Stille Helden. Boy-Ed Ida
Jagdausflug nach Südamerika. Oder ein stumpfes Vegetieren in einer Einsiedelei, irgendwo an der englischen Küste … Aber er mochte nichts davon aussprechen.
»Nein!«
»Du bist nun achtundzwanzig Jahre alt. Du solltest an das einzige denken, was einem Mannesleben rechten Inhalt gibt: an Arbeit.«
»Aber ich habe doch …«
»Deine sogenannten Studienjahre sind von anderen Dingen mehr ausgefüllt gewesen als von gründlicher Arbeit, und da nie und nirgend Examen oder bezahlte Leistungen von dir gefordert wurden, dürfte dir selbst das Urteil fehlen, wie viel oder wie wenig du weißt und kannst. Eine große Stellung und ungemeine Aufgaben und Verantwortungen warten auf dich. Noch bin ich da, und mein Wille ist, mich noch viele Jahre zu behaupten …«
Er atmete tief auf. Der Sohn sah mit Staunen, welch ein wunderbarer Ausdruck über dieses Antlitz flog – es schien nicht mehr das eines gewöhnlichen Sterblichen – monumentale Größe war darin – Kraft von übermenschlicher Art. Und ihm war, als könne sein Vater selbst dem Tode trotzen, wenn er wolle …
Nach dieser inhaltsschweren Pause fuhr der Vater fort: »Aber du bist doch einmal mein Nachfolger – du mußt dich darauf vorbereiten – dich einarbeiten. Ich werde es schon verstehen, dir, trotz deiner vorausgesetzten Unzulänglichkeit, bei den Abteilungsvorständen die rechte Stellung zu machen, daß du in keine schiefe Lage kommst. Freilich, wie du dich zu Thürauf stellst, das wird deine Sache sein, und ist die allerwichtigste für dich. Dieser Mann ist mein bedeutendster Mitarbeiter – geschäftlich mein anderes Ich – trotz der völlig verschiedenen Individualität. Ich verdanke ihm viel – er mir auch – Geben und Nehmen ist unter gemeinsam Schaffenden das nicht mehr auseinander zu sondernde Bindemittel. Du wirst noch viele Jahre nichts sein ohne ihn – du hast schon aus allem herausgehört: es ist mein Wunsch, daß du jetzt hier bleibst und dich in den Betrieb einlebst. Bist du einverstanden?«
»Ich will es versuchen,« sprach Wynfried tonlos.
Diese mutlose Ergebenheit, die aus den Worten sprach, diese erschreckende Blässe, die sein Gesicht entfärbte, ließ in dem Vater eine Furcht aufblitzen …
Wie, wenn Wynfried trotz allem noch nicht mit jener Frau fertig war? Wenn ihm sein Bleiben hier so etwas wie Gefangenschaft bedeutete, die ihn von ihr absperrte?
»Ein Vater darf fragen, wenn er den Sohn so wiederbekommt, wie ich dich – gestehst du mir das zu?«
»Ja.«
»Drei Jahre hat dich die Frau festgehalten. Früher dacht’ ich, wenn ich so von ewig wechselnden Liebschaften hörte: wenn er doch mal eine fände, die ihm das Sichverzetteln abgewöhnt. Na – der Wunsch wurde mir erfüllt. Wie das so manchmal mit Wünschen geht – man bekreuzigt sich, daß man sie gehabt hat … Donnerwetter! Die eine hat dich ein Vermögen, Nerven, ein paar schöne Jugendjahre gekostet – und mich – mich hat sie auch was gekostet. Glaub nur – es war ein harter Augenblick, als man mir dein Telegramm gab – ›Unabkömmlich – hoffe auf deine rasche Genesung‹– Unabkömmlich! – Wenn der Tod an des Vaters Lager steht! Und warum unabkömmlich? Weil du rasend warst aus Eifersucht und Angst, eine – Dirne zu verlieren …«
Die Faust ballte sich – die Worte waren schwer von Schmerz.
»Verzeih – ich war von Sinnen,« sagte der Sohn mit schwacher Stimme.
»Und endlich mußtest du doch begreifen! Grad saßest du auch so fest in Schulden, daß nichts mehr blieb als die Flucht zu mir. Da verließ dich die edle Dame – weil sich ein dummer Kerl von exotischem Adel fand, der ihr standesamtlich ’ne Neunzackige aufsetzen wollte. Aber nu sage mal, Wynfried – so Mann den Mann gefragt: bist du kuriert von der Leidenschaft? Liebst du das Weib noch? Haßt du sie? Was dasselbe wäre. Wie ist es mit deinem Herzen bestellt?«
»Herz?« sagte Wynfried, und der verächtliche Zug erschien in seinem Mundwinkel. »Das wird einem totgeschlagen durch solche Erfahrungen. Ich verachte diese Frau und alle Frauen.«
»Nun, nun,« meinte der Geheimrat, und ein Lächeln, tiefsinnig und fast zärtlich, spielte über sein Gesicht, »es gibt noch edle Frauen. Und ein Herz ist gottlob wie die Natur: es blüht wieder auf –«
Wieder war der Sohn von Staunen wie benommen.
