Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer


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der Verteidigung geladener Leumundszeugen. Diese bekundeten: Die Angeklagte habe sich bei Wohltätigkeitsveranstaltungen betätigt, für Arme Handarbeiten gemacht und das Bestreben gehabt, ihren Stiftsdamen eine Freude zu machen. Mehrere Ministerialräte aus dem Ministerium des Innern bezeichneten die Rechnungsführung der Angeklagten als musterhaft; einige Freundinnen hielten die Angeklagte für energisch, aber gutmütig.

      Kapuzinerpater Coelestin aus Altötting sollte bekunden, daß Fräulein v. Heusler ihm nach einer Beichte erzählt habe, eines ihrer Mädchen sehe immer einen Hund mit feurigen Augen, und daß er erwidert habe, so etwas gebe es nicht.

      Zeuge: Er erinnere sich dessen nicht, solche Sachen treten zu oft an ihn heran. Er müsse überhaupt sein Erstaunen aussprechen, daß man einen Priester wegen solcher Lappalie vor Gericht rufe.

      Vert. R.-A. Dr. v. Pannwitz (sehr heftig): Ich verbitte mir entschieden von einem Zeugen Vorhaltungen, was zur Würde der Justiz gehört und was nicht.

      Vors.: Ich bitte, daß der Herr Verteidiger sich ruhig verhält; Sie haben den Zeugen nicht die Meinung zu sagen.

      Ein älteres adliges Fräulein von 66 Jahren, eine Freundin der Angeklagten, bekundete als Zeugin: Sie halte die Angeklagte für zu brav und fromm, um eine solche Tat zu begehen.

      Eine sehr große Anzahl weiterer Zeugen bekundete auf Befragen des Verteidigers, daß sie die Angeklagte der ihr zur Last gelegten Tat nicht für fähig hielten. Eine Zeugin sagte: Die Oberin habe ihr einmal verboten, die Stiftsdamen zu bedienen. Die Oberin habe gesagt: »Die alten Laster können sich selbst die Stube aufwischen und heizen.«

      Der jetzt 54jährige Magistratsbeamte Ludwig Karl bekundete als Zeuge: Seine vor ihm hier vernommene Gattin sei zehn Jahre älter als er. Die Wagner habe sich geneigt gezeigt, mit ihm ein Liebesverhältnis einzugehen, es sei aber nicht zum Ehebruch gekommen.

      Die Wagner, die während der Verhandlung wiederholt Brechanfälle bekam, erzählte: Herr Karl, ihr Dienstherr, habe ihr nachgestellt, er habe sie aber nie erwischt.

      Vors.: Minna Wagner, ist nicht Ihr Onkel zu Frau Karl gekommen und hat Ihnen ein paar Ohrfeigen gegeben?

      Zeugin Wagner: Nein.

      Vors.: Aber Ihr Onkel hat es selbst hier zugestanden.

      Zeugin: Ich erinnere mich nicht.

      Zeuge Fetzer: Erinnerst du dich denn nicht? Du hast ja bitterlich geweint und noch nach zwei Jahren zu meiner Frau gesagt, daß ich dich ungerecht geschlagen habe. Das kannst du doch nicht vergessen haben.

      Zeugin Wagner: Es kann ja möglich sein, ich erinnere mich aber nicht mehr.

      Es folgten darauf die Sachverständigengutachten. Professor Dr. med. Freiherr v. Schrenck-Notzing (München): Die Minna Wagner machte einen normalen, wenn auch einen etwas zarten Eindruck mit vielleicht etwas leichterer, nervöser Erschütterung. Sie hatte bereits vorher eine Magenerkrankung, so daß schon eine geringere Schädlichkeit eine erhebliche Störung verursachen konnte. In dem Kaffee waren 2 Gramm reine Salzsäure enthalten, die 0,7 Gramm Chlorwasserstoffsäure erzeugen. Beim Genuß von 12 Gramm tritt der Tod ein; 2 Gramm Salzsäure sind die Maximaldosis für Arzneien. Die genossene Menge überschreitet zwar nicht die ärztliche Dosis, aber die Menge wird dann nicht auf einmal genossen. Ein vollständig normaler Magen würde die Schädlichkeit des Giftes in schnellerer Zeit überwunden haben. Das unstillbare Brechen kann durch psychische Vorgänge beeinflußt werden. Es ist bekannt, daß das Brechzentrum von Vorstellungen leicht berührt werden kann. Ein eminent psychischer Choc und traumatische Erscheinungen haben dazu beigetragen, die Leiden zu steigern und einen Zustand zu schaffen, welcher die Heilung aufhält.

      Bei der Angeklagten ist ein auffallender Mangel in den ethischen Funktionen vorhanden. Es ist erstaunlich, daß eine Dame ihres Standes und ihrer Erziehung sich fortwährend so roher Ausdrücke bedient hat. Es ist bei der Angeklagten ein so niedriger Grad von Intellekt vorhanden, wie er nicht gerade ihrem Stande entspricht. Ob der Mangel an Begabung schon an Schwachsinn grenzt, läßt sich so nicht beurteilen. Was die Frage anlangt, ob die Angeklagte boshaft ist, so muß ich zunächst eine auffallende Affekterregbarkeit feststellen. Die Hemmungen, welche bei normalen, wohlerzogenen Personen einzutreten pflegen, fehlen bei ihr. Festgestellt wurde in der Verhandlung eine Freude am Schaden anderer. Ich habe sehr wohl den Eindruck, daß die Angeklagte imstande war, einer anderen einen Possen zu spielen. Für ihren Mangel an Intelligenz spricht schon die Art ihrer Verteidigung: wenn eine Person, die unter so furchtbarer Anklage steht, sich so ungeschickt verteidigt.

