Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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Sachen zur Verfügung gestellt werden. Wie es den Witwen und Waisen der Gemordeten erging, das kümmerte ja die Franzosen nicht.

      Uve Mensinga kam selben Abends in das Haus der Witwe. »Frau Visser«, sagte er, »Ihr gebt doch das bare Geld nicht heraus? – Laßt mich den Schatz verwahren, sonst nehmen die Schufte Euch das letzte Stück Brot. Und du, Onnen«, fuhr er fort, »geh mit mir, ich will dich auf meine Schaluppe nehmen und als Gehilfen beim Fischfang behalten, bis wir andere Zeiten bekommen. Du mußt jetzt für deine Mutter sorgen, Junge!«

      Der ehrliche Mann und treue Freund ließ den Worten die Tat folgen. Alles Geld aus dem Schranke des Kapitäns wurde versteckt, die nötigsten Einrichtungsstücke in verschwiegener Nacht hinübergetragen zum Hause des Wattführers und endlich Frau Douwe, die ganz gebrochene, trostlose, von dem Weibe desselben, der alten braven Trientje Mensinga, mit offenen Armen empfangen. Die beiden Leute hatten keine Kinder – jetzt nahmen sie Onnen auf wie einen geliebten eigenen Sohn und gaben auch aus der Fülle ihrer freundlichen Nächstenliebe der unglücklichen Mutter des Knaben eine sichere, trauliche Heimstätte; selbst Folke Eils konnte täglich mitessen von dem, was der Wattführer als solcher oder als Fischer verdiente.

      Dazwischen rasselte wieder die Trommel. Nur eine ganz kurze Proklamation wurde verlesen, aber sehr inhaltsschwere Worte. »Wer die Hand an einen französischen Soldaten legt, wer sich gegen einen solchen selbst zu verteidigen oder Recht zu verschaffen sucht, soll erschossen werden.«

      Das galt als Warnung; die Norderneyer verstanden es sehr wohl, aber sie lachten dazu. Wenn der »Falke« einlief, so durchlöcherten ihre Kugeln höchstwahrscheinlich mehr als nur diesen Tagesbefehl.

      Onnen wäre in der Schreckenszeit, welche er jetzt durchlebte, vor Qual und Gram gestorben, wenn ihn nicht der Haß gegen den Todfeind, die Hoffnung auf Wiedervergeltung immer noch aufrecht gehalten hätten. Eine Niederlage sollten die Franzosen erleiden und ob Ströme Blutes fließen mußten, eine Niederlage, die ihren Hochmut, ihre trotzige Selbstüberschätzung empfindlich züchtigte.

      Aus Hamburg kamen damals nach Norderney von den wenigen Badegästen Mitteilungen, welche den herrschenden Groll bis zum äußersten steigerten. Dort waren Schmuggler und solche, die sich nicht von den Zollbeamten in jeder Weise belästigen lassen wollten, ohne Urteil oder Verhör auf dem Heiligengeistfelde standrechtlich erschossen worden, zuweilen sechs und zehn an einem Tage; die Räubereien und Erpressungen der Franzosen hatten weder das öffentliche, noch das Privateigentum verschont.

      Uve Mensinga nickte. »Laßt sie nur, Kinder, laßt sie nur. Je eher das Maß ihrer Schuld gefüllt ist, desto früher kommt jener eine Tropfen, welcher es überfließen läßt. Wir können warten.«

      Als das Haus des erschossenen Kapitäns und seine Schaluppe unter den Hammer gebracht wurden, da hatten die Franzosen den Amtsschreiber umsonst nach Norderney bestellt und ebenso umsonst ihre Bekanntmachungen an alle Mauern geklebt; weder auf diesen Besitz, noch auf den der übrigen Gemordeten erfolgte irgendein Angebot. Die Insulaner nahmen von der ganzen Sache nicht die allermindeste Notiz, heimlich aber freuten sie sich des Ärgers, den die Franzosen ertragen mußten.

      Am Abend desselben Tages flüsterte Uve Mensinga in Onnens Ohr: »Du, der ›Falke‹ ist da. Er bringt wenigstens zwanzig Langboote!«

      »Gott sei gepriesen! – So kommt endlich die Stunde der Rache!« Der Wattführer schüttelte den Kopf. »Nicht der Rache«, sagte er sehr ernst. »Da mußt du unterscheiden lernen, mein Junge. Wer sich rächt, der will den erlittenen Schaden auf einen andern übertragen, der handelt boshaft – wir dagegen nehmen in offener Fehde gegen die Franzosen den einmal verlorenen Kampf wieder auf, wir hoffen sie in ehrlicher Schlacht zu besiegen und ihnen zu zeigen, daß sie feige Schandtaten begingen, indem ihre Kugeln wehrlose Männer töteten. Es ist gegenwärtig Krieg, das sollen die Übermütigen fühlen.«

      Onnen nickte. »Soviel ich dabei in Betracht komme, gewiß. Wir werden ihnen eine Niederlage bereiten – das walte Gott.«

      8

      Drei englische Kriegsschiffe lagen unweit Norderney vor Anker, der »Falke«, der »Nelson« und der »Wellington«. Die Stimmung der Soldaten war eine sehr gereizte; sie hatten bisher gehofft, noch rechtzeitig genug zu erscheinen, um ihre gefangenen Landsleute aus den Händen der Franzosen befreien zu können, jetzt aber, als die Kunde des Geschehenen sie erreichte, drängte alles zum Kampfe, zum blutigen Waffentanz, in dem der kecke Gegner wie bei Trafalgar erfahren sollte, daß es noch Mächte gab, welche seiner unerhörten Willkür Schranken ziehen konnten.

