Stille Helden. Boy-Ed Ida

Stille Helden - Boy-Ed Ida


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Grabe den Schein der Ehre hätte nehmen können … Wie er der Frau beigestanden, die nicht lange danach hinstarb – wie er für das Kind gesorgt. –

      Und unverwandt sahen sie sich an, Vater und Sohn –

      Bis der Vater, wie in einem stolzen Bekennen der Reinheit für sich und eine Tote, hoch und frei sein Haupt erhob …

      Da war es Wynfried, als habe er an Pforten gestanden, hinter denen unantastbare Heiligtümer verschlossen gehalten würden …

      »Ich habe Klara Hildebrandt seit vielen Jahren nicht mehr gesehen,« sprach er langsam.

      Sein Vater reichte ihm die Rechte hin. – Obgleich Wynfried wußte, der junge Doktor Sylvester werde jeden Augenblick erwartet, um die Behandlung mit Massage und Elektrizität zu beginnen, die täglich zweimal vorgenommen wurde, fühlte er doch, daß diese Verabschiedung aus einer seelischen Aufwallung heraus erfolgte. Aber er spürte auch einen festen Druck der Hand – war das Versöhnung? eine stumme Überredung? ein neues Bündnis zwischen zweien, die von der Natur aufs engste verbunden waren, sich aber nicht gekannt hatten bis zu dieser Stunde?

      Kannten sie sich denn jetzt?

      Und es war dem Sohne, als dürfe er das Wort des Vaters auch für sich in Anspruch nehmen und gegen ihn kehren und auch fragen: »Was weißt du von mir?«

      Da durchschauerte es ihn: was weiß ich denn selbst von mir? Und das elende Gefühl der Lebensleere, der Nichtigkeit kam abermals über ihn.

      Er ging in sein Zimmer und warf sich wieder auf sein Bett.

      Er starrte ins Unbestimmte.

      »Eine Kugel durch den Kopf – das wäre das richtigste …«

      Aber vor diesem Gedanken erschrak er. Denn ihm war, als sähe er seines Vaters Angesicht. – Er hatte eine Vision. – Sein Vater stand an seiner Leiche, aber der alte Mann weinte nicht – Verachtung war in seinen Zügen, die furchtbar schienen.

      Und die Angst vor dieser Verachtung zwang ihn zum Leben zurück – das fühlte er.

      Aber wie leben? Unter welchen Möglichkeiten?

      Ah – gleichviel unter welchen – wenn sie ihm nur Inhalt für sein Dasein vortäuschten.

      Diese Leere trieb ihn sonst doch noch zu dem, was sein Vater verachten würde.

      2

      Nun war es Sonntag. Aber Leupold fühlte, daß sein Herr sich nicht in der beruhigten Stimmung befand, wie sonst, wenn Fräulein Hildebrandt erwartet wurde.

      Vor dem Klubsessel, dem Audienzstuhl, deckte er den Teetisch. Sonst paßte der Geheimrat sogar auf, ob auch schöne Blumen aus den Treibhäusern heraufgeholt worden waren, denn die Blumen durfte Fräulein Hildebrandt nachher mitnehmen. Ja, er hatte sich wohl schon den Teller mit Kuchen zeigen lassen, um nachzusehen, ob die Cremetörtchen vorhanden seien, die Fräulein Hildebrandt gern zu essen scheine. Leupold machte sich manchmal Gedanken über das starke Interesse seines Herrn an Klara Hildebrandt. Er wußte: die Hildebrandts hatten damals schon ihre zweijährige Tochter mitgebracht – wenn also böswillige Menschen davon munkelten, Klara solle die natürliche Tochter des Geheimrats sein, so war das nur böswilliger Klatsch. Anderseits, wenn er so völlig von ihr umsponnen war, weshalb hatte er sie denn nicht schlankweg zu seiner Frau gemacht? Vor einem Jahr noch war der Geheimrat eine wunderbare, stattliche, fürstliche Erscheinung, und es wäre doch nicht das erste Mal gewesen, daß ein fünfundsechzigjähriger Millionär sich das Vergnügen machte, eine zweiundzwanzigjährige junge Dame zu heiraten.

      Leupold beschloß aber solche Betrachtungen immer mit dem bestimmten Wort: Dazu ist er zu klug! Und er war natürlich mit solcher Klugheit sehr zufrieden, denn er sah, ohne sich dessen bewußt zu sein, seinen Herrn einfach als sein Eigentum an. Durch eine Wiederheirat wäre er in den Hintergrund gedrängt worden. Er war seinem Herrn unentbehrlich, und das wollte er bleiben. Diese Empfindung war sein eigentlicher Lebensinhalt.

      Heute nun kümmerte der Geheimrat sich um nichts, sah kaum die Rosen an, die Leupold vorwies, und wehrte unwillig ab, als der Kuchenteller zur Begutachtung gezeigt wurde.

