Der Wagehals. Fritz Skowronnek

Der Wagehals - Fritz Skowronnek


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soll ich denn solch ein Ding gesehen haben? Einmal in Nikolaiken ist eins durchgefahren . . . aber ich kam zu spät.«

      »Gehen Sie mal 'raus, Schnabel, das wird der neue Forstassessor sein.«

      Eine lachende und johlende Menschenmenge umstand den ratternden Wagen. Schreiend wich sie zurück, wenn der Chauffeur aus dem Drachenmaul seiner Hupe tutete. Ein kleiner Herr in einem dunkelgrauen Bärenpelz, die Brille vor dem Gesicht, lag zurückgelehnt im Fond des Wagens. Als Schnabel in die Tür trat, richtete er sich auf und warf rücksichtslos seine halb aufgerauchte Zigarette in die Menge. Ein halbwüchsiger Junge fing sie geschickt in der Luft auf und steckte sie sofort in den Mund . . .

      »Herr Forstmeister Schrader zu Hause?« Nante mußte wohl die beiden letzten Worte nicht gehört haben, was bei dem Gejohle kein Wunder war, denn er machte ein ganz verblüfftes Gesicht. Dann brach er in ein dröhnendes Gelächter aus: »E nei, unser Herr Forstmeister sieht ein bißchen anders aus. Ich bin bloß der Forstaufseher Schnabel. Aber steigen Sie man ab, der Herr Forstmeister sind zu Hause.«

      Der Assessor ließ Pelz und Brille im Wagen und setzte sich zu der Uniform, die er trug, die Mütze auf. Ganz formell erstattete er dem Forstmeister die dienstliche Meldung, daß er zur kommissarischen Beschäftigung in die Oberförsterei Makunischken versetzt sei. Der alte Herr reichte ihm freundlich die Hand. »Willkommen in der Heide, Herr Assessor . . .«

      Eine halbe Stunde später ging Herr von Sperling mit dem Zimmermeister, sich seine zukünftige Wohnstätte anzusehen. Er machte zuerst ein ganz verdutztes Gesicht, als er das verwahrloste Häuschen erblickte; dann faßte er sich und ordnete an, was nach seiner Meinung nötig war, die Chaluppe in einen menschenwürdigen Zustand zu versetzen. Eine Bretterverschalung von außen, neue Fenster, eine Vergrößerung der Haustür. Die Zimmer sollten zuerst mit Pappe ausgeschlagen und dann tapeziert werden, auch die verräucherten Deckbalken. Ein neues Strohdach unter allen Umständen. »Den Kostenpunkt erledige ich, lieber Meister,« fügte er hinzu, als Krause bei jedem neuen Wunsch ein längeres Gesicht machte und zuletzt meinte, der Fiskus würde wohl nicht soviel anlegen wollen. »Aber in vierzehn Tagen muß alles fix und fertig sein.«

      Zu Mittag ging der Assessor in die Oberförsterei. Sein Vorgesetzter hatte ihn zu einem Löffel Suppe eingeladen. Es gab zuerst einen Teller Beetenbartsch. Mit Vergnügen sah der Forstmeister, wie sein Gast vorsichtig das ihm unbekannte Gericht kostete. Doch die pikante, mit saurer Sahne angerichtete Suppe fand seinen Beifall. Dann kamen gebratene junge Hühnchen auf den Tisch, ganz delikat zubereitet, dazu Gurkensalat. Das Gesicht des Assessors klärte sich immer mehr auf. »Das ist doch erstaunlich, Herr Forstmeister, jetzt um diese Zeit auf dem Lande junge Hühnchen . . .«

      »Haben Sie denn geglaubt, wir leben hier bloß von saurem Kumst und Pökelfleisch? O nein, Herr Assessor! Meine Abromeitene hätte Ihnen ebenso gut und schön ein Rebhuhn oder einen Fasan vorsetzen können. Sie braucht bloß in den Keller zu gehen, da stehen in langen Reihen die Gläser. Wenn Sie abends ein paar Krebse bei mir essen wollen . . .«

      »Oh, Herr Forstmeister, Krebse? Da nehme ich mit heißem Dank an.«

      »Zum Kaffee habe ich uns beim Hegemeister Krummhaar ansagen lassen, in dessen Revier Sie zu kluppen anfangen. Wir hausen hier schon dreißig Jahre nebeneinander und sind gute Freunde. Mit den geistigen Genüssen ist es hier in der Wildnis schlecht bestellt, da halten wir uns durch eine reiche Geselligkeit schadlos. Ich lade mir öfter alle meine Grünröcke ein, und wir schießen fleißig nach Tontauben und Scheiben. Dann haben wir zwei Gutshöfe in nächster Nähe. Da müssen Sie in den nächsten Tagen Besuch machen. Aber ich warne Sie, denn da sind zwei allerliebste Mädel, beide meine Patchen, zum Anbeißen . . . Dann verkehren wir alle bei einer reichen litauischen Bauernfrau. Machen Sie nicht solch ein erstauntes Gesicht, Herr Assessor. Das ist in Wirklichkeit eine gebildete, alte Dame . . . Morgen abend nehme ich Sie dorthin mit. Sie finden dort die Herren Chasseure aus Wartenburg, mit denen Sie auf diese Weise bekannt werden.«

