Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer


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Sie sei ebenfalls der Meinung, daß das fehlende Bier von den Malern getrunken worden sei.

      Staatsanwalt: Glauben Sie, daß die Wilhelmine Wagner täglich 6 bis 8 Flaschen Bier, das wären 4 Maß, getrunken hat?

      Zeugin: Nein.

      Eine weitere Zeugin war Bierbrauersfrau Babette Adam. Sie war früher Dienstmädchen im Stift: Die Vorsteherin habe sie, die Wagner und die anderen Mädchen oftmals beschuldigt, Bier gestohlen zu haben. Die Wagner stand zuerst bei der Oberin in hoher Gunst, später wollte diese sie aber aus dem Hause haben. Die Wagner sei ein gutes, ehrliches Mädchen gewesen. Die Angeklagte dagegen war lügnerisch, boshaft, rachsüchtig und mißtrauisch. Die Stiftsfräulein nannte sie »alte Laster«; nur mit der Neudegg stand sie sich gut. Wenn es Punsch oder Grog gab, bekam diese immer das meiste ab. (Stürm. Heiterkeit.)

      Vors.: Trauen Sie der Angeklagten die Tat zu?

      Zeugin: Das schon. Auch dieser Zeugin hatte die Wagner erzählt, daß ihr Onkel auf sie geschossen habe, weil sie zum katholischen Glauben übergetreten sei; ihr Großvater sei an ihrem Firmungstage vom Schlage gerührt und die Mutter gelähmt worden.

      Unter allgemeiner Spannung wurde die 1877 geborene Krankenpflegerin Wilhelmine Wagner aufgerufen. Sie litt anscheinend noch immer an den Folgen der Vergiftung vom 20. Juli 1902 und mußte in den Saal hineingeführt werden. Sie nahm auf einem Sessel vor dem Richtertisch Platz. Sie schilderte auf Befragen des Vorsitzenden die einzelnen Vorgänge, mit dem Zwist wegen der drei Bierflaschen und ihrer Drohung, eine Beschwerde beim Ministerium zu machen.

      Vors.: Sie haben Ihre bestimmte Tasse gehabt?

      Zeugin: Ja.

      Vors.: Kannte die Vorsteherin die Tasse?

      Zeugin: Ja, ganz genau. Die Zeugin bestätigte auch sämtliche der Angeklagten vorgehaltenen häßlichen Äußerungen über die Stiftsdamen, die Medizinalräte, den Staatsminister v. Feilitzsch und die Prinzessin Ludwig Ferdinand. Wenn die Vorsteherin morgens herunterkam, war oft ihre erste Frage: »Na, ist noch keine von den ›alten Lastern‹ verreckt?« Einer 90jährigen Stiftsdame habe die Angeklagte einmal die Suppe verweigert, obwohl solche vorhanden war und der Arzt sie verordnet hatte. Sie habe auch sofort den Eindruck gehabt, daß die Vorsteherin ihr das mit dem Kaffee angetan habe. Als sie (Zeugin) am anderen Morgen krank war, sei die Oberin zu ihr ins Zimmer gekommen und habe gefragt, wo der Kaffee vom vorhergehenden Tage geblieben sei. Sie habe erwidert, daß sie ihn in einem Fläschchen aufbewahrt hätte und mit nach dem Krankenhaus nehmen werde. Die Oberin habe darauf dringend die Herausgabe verlangt und sogar versucht, ihr die Flasche aus der Hand zu reißen.

      Vors.: Sie sind zum Katholizismus übergetreten?

      Zeugin: Ja, als ich Krankenpflegerin im Josephsspital war. Ich fühlte mich dazu hingezogen und wollte barmherzige Schwester werden.

      Vors.: Haben Sie den anderen Mädchen erzählt, daß Sie Gespenster gesehen haben, und daß Ihr Onkel auf Sie geschossen habe, weil Sie übergetreten sind?

      Zeugin: Das mit den Gespenstern waren Träume; ich habe allerdings darüber mit den Mädchen gesprochen.

      Stiftsfräulein Julie Lotz stellte der Wagner ein gutes Zeugnis aus. Über den Charakter der Angeklagten sprach sich die Zeugin sehr abfällig aus.

      Vert. Rechtsanwalt Dr. v. Pannwitz: Um zu erklären, wie es kam, daß die Angeklagte über die Stiftsdamen manche häßlichen Ausdrücke gebrauchte, muß ich an die Zeugin einige Fragen stellen. Ist der Zeugin bekannt, daß unanständige Tischgespräche von anderen Damen geführt wurden, über die sich die Vorsteherin ärgerte und die sie deshalb zurückwies?

      Zeugin: Unanständige Redensarten? Davon ist mir nichts bekannt.

      Vert.: Hat nicht einmal eine der Damen bei Tisch gesagt: »Ich bin nicht Jungfer, ich würde mich auch schämen, wenn ich als Jungfer ins Stift gekommen wäre, denn dann hätte mich niemand mögen wollen!«?

