Art. 38 Abs. 1 GG ist zu begrüßen; er eröffnet einen zur Verteidigung staatlicher Souveränität und Verfassungsidentität (insbesondere Demokratie) unverzichtbaren Kontrollzugriff und im Übrigen die, gerade in bestimmten politischen Diskussionen (sog. „Blitzgesetze“, Große Koalition etc.), im Interesse von pluralem Diskurs, retardierender Reflektion und Transparenz akzeptanzfördernde und systemstabilisierende Möglichkeit eines „Verfassungsbeschwerde-Plebiszits“ mit direkt-demokratischer Surrogatfunktion.[176]

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      Folge für deutsche Staatsorgane

      Kommt das BVerfG zu dem Ergebnis einer Unvereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht, so hätte dies – je nach Fallkonstellation – zur Folge, dass deutsche Stellen weder am Zustandekommen noch an der Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung eines entsprechenden Unionsakts mitwirken dürfen[177], auf die Herstellung der Vereinbarkeit unionalen Handelns mit den Integrationsvoraussetzungen des Grundgesetzes aktiv hinwirken müssen[178] bzw. dass das Zustimmungsgesetz zu einem Unionsrechtsakt insoweit für verfassungswidrig und in der Folge jener Unionsrechtsakt in Deutschland – zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Integrationspflichten ggf. mit gewissen Übergangsfristen[179] – für unanwendbar zu erklären wäre[180].

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      Kontrollarten

      Konkret lassen sich in der bisherigen Rechtsprechung drei Kontrollarten des BVerfG unterscheiden, eine Grundrechts-, eine Identitäts- und eine Ultra-vires-Kontrolle, auf die in der gebotenen Kürze eingegangen werden soll.

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      Grundrechtskontrolle: Die Solange-Rechtsprechung

      Nachdem sich das BVerfG zunächst in Ermangelung eines europäischen Grundrechtsregimes die Kontrolle im Bereich unmittelbar anwendbarer unionaler und unional vollständig determinierter Hoheitsakte am Maßstab deutscher Grundrechte vorbehalten hatte,[181] gilt seit der Solange-II-Entscheidung im Jahr 1986[182] der Grundsatz eines judicial self-restraint. Danach übt das BVerfG in diesem Bereich eine Grundrechtskontrolle anhand der deutschen Grundrechte nicht aus, solange nicht der Nachweis gelingt, dass der „jeweils als unabdingbar geboten[e] Grundrechtsschutz“[183] durch die EU nicht gewährleistet wird. Dabei nimmt das BVerfG keine Einzelfallkontrolle vor, sondern fordert, dass sich der europäische Grundrechtsschutz – im Hinblick auf das konkrete Grundrecht[184] und im Vergleich zum grundgesetzlichen Grundrechtsschutz – als generell defizitär erweist.[185] Damit wird eine praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG und der Integrationsoffenheit des Art. 23 Abs. 1 GG erreicht.[186] Spätestens seit Inkrafttreten der GRCh ist freilich die Aktivierung dieser „Reservefunktion“[187] nur noch in höchst seltenen, bislang nur in Teilen des Schrifttums erörterten, aber nicht praktisch relevant gewordenen Ausnahmefällen (z. B. im Fall einer – umstrittenen[188] – Ablehnung eines EU-Grundrechts „allgemeine Handlungsfreiheit“ vergleichbar Art. 2 Abs. 1 GG) denkbar. Teilweise gehen die Unionsgrundrechte


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