Kreuz und Rose. Anna-Katharina Dehmelt

Kreuz und Rose - Anna-Katharina Dehmelt


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Leib der Tod, für den Ätherleib der Schlaf, das ist für den Astralleib das Vergessen. Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das Leben eigen, dem Astralleib das Bewußtsein und dem Ich die Erinnerung4

      Es folgt die Differenzierung der Ich-Tätigkeit in Empfindungs-, Verstandes- und Bewusstseinsseele, die dann vertieft wird in die geistige Dreiheit von Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch. Diese drei geistigen Glieder werden gebildet, wo das Ich das verborgene Geistige im Offenbaren der Leiblichkeit freilegt. (Die Dreigliederung der Theosophie wird hier also durchaus integriert.) Die verwandelnde Arbeit des Ich wird in diesem Kapitel zunächst als Kulturtatsache dargestellt:

      «Im Grunde besteht alles Kulturleben und alles geistige Streben des Menschen aus einer Arbeit, welche diese Herrschaft des Ich zum Ziele hat. Jeder gegenwärtig lebende Mensch ist in dieser Arbeit begriffen: er mag wollen oder nicht, er mag von dieser Tatsache ein Bewußtsein haben oder nicht.»5

      Die Vierheit von physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich wird in allen folgenden Kapiteln wieder aufgegriffen, aber unter jeweils veränderten Bedingungen. Im Kapitel ‹Schlaf und Tod› werden die vier Wesensglieder in ihrer Auflösung nach dem Tod und ihrer Neubildung vor der nächsten Geburt beschrieben. Ebenfalls findet hier eine Verwandlung von physischem Leib, Ätherleib und Astralleib statt, aber anders als im vorangegangenen Kapitel, in dem diese Verwandlung als allmählich und kontinuierlich beschrieben wurde, gehen die Wesensglieder nun durch eine völlige Auflösung: Zunächst wird mit dem Tode der physische Leib abgelegt; dann löst sich nach wenigen Tagen der Ätherleib auf, nachdem er wie ein Tableau das nunmehr abgeschlossene, zu einer Ganzheit gewordene vergangene Erdenleben als innerlich stimmiges Gemälde dem nachtodlichen Bewusstsein zur Erscheinung gebracht hat; und dann beginnt die Zeit, in der der Astralleib mit all seinen Begierden, Trieben und Leidenschaften so weit geläutert wird, dass das Ich seine Verwobenheit mit dem dem Erdenleben allzu stark zugeneigten Astralleib ablegen kann. Nun kann das von jeder Anhaftung an Irdisches befreite Ich in das Geisterland eintreten, verbunden mit allen Früchten des vergangenen Erdenlebens, die nun in Keime für das künftige Erdenleben verwandelt werden, in einer Welt, die nur aus Intentionen und schlackenfreien Urbildern besteht. Hier kann das Ich sich qualifizieren, nach Maßgabe der gefassten Intentionen einen neuen Astralleib, einen neuen Ätherleib und schließlich einen neuen physischen Leib auszubilden, die den im Geistigen gebildeten Intentionen entsprechen. Das Ich im Geisterland webt mit an den Verhältnissen der eigenen Leiblichkeit und den Welt-, Kultur- und Naturverhältnissen, in die diese Leiblichkeit eingebettet sein wird.

      Und auch im Evolutionskapitel sind die vier Wesensglieder der rote Faden, der das Verstehen durch die Fülle des Stoffs hindurchführt. Der Alte Saturn schildert die Bedingungen der Entstehung des physischen Leibes und des Physischen überhaupt, auf der Alten Sonne entsteht der Ätherleib, auf dem Alten Mond der Astralleib, und auf der Erde kommt das Ich hinzu. Aber es ist eigenartig: Denn das zunächst nur als Wärme erscheinende Physische des Alten Saturn hat nahezu Ich-Qualität, das Ich des Irdischen ist ohne das nunmehr fest gewordene Physische nicht zu denken. Eins steckt im anderen drin, Physisches und Ich sind von Beginn an aufeinander bezogen.

      Die Wesensglieder mit dem Ich werden geschaffen von hierarchischen Wesenheiten, die als Fluchtpunkte des Denkens die Aktivität der Schöpfung einzufangen vermögen. Aber mit dem Auftreten des Ich treten die Hierarchien zurück. Nur die Weltmächte Christus, Luzifer und Ahriman umgeben den Menschen noch, zwischen ihnen ist der Mensch mehr und mehr auf sich selbst gestellt, und vollends auf sich gestellt ist er nun, was die Fortführung der Evolution in die Zukunft hinein betrifft.

      Diese Zukunft wird angedeutet im Kapitel ‹Gegenwart und Zukunft der Welt- und Menschheitsentwickelung›. Es ist so knapp, wie das in die Vergangenheit gerichtete Weltentwicklungskapitel umfangreich ist. So wie das Ich im Leben zwischen Tod und neuer Geburt die Frucht des vergangenen Erdenlebens umwandelt in den Keim des nächsten, so wandelt der an der Evolution beteiligte Zeitgenosse die Früchte der Schöpfung um in Keime für die Zukunft. Aber während man es bei den Früchten der Vergangenheit mit Tatsachen zu tun hat, denen sich das Erkennen ruhig gegenüberstellen kann, so erregt, «was in der Zukunft geschieht, […] das menschliche Fühlen und Wollen.»6 Hier ist ein ganz anderer Modus menschlicher Tätigkeit gefragt: die gewonnene menschliche Freiheit achtend bei zugleich voller Verantwortungsübernahme für das Verwirklichen zukünftiger Evolution. Soweit diese gelingt, werden die zukünftigen Weltzustände Jupiter, Venus und Vulkan Verwandlungen der vergangenen Zustände Mond, Sonne und Saturn sein – im Sinne der in die bisherige Entwicklung einverleibten Möglichkeiten: Dies ist gerade der Mensch, der Freiheit und Verantwortlichkeit miteinander verbindet, der zum «selbständigen Glied einer geistigen Welt»7 geworden ist.