      Zeugin: Ach so, ja, das war aber nur Scherz. (Heiterkeit und große Bewegung im Publikum.)

      Vert.: Sie selbst sollen einmal gesagt haben: »Die hat ein schönes Vorgebirge!«

      Zeugin: Das soll ich gesagt haben?

      Vert.: Ja.

      Zeugin: Davon weiß ich nichts.

      Vert. R.-A. Dr. v. Pannwitz: In einem anderen Falle wurde davon gesprochen, daß eine Dame einen alten Herrn gepflegt habe, und dabei soll die Situation des Pflegers in unanständiger Weise geschildert worden sein.

      Zeugin: Davon ist kein Wort wahr.

      Wäscherin Butzmann, die im Stift früher diente, bezeichnete die Angeklagte als lügenhaft, jähzornig, aufgeregt.

      Vors.: Auch boshaft?

      Zeugin: Das ist gleich alles mit inbegriffen. (Heiterkeit.)

      Vors.: Wie war das Verhältnis zu den Damen?

      Zeugin: Zank und Streit gab es alleweg. Sie sprach meist von den »Lastern«, »Ludern« und vom »Verrecken«.

      Vert.: Hat die Angeklagte nur schlechte Eigenschaften, hat sie nie etwas Gutes getan?

      Zeugin: Ja, sie hat schon auch Gutes getan.

      Vert.: Bis jetzt haben Sie aber nichts Gutes von ihr erzählt.

      Stiftsdame Fräulein Arendts, 77 Jahre alt, war von 1860 bis 1883 Stiftsvorsteherin. Sie bezog für die 23jährige Dienstleistung ein Anerkennungsgehalt. Das sei der Angeklagten ein Dorn im Auge gewesen; sie habe ihr fortgesetzt Vorwürfe gemacht, sie Intrigantin, Simulantin usw. genannt. Sie habe nur klopfenden Herzens das Zimmer der Angeklagten betreten. Alle Damen seufzten unter der Herrschsucht der Oberin.

      Stiftsdame Sophie Neudegger stand im 60. Jahre. Die Zeugin war mit der Angeklagten befreundet und hielt sie nicht für schuldig. Sie glaube, daß die Wagner es selbst getan habe, ohne die Folgen zu bedenken. Die Zeugin bestätigte, daß die unanständigen Tischgespräche stattgefunden haben. Die Wagner habe ihr erzählt, daß ihr Onkel bei ihrem Übertritt zum Katholizismus auf sie, als sie aus der Kirche kam, geschossen habe.

      Medizinalrat Dr. Stumpf war Anstaltsarzt von 1875 bis 1898. Fräulein von Heusler habe die Krankheit der Wagner als selbstverschuldetes Übel betrachtet. Wer krank wurde, war von vornherein eines Verweises sicher. Der Arzt mußte die Krankheiten übertreiben, wenn er auch nur die geringste Fürsorge durchsetzen wollte. In der brutalsten Weise schleuderte die Angeklagte den Kranken Krankheiten ins Gesicht, die gar nicht vorhanden waren. Er müsse sagen, daß die Zeit, in der er Anstaltsarzt war, zu den trübsten Erfahrungen seines Lebens gehörte. Das schlimmste war, daß jeder Krankheit, selbst der harmlosesten, ein unanständiger Charakter untergelegt wurde. Klagen hatten keinen Erfolg. Im Ministerium hieß es immer nur: »Ach, die da drin, die können sagen, was sie wollen.« Nie habe er in seinem Leben eine größere Verlogenheit kennengelernt, als bei Fräulein v. Heusler. Sie war eine Meisterin der Kunst, die harmlosesten Worte im Munde zu verdrehen. Die Damen glaubten fest, daß für sie ankommende Briefe Gefahr laufen, eröffnet und unterschlagen zu werden, besonders wenn die Adressen von Männerhand geschrieben schienen. In der leichtesten Weise wurde Leuten die Ehre abgeschnitten. Ihm selbst sei es passiert, daß er unlauterer Beziehungen zu einem Stiftsfräulein bezichtigt wurde; auf seinen Eid aber könne er erklären, daß ihm nie etwas ferner gelegen habe. (Stürm. Heiterkeit.) Er habe schließlich seine Entlassung aus dem Dienst beim Stift nach 23jähriger Dienstzeit nachsuchen müssen.

      Vors.: Halten Sie die Angeklagte der Tat für fähig?

      Zeuge: Aus innerster Überzeugung muß ich sagen: Ja. Weiter bekundete der Zeuge: Die Oberin habe gewünscht, daß der zum Einreiben verordnete Franzbranntwein mit Salz versetzt werde, weil die Damen ihn sonst austrinken. (Große Heiterkeit.) Als er seinen Abschied nahm, haben die Stiftsfräulein ihm geklagt, daß sie nun ihren Beschützer verlieren; er habe sie aber mit dem Hinweis beruhigt, daß die Charaktereigenschaften der Vorsteherin ohnehin bald eine Katastrophe heraufbeschwören würden.

      Darauf erschien als Zeuge der Oheim der Wagner, Ludwig


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