Er verspürte Weichheiten. Sie waren ihm etwas nie Geahntes bei seinem Vater. Woher kamen sie? Waren sie früher nur tiefer verborgen gewesen? Oder hatte die Brüchigkeit und der Gedanke an den doch vielleicht nahen Tod ihn verändert?
»Und kurz und gut,« sprach der Alte aus seinem mächtigen Sessel heraus, wo er sich so oft als Prometheus fühlte, »kurz und gut: ich denke, du heiratest. Ein liebes edles Weib wird deinem Dasein höheren Inhalt geben. Ohne Familie hält es sich hier auch wohl schwer aus. – Die scharfe Arbeit braucht ein mildes Gegengewicht. – Nur durch eine Frau kann dein Gemüt wieder ins Gleichgewicht kommen. Du bist nun mal aufs Weib gestellt. – Jetzt aber soll es eine sein, vor der du den Hut abnimmst.«
»Kurz und gut« hatte der Vater gesagt. Als schließe sein Vorschlag lange Verhandlungen über die Werte des Familienlebens ab. Und doch fiel das seinem Sohn sozusagen auf den Kopf. –
Er lächelte. So überrascht war er. Aber das Lächeln losch gleich hin. Er begriff auf der Stelle, daß es seines Vaters fester Wille war.
Das elende Gefühl, vor ihm ein Nichts zu sein, kam ihm wieder. Zugleich das dunkle noch andrängende, rasch aber klarer werdende Erkennen, daß vielleicht in diesem entscheidenden Augenblick seines Sohneslebens Gehorsam das einzige Mittel sei, das Wohlwollen und Vertrauen des Vaters zu erringen – das Verlangen danach wallte in ihm auf – zum erstenmal, seit er denken konnte.
»Aber deshalb heiratet man doch nicht!« dachte er. Er dachte es ohne heftige Abwehr. Nur in einer matten Regung des Eigenwillens. Er fühlte sich zu zerbrochen zum Kampf.
Jahrelang war er in wahnsinniger Leidenschaft der Sklave eines Weibes gewesen. Sie hatte ihn verraten und verlassen. Der Rest war Widerwillen gegen Welt und Weib.
»Nun!« mahnte der Vater in aufkochender Ungeduld. Irgend etwas wollte er doch auf seinen Vorschlag hören.
»Und du hast dir gewiß auch schon ausgedacht: welche,« sagte Wynfried ausweichend.
»Ah – ob! Du wirst dir Mühe geben müssen, angenommen zu werden.«
Wie das Wynfried peinigte. Seine ganze Seele war wund. Sein Vater, in der Naivität, die geniale Menschen haben können, wenn es sich um ihre heimlichen Poesien und Herzenswünsche handelt, schien nicht zu ahnen, daß er vielleicht unzart vorgehe …
»Wer ist es denn?« fragte er gleichgültig, höflich – nur um den Vater nicht zu reizen.
»Klara Hildebrandt.«
»Die Tochter von deinem früheren Generaldirektor – der sich erschoß – wegen verfehlter und verbotener Spekulationen – du hast dich des Kindes angenommen – die –?«
»Ja – die.«
»Ich weiß noch, wie Hildebrandt mit seiner Frau und seiner ganz kleinen Tochter ankam. – Es gibt so Dinge – man behält sie, obschon sie eigentlich nebensächlich sind und nichts mit einem selbst zu tun haben – aber zeitlich mit irgendwas verknüpft sind, was damals einem wichtig war. – Ja, ich weiß noch – Mama bestimmte die Bepflanzung der Anlage, deren Erdarbeiten gerade fertig geworden waren – ich hatte so viel Kummer davon gehabt, weil ich gern mitgegraben und gekarrt hätte und nicht durfte. – Da kamen Hildebrandts und mußten aussteigen, weil der Weg versperrt war – und Mama sagte gleich, daß sie sie nicht leiden möge. – Die Frau war sehr schön – ich begriff damals nicht und auch in den folgenden Jahren nicht, weshalb sie mir immer so schön und so ganz anders vorkam. – Jetzt weiß ich: sie hatte wohl einen seltenen Zauber reiner Weiblichkeit – wenn ich mich recht erinnere …«
»Ja, du erinnerst dich recht,« sprach der alte Mann langsam, »in ihr waren Schönheiten … ein Wunder war sie …«
Und sein Gesicht bekam einen Schein, als läge Andacht darauf.
Sein Sohn sah ihn an – ihre Blicke begegneten sich, ruhten lange ineinander. Und wieder