Kreuz und Rose. Anna-Katharina Dehmelt

Kreuz und Rose - Anna-Katharina Dehmelt


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auch wenn die Denkaktivität, auf der diese Erfahrung ruht, heute vielleicht immer mehr quasi propädeutisch erst erübt werden muss. Es zeigt sich aber auch, dass viele Inhalte, vieles an dem Stoff, den Steiner insbesondere in den Vorträgen bearbeitet hat, zeitbedingt ist und der Kontext manchen Gedankens doch zu lange vergangen ist, um auf Dauer Bestand zu haben – auch wenn die künstlerische Gestalt, die Steiner seinen Denkbewegungen gab, anregend bleibt. Der Wandel in den Ausdrucksformen, in die Rudolf Steiner seine Mission gegossen hat, macht deutlich, wie vielfältig, wie reich der geistige Impuls ist, dem Steiner sein Werk gewidmet hat.

      Rudolf Steiner selbst aber treffe ich heute da, wo ich mich übend und forschend selber auf die Suche mache nach der Verbindung zwischen dem Geistigen in mir und dem Geistigen in der Welt. Da begleitet er mich, wie ich ihn in den Spuren seines Werkes kennengelernt habe: diesen unermüdlichen Charakter, voller Phantasie, voller Schöpfergeist, voller Mut, voller Ernst. Er hält mir die Türe auf zum Seinsgrund, aus dem Welt und Mensch erschaffen sind, und er regt mich an, diesen Schöpfungsstrom fortzusetzen. Aber eintreten, den Schritt machen ins Freie, wo Erkenntnis sich umwendet in Moral und zur Grundlage schöpferischer Geistesgegenwärtigkeit wird, muss ich selbst.

      1 Rudolf Steiner: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA 2), Dornach 1987, S. 84.

      2 Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze (GA 26), Dornach 1998, S. 14.

      3 Vortrag vom 9. Oktober 1918; Was tut der Engel in unserem Astralleib? in Rudolf Steiner: Der Tod als Lebenswandlung (GA 182), Dornach 1996.

      4 Aus dieser Beschäftigung mit dem Jahrhundertende ist meine nur noch antiquarisch erhältliche Zusammenstellung Das Ende des 20. Jahrhunderts im Werk Rudolf Steiners (Dürnau 1993) hervorgegangen sowie mein Aufsatz Vom Jahrtausendende und der Jahreszahl 1998 in Die Christengemeinschaft 1/1998.

      5 Unzählige Beispiele finden sich in Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland, Göttingen 2007.

      6 Vortrag vom 19. April 1924 in Rudolf Steiner: Mysterienstätten des Mittelalters (GA 233a), Dornach 1991.

      Anthroposophische Meditation: Die denkende Individualität als Ausgangspunkt

      Im März 2015 fand in Stuttgart eine von der Agentur ‹Von Mensch zu Mensch› organisierte Tagung zum Thema «Meditation in Ost und West – Buddhismus und Anthroposophie im Gespräch» statt. Das war die erste große Meditationstagung, der sich in den Folgejahren weitere anschließen sollten. Die buddhistische Meditation wurde von dem Religionswissenschaftler und Zen-Lehrer Michael von Brück vertreten, mein anschließende Beitrag zur anthroposophischen Meditation ist hier wiedergegeben.

      Die denkende Individualität als Ausgangspunkt für einen meditativen Weg – das dürfte für die meisten Menschen, die mit östlicher Meditation vertraut sind, eine Provokation sein. Geht es doch dort zumeist darum, wie wir auch eben von Michael von Brück gehört haben,1 der Welt ohne fertige Gedanken zu begegnen und sich weder mit dem eigenen Körper noch mit Erinnerungen, Wünschen oder Urteilen zu identifizieren, also das Denken und die Individualität gerade nicht als Ausgangspunkt einer inneren und meditativen Entwicklung zu setzen. Meine Aufgabe ist es, den anthroposophischen Ansatz der Meditation so darzustellen, dass der Unterschied zu östlichen Ansätzen deutlich wird. Und da scheinen mir Denken und Individualität bzw. das Ich die Besonderheiten anthroposophischer Meditation am prägnantesten zu bezeichnen – auch wenn wir sehen werden, dass diese Begriffe ihren Schwerpunkt gegenüber dem gewöhnlichen Gebrauch ein wenig verlagern.

