Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke
Aber das Fieber ist auf dem Schiff ausgebrochen und das Kind ist angesteckt. Sie müssen acht geben, wohin Sie gehen.«
Mit sorgenvollem Gesicht folgte er jetzt Vickers nach unten. Sara stand einen Augenblick ganz bewegungslos da, wie in tödtlicher Angst. Ihre Lippen waren offen, ihre Augen funkelten und sie machte eine Bewegung, als wenn sie sich zurückwerfen wollte.
»Arme Seele,« dachte der ehrliche Blunt, »wie sie sich um das Kind sorgt! Der verdammte ungeschickte Pflasterkasten hat ihr weh gethan! – Lassen Sie es gut sein,« sagte er laut zu dem Mädchen.
Es war helles Tageslicht und er hatte keinen Muth, mit ihr schön zu thun wie im Dunkeln.
»Fürchten Sie nichts. Ich bin schon früher auf Schiffen gewesen, auf denen das Fieber herrschte.«
Bei dem Ton seiner Stimme raffte sie sich zusammen und kam ihm näher.
»Aber Schiffsfieber,« sagte sie. »Davon habe ich gehört. Daran sterben die Leute wie die Schafe auf überfüllten Schiffen.«
»Still, – doch nicht. Fürchten Sie sich nicht. Sylvia wird nicht sterben und Sie auch nicht.« Er nahm ihre Hand. »Vielleicht gehen ein Dutzend Gefangene drauf, denn sie sind sehr enge da unten eingepackt, – aber —«
Sie entriß ihm heftig ihre Hand, dann aber sich fassend, gab sie sie ihm wieder.
»Was haben Sie ?«
»Nichts – einen plötzlichen Schmerz. Ich schlief vorige Nacht nicht.«
»Ja, ja, Sie sind übermüdet, das sehe ich. Gehen Sie und schlafen Sie.«
Sie starrte an ihm vorbei auf die See, wie in Gedanken verloren. So fest blickte sie hinaus, daß auch er unwillkürlich seinen Blick wandte. Dies brachte sie wieder zu sich selbst. Sie zog ihre schönen, geraden Brauen zusammen und dann in die Höhe wie ein Denker, der sich für irgend etwas entschieden hat.
»Ich habe Zahnweh,« sagte sie und hielt ihre Hand an ihre Wange.
»Nehmen Sie etwas Laudanum,« sagte er und dachte daran, wie seine Mutter solche Leiden kuriert hatte. »Der alte Pine kann Ihnen etwas geben.«
Zu seinem Erstaunen brach sie in Thränen aus.
»Was ist das? Weinen Sie nicht, meine Liebe. Verdammt, – ach weinen Sie nicht. Warum weinen Sie denn ?«
Sie wischte die glänzenden Tropfen fort und blickte ihn lächelnd mit Vertrauen an.
»Nichts. Ich bin so allein, so fern von Hause und – Dr. Pine that mir weh am Arme. Sehen Sie.«
Sie entblößte den schönen Arm, während sie sprach und wirklich waren drei kleine, rothe Flecke in dem weißen, festen Fleisch zu sehen.
»Der Bube,« rief Blunt. »Das ist zu arg.« Und nach einem schnellen Blick, ob Jemand ihn sähe, küßte der verliebte alte Bursche die Stelle auf dem Arm.
»Ich will Ihnen das Laudanum geben,« sagte er. »Sie sollen den alten Bären nicht darum bitten. kommen Sie in meine Kajüte.«
Blunts Kajüte war aus der Steuerbordseite des Schiffes, grade unter dein Zelt des Hinterdecks und hatte drei Fenster, eins an der Seite und zwei gingen auf Deck. Die Kajüte auf der andern Seite gehörte Frere. Er ging an die Thür und nahm einen Medizinkasten herunter, der grade über seinem Teleskop aufgehängt war.
»Hier,« sagte er und öffnete ihn. »Ich habe diesen kleinen Kasten schon seit Jahren mit herumgeschleppt, aber Gott sei Dank, benutze ich ihn nicht oft. Da, davon nehmen Sie in den Mund und halten es eine Weile darin.«
»Gott im Himmel, Kapitain Blunt, Sie wollen mich vergiften. Geben Sie mir die Flasche. Ich will mir selbst davon nehmen.«
»Nehmen Sie nicht zu viel,« sagte Blunt. »Es ist gefährliches Zeug, wissen Sie.«
»Ich weiß. Ich habe es schon früher gebraucht.«
Die Thür war zu und als sie die Flasche in die Tasche steckte, nahm sie der verliebte Kapitain in seine Arme.