      »Und mein Dienst, Herr Forstmeister?«

      »Der wird Sie auch nicht zu sehr anstrengen. Sie bekommen als Gehilfen meinen bisherigen Forstschreiber Mooslehner, einen sehr gewandten Menschen, der Ihnen die Sache sehr erleichtern wird. Wenn Sie sich beide daran halten, können Sie ihr tägliches Pensum immer bis Mittag erledigt haben.«

      Als sich der Forstassessor nachmittags in dem einfach möblierten, aber sehr sauberen Zimmer des Gasthofes von Makunischken aufs Sofa legte, um etwas über den Dienst nachzudenken, überkam ihn ein behagliches Gefühl . . . Als er die Versetzung in die litauische Heide erhielt, war ihm zumute, als sei er zur Verbannung nach Sibirien verurteilt worden. Jetzt schien es ihm, als wenn sich hier auch leben ließe, nur mußte er sich in die eigenartigen Verhältnisse erst eingewöhnen . . . Auf die litauische Bauernfrau, bei der Jägeroffiziere verkehrten, war er neugierig, auch auf den alten Hegemeister, von dem ihm der Forstmeister einige Schnurren erzählt hatte . . .

      Etwas erstaunt war er doch, als ihn der alte Grünrock bei seinem Besuch sehr höflich, aber sehr kühl empfing, und ebenso seine Enkelin Wera, eine brünette, stolze Schönheit, die ihm als Frau Nekrassow vorgestellt wurde. Er hatte das bestimmte Gefühl, daß er der schönen Frau schon irgendwo begegnet war. Er zog es aber vor, nicht zu fragen . . . Ein kleiner Junge von drei Jahren, ein prächtiger Bube mit langen, dunklen Locken, kam hereingesprungen und kletterte ohne weiteres dem Forstmeister auf den Schoß . . .

      Dann kam Mooslehner, zum Gang in den Wald gerüstet. Er wollte mit Nante Schnabel ins Revier gehen, um auf den Wilddieb zu fahnden. Dann wollten sie sich auf die Schnepfe anstellen . . . Wenn mit Sonnenuntergang der Nebel stieg, waren die Rehe vor jeder Nachstellung sicher, denn in den dichten Schwaden war es auch dem geschicktesten Wilddieb unmöglich, einen Schuß anzubringen.

      5. Kapitel

      Gegen Abend hatte sich ein starker Südwind aufgemacht und den Himmel rasch mit dunklen Wolken bedeckt, die mit Regen drohten. Schweigend schritten die beiden jungen Grünröcke durch den Wald, der unter dem Druck des Windes brauste und stöhnte . . . Ihre beiden Hunde trotteten als wohlerzogene Gehilfen neben ihnen. Es war ein Wetter, wie es sich ein Wilddieb nicht besser wünschen konnte, denn der heftige Wind und das Brausen des Waldes verschlang jeden Knall auf kurze Entfernungen . . .

      An der kleinen Brücke, die über die Aschwöne führt, trennten sie sich. Sie wollten langsam, jeder an einer Seite der Wiese, bis zu ihrem Ende aufwärts pirschen und sich dann bis Dunkelwerden auf die Schnepfe anstellen . . . Die Hunde hundert Schritt voraus . . . Schon nach wenigen Minuten gab Mooslehners »Rino« Laut; es war ein richtiges Totverbellen. Schnell lief der Grünrock der Stelle zu. Da lag wieder die Decke eines Rehbocks, wie zum Hohn sauber ausgebreitet, das Gescheide mitten darauf . . . Sofort fiel der Hund die frische Fährte des Wilddiebes an, während Mooslehner durch einen gellenden Pfiff seinen Kollegen herbeirief.

      Nun folgten sie beide der Spur, die von den Hunden ohne Mühe ausgearbeitet wurde. Sie führte einen schmalen Waldweg entlang bis zur Chaussee. Dort begannen die Hunde unruhig zu werden. Sie liefen ratlos hin und her und standen schließlich an einer Stelle still. Kein Zweifel, der Wilddieb hatte hier einen Wagen bestiegen, der auf ihn wartete, und war davongefahren.

      Nun war guter Rat teuer. Nante schlug vor, sofort bei Naujoks Haussuchung zu halten. Mooslehner hielt es für zwecklos, denn allem Anschein nach hatte der Wilddieb einen Helfershelfer und Hehler, der ihm das gewilderte Fleisch abnahm. Aber schaden konnte es nicht, wenn sie wenigstens feststellten, ob Naujoks zu Hause wäre. Sie wählten den kürzesten Weg quer durch den Wald. Nicht weit von ihnen pflügte Naujoks seinen Acker. Die große Fläche, die er umgeworfen hatte, zeigte deutlich, daß er den ganzen Tag fleißig geschafft haben mußte. Er konnte also nicht stundenlang im Walde gewesen sein.

      Ohne sich ihm zu zeigen, kehrten die Grünröcke um. Sie wollten jetzt zum Förster Schwarzkopf gehen und mit ihm besprechen, was zur Ermittlung des Wilddiebes geschehen konnte. Dort harrte ihrer eine große Überraschung. Auf der Veranda des Forsthauses lag ein Schmalreh mit der Schlinge um den Hals. Der Wagen des Försters stand angespannt vor der Tür. Er wollte das Reh nach der Oberförsterei bringen und Anzeige erstatten. Er hatte bald nach Mittag das Reh gefunden und sofort mit seinem Hunde die ganze


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