      Inhalt, Vollzug und Sinn

      Beginnen wir mit einer «einfachen Tatsache», auf die Steiner hinweist und

      «die nur in ihrer umfassenden Bedeutung gewürdigt werden muß. Es ist diejenige, daß es im ganzen Umfange der Sprache einen einzigen Namen gibt, der seiner Wesenheit nach sich von allen andern Namen unterscheidet. Dies ist eben der Name ‹Ich›. Jeden andern Namen kann dem Dinge oder Wesen, denen er zukommt, jeder Mensch geben. Das ‹Ich› als Bezeichnung für ein Wesen hat nur dann einen Sinn, wenn dieses Wesen sich diese Bezeichnung selbst beilegt. Niemals kann von außen an eines Menschen Ohr der Name ‹Ich› als seine Bezeichnung dringen; nur das Wesen selbst kann ihn auf sich anwenden. ‹Ich bin ein Ich nur für mich; für jeden andern bin ich ein Du; und jeder andere ist für mich ein Du.› Diese Tatsache ist der äußere Ausdruck einer tief bedeutsamen Wahrheit. Das eigentliche Wesen des ‹Ich› ist von allem Äußeren unabhängig; deshalb kann ihm sein Name auch von keinem Äußeren zugerufen werden.»2

      Versuchen wir einmal, diese «einfache Tatsache» nicht nur als Information aufzunehmen, sondern sie zu realisieren.3 Wir können versuchen, diesen Moment des Ich-Sagens zu verlängern, zu verstärken und zu halten. Wir bemerken sofort, welche Kraft es braucht, nicht unmittelbar in irgendwelche Identifikationen – ich bin die und die, ich bin so und so, ich habe dies oder das – zurückzufallen. Die Kraft, die es braucht, um sich im Ich-Sagen zu halten, müssen wir erst trainieren, wie einen ungeübten Muskel. Dann bemerkt man, dass diese Kraft, die zu sich selbst Ich sagt, Bestand haben kann – freilich nur, so lange ich sie betätige – und dass sie so lange eine gänzlich von allen Identifikationen befreite Existenz hat. Es ist keine subjektive, persönliche Kraft, vielmehr geht sie jeder Identifikation voraus. Sie ist ihrer inneren Natur nach überpersönlich und in der Lage, Identifikation einzugehen. In der Regel finden wir sie als bereits identifizierte Kraft, als Ego in uns vor. Ihrem Wesen nach aber ist sie unabhängig von all diesen Identifikationen. Und doch hat sie eine eigene Existenz.

      Aber eine solche Erfahrung braucht doch einige Übung. Denn wir müssen unser Bewusstsein aufrecht erhalten können, während es im Vollzug bleibt und sich nicht auf einen Inhalt fixieren kann. Unser gewöhnliches Bewusstsein ist vollständig inhaltlich fixiert, es bildet die Welt ab, urteilt, konzeptionalisiert und läuft in habitualisierten Bahnen ab – der dahinterstehende Vollzug bleibt in der Regel völlig unbeobachtet. Um den Weg vom Inhalt zum Vollzug zu finden, hat Steiner einige Übungen gegeben, die den Vollzug stärken, indem man sich auf einen ganz einfachen Inhalt richtet. Dafür möge man, so schlägt Steiner vor, für einige Minuten «seine Gedanken an einen alltäglichen Gegenstand (z.B. eine Stecknadel, einen Bleistift usw.) wenden und während dieser Zeit alle Gedanken ausschließen, welche nicht mit diesem Gegenstande zusammenhängen».4 Es kann auch ein Dreieck sein oder eine einfache Form, die sich verändert5 – wichtig ist, dass es sich um einen Inhalt handelt, den man selber völlig überschaut und der deshalb inhaltlich eigentlich nicht anspruchsvoll ist. Gerade deshalb braucht es Kraft, um ihn im Bewusstsein zu halten, und daran tritt der sonst immer unbeobachtet bleibende Vollzug in Aktion und ins Bewusstsein.

      Was wir da tun, wenn wir uns für einige Minuten konzentriert mit einem Bleistift oder einem Dreieck beschäftigen, ist immer noch Denken – aber ein normalerweise im Hintergrund bleibender Aspekt:

      «Da werden Sie allmählich gewahr werden, daß Denken heißt: geradeso innerlich etwas tun, wie etwas äußerlich tun heißt, seine Hand gebrauchen, seinen Arm gebrauchen. Wenn Sie Ihren Arm gebrauchen, das spüren Sie. Nun müssen Sie spüren lernen, was es heißt: die Gedankenkräfte gebrauchen.»6

      Wir üben in solchen ersten Schritten, unser Denken nicht nach unserer Organisation, unseren Gewohnheiten und unseren Vorlieben einzusetzen, sondern es innerlich zu ergreifen, in dem wir es an einem Thema, einem Zusammenhang entlang führen, ganz unabhängig von uns selbst, von unserem Ego. Das Denken bildet dann Unterschiede und Zusammenhänge und verbindet sie zu sinnvollen Ganzheiten. Sonst könnten wir keinen Bleistift von einem Füller unterscheiden und sie beide als Schreibgeräte erkennen.

      Indem wir uns also denkend an einem einfachen Sinnzusammenhang betätigen, erüben wir eine innere Aktivität, die so selbstbewusst ist wie der Moment des Ich-Sagens. So löst sich das Ich von seinen Identifikationen, aber nicht, indem es jeden Inhalt loslässt, sondern indem es sich mit innerer Aktivität auf einen überpersönlichen Sinnzusammenhang richtet.

      Und in dieser Aktivität erfährt das Ich sich gleichermaßen Sinn-erfahrend und Sinn-stiftend. Das Ich ist «wie ein Tropfen aus dem Meere der alles durchdringenden Geistigkeit»7,


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