      Entwicklung des Bewussteins: Der Vegetationskegel der Evolution

      Diese hohe Verwandlungsaufgabe des zur Freiheit herangereiften geistigen Menschenwesens, die Arbeit des Ich am Physischen, am Ätherischen und am Astralen wird in der Geheimwissenschaft in mehreren Schattierungen beschrieben: als Kulturtatsache im zweiten, als Ereignis im Leben zwischen Tod und neuer Geburt im dritten und als Resultat der ganzen Evolution im vierten Kapitel. Damit der Mensch aber diese Aufgabe tatsächlich ergreifen kann, bedarf es noch mehr als einer unterstützenden Kultur, als des im Leben zwischen Tod und Geburt vorbereiteten Schicksalswirkens, als einer Evolution, die uns an diese Stelle geführt hat. Es bedarf der bewussten und gezielten Arbeit des Menschen an sich selbst. Diese ist Voraussetzung, um die Evolution entsprechend weiterzuführen. Und diese Arbeit beginnt mit der Verwandlung des Bewusstseins. Denn immer war es das Bewusstsein, das im Mittelpunkt des Entwicklungsstrebens der Hierarchien lag. Die Entwicklung des Bewusstseins ist, vergleichsweise gesprochen, der Vegetationskegel der Evolution. Und es ist das Gebiet, in dem wir Menschen am unmittelbarsten arbeiten können: an der Entwicklung unseres Gegenstandsbewusstseins, das auf die Gegebenheiten einer geschaffenen physischen Welt ausgerichtet ist, zu einem imaginativen Bewusstsein, das Bildeprozesse, Zukunftsprozesse, Lebendiges und Werdendes angemessen zu erfassen vermag.

      Dieser Arbeit ist das zwischen Vergangenheit und Zukunft der Evolution eingefügte fünfte Kapitel ‹Die Erkenntnis der höheren Welten› gewidmet. Hier wird sehr genau beschrieben, was man an diesem Vegetationskegel tun kann, um Anfangskeime der Imagination und darauffolgend der Inspiration und Intuition auszubilden, was man tun kann, um die Evolution voranzutreiben. Denn anders kann man diese Stellung des Schulungskapitels mitten im Evolutionskapitel kaum verstehen: Es ist die Schulung des Bewusstseins, die Verwandlung des Gewordenen in jedem Einzelnen, ganz konkret im Hier und Jetzt. Die Rosenkreuz-Meditation, Zentrum des Schulungskapitels, fasst diesen ganzen Zusammenhang für die verschiedenen Stufen des Bewusstseins. In ihr ist auch jener Übergang enthalten vom «Sündenfall» als der zu tiefen Verstrickung des Ich im Astralleib, der in Blavatskys Geheimlehre im Mittelpunkt stand, zum Mysterium von Golgatha, das in der Geheimwissenschaft in den Mittelpunkt rückt: als Möglichkeit, das Ich so zu ergreifen, dass es den Astralleib zu verwandeln und den «Sündenfall» zu überwinden vermag. Meditation und Schulung setzen die Evolution fort, indem sie den Meditierenden selbst verwandeln und in ihm die Fähigkeiten ausbilden, die Welt zu verwandeln, die Schöpfung fortzuführen.

      Auch im Schulungskapitel begegnen uns die vier Wesensglieder wieder, auch hier wird der einheitliche Gesichtspunkt durchgetragen: Schulung beginnt im Gegenstandsbewusstsein, mit Gedanken, die das Ich mit seinem zunächst an den physischen Leib gebundenen Denken denken kann, die sich aber zugleich schon auf Geistiges richten. Sie setzt sich fort in die Imagination, die mit der Verwandlung des Astralleibes einhergeht, während die Inspiration den Ätherleib und die Intuition den physischen Leib umwandelt.8

      So wird durch die ganze Geheimwissenschaft das Motiv der Verwandlung von physischem Leib, Ätherleib und Astralleib durch das Ich durchgeführt, mit wachsenden Dimensionen. Es ist dieser einheitliche Gesichtspunkt, der es erlaubt, das Erscheinen der Geheimwissenschaft mit einem gewissen Recht gleichzusetzen mit dem Zeitpunkt, in dem Anthroposophie erstmals als Ganzes, als in sich stimmiges System auftritt. Dass daraus doch kein abgeschlossenes System geworden ist, verdankt sich nicht nur der weiteren Lebensleistung Rudolf Steiners, der mit seiner – von der Theosophie durchaus verschiedenen – Dreigliederung 1917 nochmals eine neue Systematik eröffnet und damit die ganze Anthroposophie in innerer Spannung hält, es verdankt


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