      Der zweite Sachverständige, Oberarzt im Kreis-Irrenhaus, Dr. Holterbach, stellte bei Fräulein v. Heusler auch einen geringen Grad von Intelligenz fest; dagegen fehle es an jedem Anhaltspunkt für die Annahme von Schwachsinn. Landgerichtsarzt Medizinalrat Dr. Hoffmann: Er könne die Wagner weder für geisteskrank, noch für hysterisch, noch für trunksüchtig halten.

      Die einzige Schuldfrage, die den Geschworenen vorgelegt wurde, lautete: »Ist die Angeklagte Elise v. Heusler schuldig, am 20. Juli 1902 der Krankenpflegerin Wilhelmine Wagner vorsätzlich, um sie an ihrer Gesundheit zu schädigen, Gift beigebracht zu haben?«

      Es nahm alsdann am letzten Verhandlungstage das Wort Staatsanwalt Aull: Volle sieben Monate sind seit dem Tage der Vergiftung verflossen, und seitdem bis heute hat die Minna Wagner schwer zu leiden gehabt unter den Folgen der teuflischen Tat, die so freventlich in ihr Leben eingegriffen hat. Sie haben gehört, was die Wilhelmine Wagner für eine Person vordem gewesen ist: ein junges blühendes Mädchen, das den schweren Beruf der Krankenpflegerin gewählt hatte; ein Mädchen, das gespart und gesorgt hat für ihre alte, gichtbrüchige Mutter. Das Mädchen ist jetzt siech, und es liegt die Gefahr vor, daß sie dem Hungertode anheimfällt. Das arme Mädchen siecht nun seit sieben Monaten dahin, sie ist ohne Erwerb, den sie für ihre armen, alten Eltern so nötig hätte. Der Täter ist nur im Stift zu suchen. Die Stiftsdamen können nicht in Betracht kommen. Welchen Beweggrund sollten die alten Damen auch haben, einem so fleißigen, willigen, so überaus beliebten Mädchen Salzsäure in den Kaffee zu schütten. In Frage können nur zwei Personen kommen: entweder hat die Wilhelmine Wagner die Salzsäure sich selbst in den Kaffee getan, oder die Stiftsvorsteherin Elise v. Heusler war die Täterin. Wir wollen uns beide Persönlichkeiten näher ansehen, um zu betrachten, ob einer von ihnen eine solche Tat zuzutrauen ist. Wilhelmine Wagner kam als 13jähriges Mädchen zu Frau Düreck nach München in den Dienst. In der vierjährigen Dienstzeit hat sie sich dort das Zeugnis eines sehr braven, anhänglichen, fleißigen, soliden Mädchens erworben. Und von dieser Dame, die ihr ein so vorzügliches Zeugnis ausgestellt hat, ist sie zu den Eheleuten Karl gekommen. Sie haben gehört, was Frau Karl über die Wilhelmine Wagner, von der wir bisher nur Gutes gehört haben, erzählt hat. Sie sagte: Die Wagner war boshaft, lügnerisch, unsittlich. Aber Frau Karl war nicht imstande, diese Behauptungen zu beweisen, nur allgemeine Verdächtigungen konnte sie vorbringen. Ich tue doch schon recht lange mit, aber ich muß sagen: Ein frivoleres Zeugnis, ein frivoleres Auftreten, wie das dieser Frau Karl, habe ich noch nie gesehen. Wort für Wort ihrer Aussage, behaupte ich, ist erlogen. Und darum habe ich Ihnen auch den Ehemann vorgeführt. Ich weiß nicht, welchen Eindruck dieser auf Sie, meine Herren Geschworenen, gemacht hat: auf mich den allerschlechtesten. Der Mann hat das Mädchen, das bisher in sittlicher Beziehung keinen Makel hatte, in gewöhnlichster Weise verleumdet. Ich habe darum, die Wilhelmine Wagner Ihnen nochmals vorgeführt. Sie hat in offener, ehrlicher Weise Auskunft gegeben. Und da sage ich: Der Ehemann Karl hat an dem 17jährigen Mädchen nichts weiter als einen ganz gemeinen Notzuchtsversuch unternommen. Von Karl kam die Wagner auf eine andere Stelle. Dort blieb sie ein Jahr und wurde wieder als brav und gut geschildert. Glauben Sie, daß ein Mädchen, das vorher unsittlich war, so schnell sich wieder im Charakter ändert? Aus dieser Stelle entließ man sie ungern. Auch auf ihrer nächsten Stelle im Josephspital war man mit ihr zufrieden. Sie konnte dort nicht bleiben, weil sie selbst krank war, aber die Oberin empfahl sie weiter, und so kam sie ins Stift. Hier war sie auch bei allen bis auf eine beliebt. Ich glaube, das genügt. Wenn wir alles zusammennehmen, so müssen wir sagen: Minna Wagner war ein ruhiges, braves, solides Mädchen. Sie verdient, daß man ihr Glauben schenkt. Die andere Person, die in Frage kommt, ist die Elise v. Heusler. Von deren Vergangenheit wissen wir nicht viel, es interessiert uns auch wenig. Wir wissen nur von ihr, daß


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