      »Was er wohl hat,« dachte der Diener. Das Leben seines Herrn lag so durchsichtig vor ihm hingebreitet, daß er sich trotz aller ihm wirklich eigenen Diskretion nicht enthalten konnte, sogleich zu begrübeln, was er gelegentlich an einer Stimmung nicht verstehen konnte.

      Die heutige Undurchdringlichkeit der Herrenlaune schien besonders rätselhaft.

      Der Geheimrat hatte freilich so viele schwere Gedanken, daß sie ihm wie zyklopische Blöcke im Gemüt lagen. Seine Intelligenz, seine Lebenserfahrung, sein starkes Gefühl versuchten sich an diesen schweren Dingen. Aber ihnen war nicht beizukommen.

      Zum erstenmal geschah es ihm, daß er einfach keine Antwort wußte auf die Frage: Wie fang’ ich das an?

      Wynfried war noch am Tage jener Unterredung nach Hamburg gereist und hatte mit dem Rechtsanwalt Koppen alle diese trüben Finanzangelegenheiten durchgesprochen. Damit war das erledigt. Es galt nur noch, sobald Koppen alle Forderungen auf Recht und Reinlichkeit geprüft haben würde, einen Scheck mit einer wahrscheinlich sehr großen Zahl auszuschreiben. Heute mittag war er schon wieder zurückgekommen. Der Vater mochte keinen Zeugen beim Essen haben, denn es war ihm peinvoll, wenn er mit einer Hand Vorgeschnittenes aufgabeln mußte. So aß jeder für sich. Wynfried unten im Speisesaal voll schön stilisiertem Prunk. Der Geheimrat in seinem Sessel, der seine Gruft und sein Thron zugleich war. Bei der Begrüßung erschien es aber dem Vater, als sei der Ausdruck seines Sohnes noch nicht ein bißchen heller und freundlicher. Die gleiche vornehme Apathie, die so empörend auf den kraftvollen Riesen wirkte, der sich noch wie ein Koloß an Willen vorkam, trotz der halbseitigen Lähmung, gegen diesen gleichgültigen jungen Mann …

      Er hatte gebeten, was nach des Geheimrats Einbildung »bitten« hieß, in der Tat aber einfach immer wie ein Kommando klang, daß Wynfried doch um fünf Uhr zum Tee heraufkommen möge.

      »Dann kann ich dich ihr vorstellen.«

      Wynfried wußte von selbst, daß damit Klara Hildebrandt gemeint sei. Er verbeugte sich nur gehorsam zustimmend. Seine Gedanken verschwieg er. Sie lauteten ungefähr: Sie werden sagen, der Vater hat ihn mit dem ersten besten Mädchen verheiratet, bloß damit er in Ordnung kommt. »Sie« – seine Genossen der letzten tollen Lebemannsjahre, all diese jungen Männer, die in ihren Vätern vor allem nur die Geldquellen sahen – und andere »Freunde«, die auf seiner Freigebigkeit und Sorglosigkeit schmarotzten. Und all die »Freundinnen«, die ihn zu trösten und anzupumpen suchten und ihn betäuben halfen – Ja, all diese würden sich totlachen und es sich zuschreien: Wißt ihr, Winni hat man zum Standesamt geschleppt … Aber es war egal, was diese spotteten – alles war egal –

      Nun saß der Geheimrat da, wuchtig und groß, in der Umrahmung der gelbgrauen Lederlehne, und versuchte vergebens die Frage vom Fleck zu wälzen: Wie fang’ ich das an?

      Er fühlte, daß er des Gehorsams Wynfrieds sicher sein konnte und daß dieser pünktlich gegen fünf Uhr eintreten würde.

      Sollte er die Zeit vorher benutzen, um Klara vorzubereiten auf seinen Plan und Wunsch? Sollte er hoffen, daß Wynfried, von ihr bezaubert, mit neu erwachendem männlichen Mut darauf ausgehen würde, sich das Mädchen zu erobern? Lag nicht die Gefahr nahe, daß er mit zu offenem Wort das feine herbe Kind kopfscheu machen würde, wie ein scheues Wild von einem ungewohnten Laut vergrämt wird? – War es klüger, zu schweigen oder zu reden? den Dingen ihren Lauf lassen?

      Aber wer verbürgte ihm denn, daß ihm Zeit blieb, den Lauf der Dinge abzuwarten? Wußte er so gewiß, daß sein Wille zum Leben siegreicher war als der Dunkle, der neben ihm lauerte?

      Und war Wynfried in seiner Schlappheit und blassen Unlust wohl der Mann, dem ein Mädchenherz schnell zufliegen konnte?

      Ganz tief in seinem Unterbewußtsein war ja das Gefühl: Sie wird es meinetwegen tun …

      Aber dem Gefühl verbot er die Deutlichkeit. – Es sollte doch für sie kein Opfer werden! Sie sollte Aufgaben, Reichtum, Achtung, Zuneigung finden, und damit das Glück …

      »Wie fang’ ich es an?«

      Er


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