      Uve Mensinga und der Befehlshaber des »Falken«, Kapitän Sounders, standen in ununterbrochenem Verkehr. Es wurde ein Plan verabredet, der nur langsam seiner Vollendung entgegenreifte, dafür aber auch sicheres Gelingen versprach – die Franzosen mußten sich allmählich als Herren der Lage betrachten lernen, mußten jeden Gedanken an einen Handstreich der Eingeborenen aufgeben und in ihrer Wachsamkeit erlahmen; so allein konnte man sie fangen.

      Keine Schaluppe, kein Boot lief mehr aus, ohne ein paar französische Soldaten an Bord zu haben, keine Forderung des nimmersatten Obersten stieß auf Widerstand; überall begegneten scheue Blicke oder eiliges Ausweichen den Machthabern – sie begannen bereits zu triumphieren und sich den gewohnten Einflüsterungen ihrer Eitelkeit recht behaglich hinzugeben. Die Insulaner hatten jetzt die Peitsche gefühlt, sie küßten willig die Hände, von denen der Streich kam – das zu denken war so sehr angenehm. Vom Obersten bis zum Gemeinen ließ sich‘s jeder einzelne angelegen sein, nach Möglichkeit die Fischer zu brandschatzen und, während diese oft kaum einen Bissen Brot besaßen, selbst im Wohlleben zu schwelgen. Es war ja im Dorfe alles todesstill, kein Gedanke erhob sich gegen die Tyrannen, niemand gab ihnen Gesetze oder leistete Widerstand; stolz wie die Pfauen gingen sie einher. »Le jour de gloire est arrivé.« Jeder Offizier und jeder Soldat fühlte sich in seinem Übermut durch das veränderte Benehmen der Einwohner auf das angenehmste geschmeichelt, jeder trug die Nase so hoch wie möglich und dachte je länger, desto mehr an das Vergnügen, den Genuß des Lebens in jeglicher Gestalt. Die Offiziere verbrachten ihre Zeit fast gänzlich auf dem Festlande, die Soldaten spielten und rauchten – es war ja ringsumher alles ruhig wie im tiefsten Frieden.

      Unter der äußeren Hülle glühte das Feuer. Uve Mensinga war viel in Norden, er hatte dort die ausgedehntesten Bekanntschaften und brauchte sie alle, um seinen Plan zur Ausführung zu bringen. Es kam ein Abend, wo gleichsam zufällig ein großer Ball gegeben wurde, während anderseits der Jahrmarkt mit seinen lustigen Possen und verlockenden Schaubuden das Volk aus allen umliegenden Dörfern herbeizog, ebenso die Soldaten, welche mit den Bauernmädchen tanzten und die geräucherten Aale verspeisten, als sei dieser volkstümliche Leckerbissen für sie etwas ganz Gewohntes. Der Branntwein war außergewöhnlich billig, er wurde an jeder Straßenecke feilgeboten, ja, die Franzosen erhielten ihn sogar, wenn es ihnen an Geld fehlte, ganz umsonst, kein Wunder also, daß die Heiterkeit schon am Nachmittag in ein wüstes Toben überging. Der ganze große Platz vor dem Dome von St. Ludger war mit Verkaufs- und Schaubuden angefüllt, unter den Doppelreihen uralter Bäume wogte eine lebensfrohe Menge, Musik erschallte überall, Bajazzo hatte sich sogar aus Gefälligkeit gegen die fremden Gäste bis zu französischen Witzen verstiegen und selbst der Schankwirt mit seiner Karre rief, die Flasche hoch empor haltend, immer einmal über das andere: »Voulez-vous, Kinners? Langt man to! toujours hierher! toujours hierher, ji Deubelstüg, fix watt up‘t Fell schöllt ji hemmen!«

      Die Soldaten nahmen das ihnen Unverständliche für eine liebenswürdige Schmeichelei, sie tranken und tranken, bis alle Überlegung auf den Fluten des Branntweins davontrieb und Uve Mensinga ganz ohne Hehl dem Wirte ein: »Ich danke dir, Landsmann, du machst deine Sache gut!« lächelnd zuflüstern konnte.

      Und der andre nickte. »Zur Rache für unsere Gemordeten!« gab er zurück. »Geht‘s los heute abend?«

      Der Wattführer nickte. »Heute abend!« bestätigte er. »Gott und gute Freunde mögen uns den Sieg geben.«

      Die Violine kreischte und der Baß brummte; Hanswurst balgte sich mit dem Teufel und mehreren Bären zugleich – langsam ging Uve Mensinga durch das Getümmel, hier einen Blick tauschend, dort einen Händedruck oder ein Flüsterwort, bis er in eine Nebenstraße gelangte wo Wagen an Wagen den Weg versperrte. Hierher kamen die Offiziere, es war für alles gesorgt; der »Tanz«


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