»Nun, jetzt verdiene ich doch einen Kuß ?«
Ihre Thränen waren schon lange getrocknet und hatten ihr nur etwas Farbe gegeben. Dies liebenswürdige Frauenzimmer weinte niemals lange genug, um sich unangenehm zu machen. Sie hob ihre großen dunkeln Augen einen Augenblick zu ihm auf und blickte ihn mit schelmischem Lächeln an.
»Später,« sagte sie und entschlüpfte in ihre Kajüte. Dieselbe war dicht neben derjenigen ihrer Herrin und sie konnte das kranke Kind stöhnen hören. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, – dies Mal mit wirklichen Thränen.
»Armes, kleines Ding,« sagte sie. »Ich hoffe, sie wird nicht sterben.«
Dann warf sie sich auf ihr Bett und verbarg ihr heißes Gesicht in ihre Kissen. Die Nachricht von dem Fieber schien sie furchtbar erschreckt zu haben, ja sie fast zum Entsetzen zu bringen. Es war, als ob diese Nachricht einen lange, sorgfältig bedachten Plan gestört hätte. Vielleicht hatte sie sich schon fast am Ziel geglaubt und nun vernichtete dies plötzliche Auftreten der Krankheit alle ihre sorgfältigen Berechnungen und legte ein fast unübersteigliches Hinderniß in ihren Weg.
»Wenn sie stürbe und durch mich! Wie konnte ich wissen, daß er das Fieber hat? Vielleicht bin ich selbst angesteckt. Ich fühle mich so krank.« Sie wälzte sich unruhig auf ihrem Lager, wie in Schmerzen, dann fuhr sie in die Höhe, wie von einem Schreckbild gepeinigt.
»Wenn er nun stürbe! Das Fieber verbreitet sich schnell und wenn das ist, so sind alle Pläne umsonst. Es muß sogleich geschehen. Jetzt darf ich nicht unterliegen.«
Sie nahm das Fläschchen aus ihrer Tasche, um zu sehen, wie viel darin war. Es war drei Viertel voll. »Genug für Beide,« murmelte sie zwischen den Zähnen. Das Fläschchen erinnerte sie an den verliebten Blunt und sie lächelte.
»Eine sonderbare Art, einem Mann seine Liebe zu zeigen,« flüsterte sie. »Aber er macht sich nichts daraus und mir ist jetzt Alles gleich. Ich will durch und wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich mich immer an Maurice halten.«
Sie löste den Korken des Fläschchens ein wenig, so daß sie ihn ganz ohne Geräusch herausnehmen konnte ; dann steckte sie es wieder in ihren Busen.
»Ich will ein wenig schlafen,« sagte sie. »Sie haben den Brief bekommen und es muß diese Nacht geschehen!«
Siebentes Capitel.
Der Typhus
Der Verbrecher Rufus Dawes hatte sich in seine Koje niedergelegt und versuchte zu schlafen. Aber obgleich er müde und erschöpft war und sein Kopf schwer wie Blei, so blieb er doch wach. Der lange Aufenthalt in der frischen Luft hatte ihm gut gethan und ihn gekräftigt, so daß er sich belebter fühlte, aber die schreckliche Krankheit hatte ihn einmal gefaßt, sein Puls ging schwer und sein Kopf glühte. In dem halb dunkeln engen Raum wälzte er sich umher und schloß seine Augen ; vergebens – es kam kein Schlaf. Mit der äußersten Anstrengung brachte er es nur dahin, daß er seine Gedanken ausruhen ließ von ihrem quälenden Umherschweifen, aber immer sah er vor seinen Augen das brennende Schiff glühen, – den Hydaspes, mit dessen Untergang nun auch jede Spur von dem unglücklichen Richard Devine verschwunden war.
Für ihn traf es sich glücklich, daß der Mann, welcher mit ihm draußen gewesen, etwas gesprächiger Natur war, denn derselbe mußte den Gefangenen die Geschichte ihrer Expedition wohl zwölf Mal wiederholen und Rufus selbst war aus seinem Halbschlummer aufgeweckt worden, um den Namen des Schiffes mit seinen eigenen Lippen zu nennen. Wenn die Leute nicht eine gewisse Achtung vor ihm gehabt hätten, so würde ihn wahrscheinlich nichts davon befreit haben, auch seinerseits die Sache zu schildern und sich an der lebhaft geführten Streitfrage zu betheiligen, ob und wie sich die Schiffsmannschaft des verbrannten Schiffes gerettet habe. So aber ließen sie ihn in Frieden ; er lag unbemerkt da und versuchte zu schlafen.
Eine Abtheilung von fünfzig Mann war auf Deck, um die Luft zu genießen und das Gefängnis war demzufolge nicht so heiß wie des Nachts. Viele der Gefangenen benutzten die leeren Kojen, um inzwischen auszuschlafen und die vier freiwilligen Ruderer durften, was sie versäumt, nachholen.
Noch